Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2015
Gespräch mit Pawlo Lysjanskyi (Auszüge)
das Gespräch führte Georg Heidel

Für wie viele Gewerkschaften bzw. Mitglieder trägst du Verantwortung?
Ich berate folgende Gewerkschaftsgruppen: Gewerkschaft der Melnikov-Schacht, 100 Menschen; Gewerkschaft der Ärzte vom Städtischen Krankenhaus der Stadt Swetlodarsk (Nahfrontlinie, 500 Menschen); Krankenhaus der Siedlung Mironowski (Nahfrontlinie, 68 Menschen); Maschinenbauwerk der Stadt Prowolje, 48 Menschen.
Ich leite zudem die Rechte von Menschen schützende Gruppe des Ostens. Sie leistet die unentgeltliche juristische Hilfe und Beratung für 3000 Menschen aus verschiedenen Betrieben des Lugansker und Donezker Betrieben: die Konstantinowski-Glashütte, Bergwerke in den Städten Lissitschansk, Dsershinsk und Perwomajsk sowie Schulen und Krankenhäuser entlang der Frontlinie. Alles in allem schützen wir durch unsere gewerkschaftliche Tätigkeit die Interessen von 3000–3600 Menschen.

Was waren deine gewerkschaftlichen Tätigkeiten in den letzten zwei Monaten?
Im August habe wir Gewerkschaftsgruppen in der Stadt Swetlodarsk und in der Siedlung Mironowski entlang der Frontlinie aufgebaut; wir haben uns mit Bergleuten wegen der Nichtbezahlung ihrer Löhne getroffen; wir haben Frauen der Gerätebaufabrik wegen der Verletzung ihrer Arbeitsrechte unterstützt; wir haben jedem Mitglied der Unabhängigen Gewerkschaft in der Zeche Melnikow materielle Unterstützung in Höhe von 400 Griwna (rund 16,2 Euro) zukommen lassen. Zudem versorgen wir die Wektätigen regelmäßig mit unentgeltlicher juristischer Beratung.
Im September haben wir mit der Gewerkschaftsgruppe in der Stadt Swetlodarsk gearbeitet, eine kollektive Klage beim Gericht wegen der Nichtzahlung der Löhne eingereicht, Belegschaften im Dnepropetrowsk Gebiet getroffen sowie ein juristisches Seminar für Gewerkschaftsvorsitzende im Osten der Ukraine organisiert.

Wie schätzt du die von der Regierung beabsichtige Änderung der Verfassung der Ukraine ein, die eine Art föderaler Struktur mit mehr Autonomie für Lugansk und Donezk bringen soll?
Meine Einschätzung ist negativ. Die Regierung will keine föderale Struktur der Lugansker und Donezker Gebiete einführen. Die Regierung schlägt vor, eine Dezentralisierung einzuführen, die lokalen Räte mehr Vollmachten bringt, das Gesetz ist schon verabschiedet. Aber in Wirklichkeit ist das ein Kampf der Oligarchen untereinander, und die Werktätigen haben darunter zu leiden. Die Linken beeinflussen die politischen Prozesse im Land überhaupt nicht.

Wie beurteilst du die wirtschaftliche Situation in der Ukraine? Wie sind die Perspektiven für die Arbeiterklasse?
Die wirtschaftliche Situation ist sehr gefährlich, die Ukraine ist fast zahlungsunfähig, die Preise für Lebensmittel steigen, kommunale Gebühren werden teurer. Die Löcher im Haushalt werden auf die Kosten der einfachen Menschen geflickt. Die Arbeiter haben keinen Einfluss auf politische Entscheidungen, im Parlament gibt es keinen einzigen linken Abgeordneten. Die Arbeiter sind jetzt demoralisiert, die Gewerkschaftsführer haben ihre Autorität wegen ihrer Zusammenarbeit mit den Oligarchen verloren. Junge Gewerkschafter und Arbeiter müssen geschult werden, um positive Erfahrungen von Griechenland und Spanien zu übernehmen (Aufbau einer linken politischen Bewegung). Notwendig ist, sich mit Vertretern dieser Bewegungen zu treffen.
Wenn man keine dringende Maßnahmen zur Selbstorganisierung der Arbeiter in den Gewerkschafts- und Arbeiterkomitees ergreift, wird die Ukraine zu einem Sklavenhalterland.

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