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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2015
Gegenmacht oder subimperialistischer Ordnungsfaktor?
von Ingo Schmidt

Die geopolitische Einordnung des Verhältnisses dieser Staaten zum Weltkapitalismus geht weit auseinander.
Wir schreiben das Jahr 2001. Mit der Dot.com-Blase platzt der Traum einer krisenfreien New Economy. Für Gelder, die nicht in den Strudel zusammenbrechender Hightechaktien gerissen wurden, müssen neue Anlagefelder gefunden werden. Anlagestrategen bei Goldman Sachs machen eine Reihe von Länder aus, in denen es über längere Zeit beträchtliches Wachstum der realen Wertschöpfung gegeben hat und die wenig mit den virtuellen Welten des Silicon Valley zu tun hatten. Sie fassen eine Reihe dieser Länder – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – als BRICS zusammen und empfehlen sie der geneigten Kundschaft als sichere und profitable Anlagesphäre. Die BRICS sind geboren.
Das geringe Pro-Kopf-Einkommen in diesen Ländern würde durch die hohe Bevölkerungszahl ausgeglichen. Da sie hohe Wachstumsraten zu verzeichnen haben, repräsentierten diese Länder nicht nur riesige Märkte, sie würden zudem an die Spitze der führenden Wirtschaftsmächte drängen.
Die BRICS sind nicht unbedingt Vorreiter der Völkerverständigung. Dessen ungeachtet werden sie auf der Linken mitunter als Gegenpol zu den imperialistischen Mächten des Westens bzw. Nordens angesehen. Nicht nur stellten ihre politischen Systeme eine Alternative zum Neoliberalismus dar, der in den USA seine höchste und reinste Form angenommen habe, sie signalisierten auch das Ende der Ausbeutung des Südens durch den Norden.
Als 2008 die Große Rezession begann, wurde der Gedanke, die Aufsteiger des Südens seien irgendwie ganz anders, sogar in den herrschenden Klassen populär. Sie hofften, die BRICS könnten sich von der Rezession in den Zentren abkoppeln und durch fortgesetzte Importe aus den Zentren sogar zur Überwindung der Rezession beitragen. Dazu ist es zwar nicht gekommen, aber die BRICS erholten sich sehr viel schneller von der Rezession als die imperialistischen Zentren. In der Folge verschoben Anleger in erheblichem Umfang Kapital aus den alten Zentren in die neuen Wachstumsländer.
Doch mittlerweile ist die BRICS-Euphorie verflogen. Im Vergleich zu Europa, Japan aber auch den USA ist das Wachstum in China zwar immer noch hoch, gegenüber dem langjährigen Durchschnitt in China selbst aber erheblich zurückgegangen. Dessen Börsenwerte sind eingebrochen, die chinesische Währung steht unter Abwertungsdruck. Brasilien, Russland und Südafrika stecken in der Rezession; nur Indien wandelt weiter auf dem Wachstumspfad. Handelt es sich bei den BRICS nur um eine Wachstumsepisode, an der das Kapital aus den alten Zentren gern mitverdient, ohne um seine Vormachtstellung fürchten zu müssen?

Gegenmacht?
Im Unterschied zu Japan und den asiatischen Tigerstaaten, die auch schon einmal als Aspiranten auf die Pole Position im Weltkapitalismus galten, wurde die Entwicklung der BRICS-Staaten nicht nur von aufkommenden Bourgeoisien, sondern auch oder sogar vornehmlich von Arbeiter- und Bauernbewegungen geprägt. In Russland und China gab es von Kommunisten geführte Revolutionen. Die Unabhängigkeit Indiens wurde von einer breiten Volksbewegung erkämpft. Die daran beteiligten KPs nahmen zwar, anders als in China, nicht den Kampf um die Macht im Lande auf, führten aber über Jahrzehnte die gewählten Regierungen zweier Provinzen an. ANC und PT, die gegenwärtig Regierungsverantwortung in Südafrika bzw. Brasilien tragen, sind aus aufopferungsvollen Kämpfen gegen die Apartheid bzw. die Militärdiktatur entstanden.
Keine dieser Bewegungen hat die neoliberale Globalisierung aufhalten können. Oder genauer: Der Zusammenbruch der Sowjetunion und das kurze Zeit später erfolgte Einschwenken der chinesischen KP auf Weltmarktkurs haben den Neoliberalismus überhaupt erst zu einem globalen Phänomen gemacht. Auch die Regierungen Brasiliens, Indiens und Südafrikas haben ihn erst nach dem Ende der Sowjetunion zur politischen Leitlinie erhoben. Sie stehen auf den Schultern der Volksbewegungen vergangener Zeiten. Im politischen Alltag spielen diese Traditionen kaum eine Rolle, sie können aber, wenn es der Legitimationsbeschaffung im Inland oder bei internationalen Verhandlungen dienlich scheint, immer wieder medienwirksam mobilisiert werden. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die BRICS-Spielarten des Neoliberalismus deutlich von jenen des Westens, die von oben gegen sozialstaatlich eingehegte Arbeiterbewegungen durchgesetzt werden mussten.
Diese unterschiedliche Prägung der BRICS haben viele Linke zu der Annahme veranlasst, die BRICS stellten ein Gegenprojekt zum imperialen Neoliberalismus des Nordens bzw. Westens dar. Bestärkt werden sie in dieser Annahme durch die Tatsache, dass die Regierungschefs dieser Staaten sich regelmäßig treffen und mittlerweile eine eigene Entwicklungsbank gegründet haben. Die Hoffnung auf die BRICS als Gegenmacht im internationalen Maßstab ist aber nicht gut begründet.

