Widerstand gegen professionelle Betriebsrätemobber
von Gerhard Klas
Sechzig Jahre ohne Betriebsrat, bis heute ohne regulären Tarifvertrag – das ist Teil der Geschichte der Wikus-Sägenfabrik GmbH & Co. KG. Das wollen die Beschäftigten nun ändern und werden am 26.Oktober zum ersten Mal einen Betriebsrat wählen. Sie haben dabei den Rückhalt der IG Metall, aber auch weit darüber hinaus.
Der mittelständische Metallbetrieb im nordhessischen Spangenberg mit 520 Beschäftigten ist nach eigenen Angaben Europas größter Produzent von Metallsägen für Anwender aus der Stahlbranche. 2018 überreichte der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir ihm gar den hessischen Innovationspreis.
Die Geschäftsführung lässt sich seit mehr als zehn Jahren von Anwälten aus dem Stammsitz der Rechtsanwaltskanzlei Schreiner & Partner beraten. Sie hat ihren Hauptsitz im zwei Autostunden entfernten, sauerländischen Attendorn. Schreiner & Partner ist bundesweit dafür bekannt, Arbeitgeber zu beraten, die engagierte Beschäftigte und Betriebsratsgremien als Problem betrachten. Die Rechtsanwaltskanzlei bietet Seminare an mit dem Titel: «In Zukunft ohne Betriebsrat: Wege zur Vermeidung, Auflösung und Neuwahl des Betriebsrats» oder «Die Kündigung ‹störender› Arbeitnehmer. So gestalten Sie kreativ Kündigungsgründe».
«Die Handschrift dieser Kanzlei ist beim Umgang der Wikus-Geschäftsführung mit Mitarbeiterinteressen unschwer wiederzuerkennen», sagt Andreas Köppe, zuständiger Sekretär der Gewerkschaft IG Metall. Ein Metallbetrieb dieser Größenordnung ohne regulären Tarifvertrag und Betriebsrat sei «eher ungewöhnlich». Seit März gibt es einen 18köpfigen Vertrauensleutekörper der IG Metall. Nun strebt die Gewerkschaft die Gründung eines richtigen Betriebsrats an.
Kündigung mit Weihnachtsgruss
Das Gremium hat einiges vor sich: Ende des vergangenen Jahres, kurz vor Weihnachten, erhielten 77 Beschäftigte ihre Kündigung. «Es tut uns aufrichtig leid, dass wir Sie im kommenden Jahr nicht weiterbeschäftigen können», schrieb die Geschäftsleitung in einem persönlichen Brief an die Betroffenen. Als Betreff wählte sie «Weihnachtsbotschaft». Das Jahr 2020 sei ein «Ausnahmejahr» gewesen. «Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie, dass Sie vor allem gesund bleiben. An den Weihnachtstagen im Kreis Ihrer liebsten Menschen beisammen sein zu können, das wird in diesen Zeiten wohl das schönste Geschenk sein» – mit diesen Worten endet der Brief.
Auch die nicht gekündigten Kolleg:innen mussten sich die Augen reiben, als sie wenig später neue Stellenausschreibungen entdeckten und in Aushängen zu kurzfristigen Überstunden und Samstagsarbeit aufgefordert wurden. «Plötzliche Entlassungen der Kollegen einerseits und daraufhin zu leistende Überstunden andererseits zeugen von einer schlecht oder übereilt getroffenen unternehmerischen Entscheidung, die nun auf den verbliebenen Mitarbeitern abgeladen wird», so die Vertrauensleute in einer Mitteilung an die Kolleg:innen. Mittlerweile kommen auch Leiharbeiter:innen zum Einsatz.
Nicht zum ersten Mal werden unternehmerische Entscheidungen auf den Rücken der Beschäftigten «abgeladen». 2017 mussten die Beschäftigten auf eine vorgesehene Lohnerhöhung von zwei Prozent verzichten, um den Neubau von Produktionshallen zu refinanzieren.
Mehr als ein Drittel der Beschäftigten beteiligte sich an einer Befragung durch die Vertrauensleute im Juni. Demnach ist eine Mehrheit unzufrieden mit der Arbeitsplanung und den Berufsaussichten. Am meisten Sorge aber bereitet ihnen die Beratung durch die Rechtsanwaltskanzlei Schreiner & Partner – 72 Prozent empfinden sie als fragwürdig und beängstigend.
BR-Gründung mit großem Rückhalt
Das Arbeitsgericht in Kassel hat inzwischen den Wahlvorstand einberufen. Er hat die Betriebsratswahl auf den 25.Oktober terminiert. Eine eintägige Wahl ist allerdings völlig unüblich. Gerade in einem Schichtbetrieb zieht sich die Wahl normalerweise über mehrere Tage. Die Vertrauensleute sind skeptisch. Sie trauen der Sache erst, wenn die BR-Wahl tatsächlich stattgefunden und sich der Betriebsrat konstituiert hat. Auf der Kandidatenliste der «Offenen Liste IG Metall», die seit 16.September öffentlich ist, stellen sich sage und schreibe 82 Kolleg:innen zur Wahl.
In mehr als zwei Dutzend Grußbotschaften haben Betriebsräte und Vertrauenskörper der IG Metall aus der ganzen Bundesrepublik ihre Solidarität bei der Gründung des Wikus-Betriebsrats zugesagt und das Gebaren der Geschäftsführung als willkürlich und als «nach Gutsherrenart» kritisiert. «Unsere Unternehmen sind durch Geschäftsbeziehungen verbunden», schreiben etwa die Kolleg:innen von ArcelorMittal in Bremen. Sie kündigen an, Druck zu machen und «die Situation in eurem Betrieb bei unserem Arbeitgeber zu thematisieren».
«Es ist höchste Zeit, dass bei Wikus endlich ein Betriebsrat gegründet wird. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit – zudem aber auch ein gesetzlich verbrieftes Recht, damit die Beschäftigten bei Personal-, Arbeitseinsatz- und Lohnfragen ihr Mitspracherecht wahrnehmen können und so wenigstens etwas demokratische Kultur in diesem Metallbetrieb Einzug hält», schreibt Günter Wallraff, Mitgründer des gemeinnützigen Vereins Work Watch e.V., der seit vielen Jahren Fällen von BR-Mobbing nachgeht. «Wer sich von Schreiner & Partner beraten lässt, der hat entweder die Verhinderung eines Betriebsrats im Sinn oder will die betriebliche Mitbestimmung unbedingt unterlaufen. Die vielen Solidaritätsbekundungen und vor allem das Engagement der Belegschaft machen aber Hoffnung, dass sie bei Wikus nicht damit durchkommen.»
Die schriftlichen Fragen von Work Watch e.V. hat die Geschäftsleitung von Wikus nicht beantwortet. Das Unternehmen sehe «keine Veranlassung», über «interne Prozesse extern zu kommunizieren», schrieben sie in einer E-Mail. Demokratische Rechte im Betrieb – eine «interne» Angelegenheit?
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