Rede von Christoph Marischka*
Liebe Freundinnen und Freunde,
...was mit ersten Auslandseinsätzen der Bundeswehr Anfang der 90er Jahre am Golf und in Somalia begann und mit Luftangriffen auf Jugoslawien seinen ersten Höhepunkt fand, was sich mit fünfzehn Jahren Krieg in Afghanistan und zahlreichen, ebenso fruchtlosen – ja, katastrophalen – Einsätzen in Afrika fortsetzte, erreicht mit dem Einsatz in Syrien, im Irak und nicht zuletzt in der Türkei eine ganz neue Qualität. Dabei ist das Problem nicht an sich, dass der Einsatz sowohl verfassungs- als auch völkerrechtswidrig ist. Die Große Koalition hat ihn in sogenannter Solidarität mit der französischen Regierung beschlossen, die zugleich die Grundrechte ihrer Bürger außer Kraft gesetzt hat. Sie beruft sich dabei auf die Beistandsklausel der Europäischen Union, nach der die Anschläge von Paris als bewaffneter Angriff auf die gesamte Union gewertet werden, die nun in Selbstverteidigung weltweit den Terror militärisch bekämpfen soll. Wie diese Beistandsklausel überhaupt zu aktivieren sei, darüber wussten die Juristen der EU im übrigen keinen Rat, weshalb sie per Akklamation beschlossen wurde. Seither befinden wir uns im «Krieg gegen den Terror». Wir aber sagen: Krieg ist Terror und wir lehnen ihre heimliche Komplizenschaft ab.
Die Regierenden werden nicht müde, uns vor rechtsfreien Räumen zu warnen. Doch was sie selbst schaffen, sind rechtsfreie Räume. Sie schaffen diese in den Ruinen ihrer ehemaligen Interventionen und sie schaffen sie auch innerhalb der NATO, in der EU und in der Bundeswehr. Die rechtsfreien Räume entstehen gerade dort, wo die Polizei Sondervollmachten erhält und ohne richterliche Anordnung Gebäude stürmt, Menschen festnimmt oder sie per Drohnen exekutiert. Der Krieg gegen den Terror ist nichts anderes als der Vorwand des sich internationalisierenden, neoliberalen Staates, sich gegen seine eigene Bevölkerung zu bewaffnen.
Wir lehnen diesen Krieg ab und wir werden keine Ruhe geben, bis er beendet ist.
Liebe Freundinnen und Freunde,
im Aufruf zur heutigen Demonstration heißt es, Syrien habe sich zu einer Arena der Regional- und Großmächte entwickelt, in der diese um Macht und Einfluss kämpfen. Kein Wunder, dass die Menschen diese Arena massenweise verlassen, in der sie vom syrischen Regime, von russischen Marschflugkörpern, von französischen, britischen und US-amerikanischen Flugzeugen mit deutscher Beihilfe beschossen werden, während Milizionäre jedweder Couleur am Boden ihr Unwesen treiben. Die beteiligten Regierungen haben gänzlich unterschiedliche Vorstellungen, wer Syrien zukünftig regieren soll, die einen unterstützen die Salafisten, die anderen die Muslimbrüder. Sie unterstützen Truppen am Boden, die sich gegenseitig bekämpfen. Der Bundestag hat den Einsatz in Syrien an der Seite Frankreichs abgesegnet, als dieses noch eine enge Kooperation mit Russland und damit in der Praxis auch der Hisbollah erwogen hat. Wen wir bombardieren bzw. für wen wir die Zieldaten liefern, war den Abgeordneten im Bundestag egal, Hauptsache wir beteiligen uns militärisch. Dafür drücken wir auch beide Augen zu, wenn die Türkei derweil das macht, was Assad jahrelang vorgeworfen wurde, nämlich Krieg gegen die eigene, kurdische und demokratisch gesinnte Bevölkerung führt.
Das ist katastrophal, es ist gefährlich und dumm. Warum es trotzdem geschieht hat einen einfachen Grund: dass die Bereitschaft zu militärischem Eingreifen auf Veranstaltungen wie der Münchner Sicherheitskonferenz von der sogenannten strategischen Gemeinschaft wieder und wieder zur Voraussetzung internationaler Gestaltungsmacht erklärt und diese insbesondere für Deutschland vehement und als Selbstverständlichkeit eingefordert wird.
Vor wenigen Tagen wurde der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger in der Zeitung Welt interviewt und ließ sich fragen: «Wird Deutschland, wird die EU auf der internationalen Bühne überhaupt ernst genommen? Die harte Währung dort ist doch nach wie vor die Bereitschaft zum militärischen Engagement.» Und er antwortete: «Als Frankreichs Präsident Hollande nach den Pariser Anschlägen Artikel 42 Absatz 7 des Lissabon-Vertrags ausrief, mussten alle erst einmal nachlesen, was da drin steht – die militärische Beistandspflicht der EU-Staaten nämlich. Damit hat Hollande der EU doch eine Beckenbauersche Flanke in den Strafraum bugsiert, die man jetzt nur noch verwandeln muss... Also muss doch jetzt eine große Initiative gestartet werden, die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der EU endlich herzustellen. Erst wenn das passiert ist, wird man uns auf der Weltbühne ernst nehmen.» Und mit nationalistischem Impetus legte er nach mit der Forderung: «Deutschland muss Europa stark und einig machen!»
Liebe Freundinnen und Freunde, wir sind der Überzeugung, dass Deutschland in Vergangenheit und Gegenwart bereits genug Unheil über Europa gebracht hat. Wir distanzieren uns aufs Schärfste von solchen nationalistischen und militaristischen Parolen!
Nie wieder Deutschland – Nie wieder Krieg – Nie wieder Faschismus!
* Christoph Marischka ist Mitarbeiter der Informationsstelle Militarisierung (IMI), Tübingen.
(in Auszügen)
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