von bertelsmann-stiftung.de
Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung über «Arbeitsintegration von Flüchtlingen in Deutschland», die die Entwicklung bis Februar 2015 berücksichtigt, ist geradezu eine Ohrfeige für den Gesetzentwurf zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes aus dem Hause de Maizière. Einige Schlaglichter:
Die Studie konstatiert eine prinzipielle Abkehr vom Arbeitsverbot für Asylbewerber seit 2013. Der Koalitionsvertrag vom November 2013 legt nämlich fest, dass Asylanträge innerhalb von drei Monaten zu bearbeiten sind. Im November 2014 reduzierte die Bundesregierung das Arbeitsverbot für Asylbewerber auf drei Monate (de Maizière will es jetzt wieder auf sechs Monate anheben). Die Studie kritisiert gleichzeitig die Inkonsequenz der bisherigen Integrationsmaßnahmen und die Unfähigkeit der Verwaltungen von Bund und Ländern, selbst die Vorhaben der Großen Koalition umzusetzen. So betrug die durchschnittliche Wartezeit im vergangenen Jahr 7,1 Monate, bei manchen Herkunftsländern (etwa Albanien) sogar mehr, «im Schnitt 16,5 Monate»!
Verantwortlich dafür, dass Asylbewerber von der Bevölkerung als Belastung wahrgenommen werden, ist das Bundesinnenministerium, heißt es in der Studie. «Deutschland hat sich selbst Probleme im Asylverfahren geschaffen, weil das Bundesinnenministerium es ähnlich wie in den frühen 1990er Jahren zu einem Bearbeitungsstau kommen ließ. In den Jahren mit niedrigen Antragszahlen ist Personal abgebaut worden, jedoch hat man seit 2010 versäumt, ausreichend Neueinstellungen vorzunehmen … Diese Effekte entstanden nicht erst mit den hohen Asylantragszahlen seit 2012, sondern schon vorher, in einer Zeit mit niedrigen Antragszahlen.»
Erst im Koalitionsvertrag 2013 wurde eine Aufstockung des Personals angekündigt. «Das Bundesministerium des Innern gab die Stellen jedoch erst nach Verabschiedung des Haushalts im Mai 2014 frei … Der Bearbeitungsstau hat daher im Jahr 2014 um 77923 Personen zugenommen.» «Auch kann die Wartezeit bisher nur in fünf Bundesländern mit einem Sprachkurs überbrückt werden, da die Öffnung der Sprach- und Integrationskurse durch das Bundesministerium des Inneren bisher noch abgelehnt wurde.»
Fazit: «Es ist nicht zu erkennen, dass das Bundesinnenministerium auf die Brisanz der Situation angemessen reagiert.»
Der Bearbeitungsstau stellt eine extreme, auch psychische, Belastung für die Flüchtlinge dar. Außerdem verfällt ihre Qualifikation. Und die Abwehrpolitik ist teuer. Denn in der Zeit, wo sie nicht arbeiten dürfen und keine Sprachkurse bekommen, beziehen sie Sozialleistungen und schüren damit Sozialneid. Die für die Flüchtlinge sehr belastende Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften kommt einer Ghettoisierung gleich, die wiederum Ängste in der Nachbarschaft schürt. So trägt eine gewollte Unfähigkeit der Verwaltung dazu bei, dass Rechtsradikale das Wasser auf ihre Mühlen lenken können.
Die Studie formuliert klare Anforderungen an eine zeitgemäße Integrationspolitik und gibt einen sehr guten Überblick über die Asyl- und Migrationspolitik seit den 70er Jahren und ihren Zusammenhang mit der deutschen Arbeitsmarktpolitik. Als in der Weltwirtschaftskrise 1974 die Arbeitslosigkeit stark anstieg, reagierte die Politik mit einer Reduzierung des Arbeitskräfteangebots – durch Frühverrentung und Zugangsbeschränkungen zum Arbeitsmarkt für ausländische Arbeiter. «Motiviert war dies von dem Wunsch, die Arbeitslosigkeit nicht weiter ansteigen zu lassen.» Dennoch konnten Asylbewerber bis 1980 ohne weiteres arbeiten. Die Kehrtwende kam nach der zweiten Ölkrise 1979/80. Für Flüchtlinge aus Osteuropa wurde aus politischen Gründen immer eine Ausnahme gemacht.
Es ist an der Zeit, die Weichen auf eine Intergrationspolitik zu stellen, die nicht mehr unterscheidet zwischen guten und schlechten Flüchtlingen. Denn: «Zuwanderer zahlen mehr an Beiträgen und Steuern, als sie an Sozialleistungen und Bildungsausgaben beanspruchen.»
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