Oder Subimperialismus?
Eine deutlich kritischere Auffassung, die gerade auch von Linken in den BRICS selbst vertreten wird, bezeichnet diese Staaten als subimperialistisch. Demnach geht es den herrschenden Klassen in diesen Ländern nicht um Gegenmacht, sondern um eine starke bis imperiale Position im globalen Kapitalismus.
Brasilien, Russland und Südafrika sind stark von Rohstoffexporten abhängig, die Rezession in diesen drei Ländern ist in erster Linie dem jüngsten Preisverfall auf den Rohstoffmärkten geschuldet. Dafür sind wiederum maßgeblich das nachlassende Wachstum und die damit sinkende Rohstoffnachfrage in China verantwortlich. Ihre Abhängigkeit vom Rohstoffsektor hat die Regierungen der BRICS-Staaten zu einer Blockadehaltung bei internationalen Klimaverhandlungen veranlasst. Im Rahmen der WTO hat vor allem Brasilien, dessen zweites Exportstandbein Agrarprodukte sind, eine harte Haltung gegenüber den USA und Westeuropa an den Tag gelegt. Nicht weil die brasilianische Regierung den Freihandel ablehnt, sondern um sich gegen den Agrarprotektionismus des Nordens durchzusetzen. Im übrigen unterscheidet sich das Gebaren der Konzerne aus den BRICS-Staaten nicht von denen aus den alten imperialistischen Zentren.
Einen Aufstieg des Südens insgesamt bedeutet der Aufstieg der BRICS nicht. Eher sieht es so aus, als würden die zurückbleibenden Länder des Südens nun vermehrt durch Konzerne aus den BRICS ausgebeutet. Beim Landgrabbing in Afrika etwa kommen sich Regierungen und Konzerne aus dem Norden und aus China immer wieder in die Quere. Gleiches gilt für Bergbauunternehmen aus Brasilien und Kanada. Diese Beispiele sprechen eher für die Subimperialismus- als für die Gegenmachtthese.
Doch die Anhänger beider Thesen müssen sich auch fragen, ob sie die Konstruktion der BRICS nicht zu ernst nehmen. Es ist keineswegs ausgemacht, dass deren Regierungen über eine mehr oder weniger enge Zusammenarbeit in einzelnen Bereichen hinaus an der Herstellung eines gemeinsamen Machtblocks arbeiten – sei es nun als Gegenmacht zum Westen oder als sein Juniorpartner. Dazu sind die Unterschiede innerhalb der BRICS zu ausgeprägt. Russland etwa galt selbst zu Zeiten des Rohstoffbooms kaum als künftiges Wirtschaftswunderland. Seine Bedeutung besteht eher in seinem militärischen Gewicht als einzige globale Atommacht neben den USA. In dieser Rolle ist es zum Lieblingsfeind des Westens geworden. Und natürlich stellt sich die Frage ob China, das aufgrund seiner Größe eine Liga für sich darstellt, nicht viel stärker an bilateralen Beziehungen zu verschiedenen Ländern als an der Festlegung auf wenige Partner interessiert ist. Brasilien, Indien und Südafrika hingegen sind weiterhin Regionalmächte.
Die immer wieder aufflammende Kontroverse um die BRICS bietet eine gute Gelegenheit, sich über die Veränderungen des Weltkapitalismus seit dem offensichtlichen Scheitern von New Economy und unipolarer Weltordnung zu verständigen. Dazu werden wir an dieser Stelle in lockerer Folge die BRICS-Staaten auch einzeln unter die Lupe nehmen.

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