Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2017
Fluch oder Segen für die Lohnabhängigen?
von Werner Seppmann

Computereinsatz führt zu einer erheblichen Intensivierung der Arbeit. Denn es sollen damit nicht nur die Produktions- und Administrationsvorgänge effektiver gestaltet werden, auch die Überwachung der Beschäftigten soll intensiviert werden – die üblichen kapitalistischen Prozesse der Profitmaximierung werden dadurch auf die Spitze getrieben.

Das betrifft nicht nur den Produktionssektor, sondern in einer bisher nicht gekannten Intensität auch die Bereiche Verwaltung und Administration. Dort ist die digitale Mitarbeiterlenkung und automatisierte Leistungskontrolle schon Realität. Selbst der Motivationslevel und die «Arbeitsfreude» können gemessen und «berechnet», aber auch die betrieblichen Beziehungsstrukturen auf «Unregelmäßigkeiten» überprüft werden – bspw. ob sich unerwünschte «informelle» Kontakte anbahnen.

Digitalisierte Abläufe prägen bereits den Alltag an den Kassen der Supermärkte und in den Logistikzentren. Jede Regung der Kassiererin wird erfasst, die Lagerarbeiter tragen «personalisierte» Computer am Körper, die jeden Handschlag registrieren und jeden Arbeitsschritt vorschreiben.

Welche Belastungen das für die Beschäftigten mit sich bringt, ist unübersehbar geworden. Doch der Ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske (in dessen Verantwortungsbereich die ausgewählten Beispiele fallen) spricht von der Digitalisierung, als ob sie eine Herausforderung in der Zukunft wäre und die Gewerkschaften dann Gewehr bei Fuß ständen, um die «Umlenkung und Ausschöpfung der ‹Digitalisierungsdividende›» zum Vorteil der Beschäftigten und die Ummünzung der «technischen Umbrüche in gesellschaftlichen Fortschritt» sicherzustellen. Dabei hat das Kapital schon längst Fakten geschaffen – und von einer «Digitalisierungsdividende» für die Lohnabhängigen ist weit und breit nichts zu sehen. Dafür ist immer deutlicher geworden, dass der Computer nicht eine neutrale Maschine ist – was in den Führungsetagen der Gewerkschaften immer noch unterstellt wird –, sondern im Gegenteil eine Technologie, die entsprechend dem Kapitalinteresse strukturiert ist und auch so funktioniert.

 

Berechtigte Skepsis

Bis vor zwei Jahren waren Belegschaften in der Bewertung des digitalen «Fortschritts» noch unentschieden. Die eine Hälfte versprach sich davon Vorteile, die andere war skeptisch. Mit fortschreitender Verbreitung computergesteuerter Abläufe und informationstechnologischer Vernetzung hat sich das Stimmungsbild gewandelt. Fast zwei Drittel der Lohnabhängigen neigen mittlerweile eher zur Skepsis. Beschäftigte, die konkrete Erfahrungen mit dem Computer als Leistungsstimulator und Kontrollinstanz gemacht haben, können viele schlechte Gründe für ihre Bedenken nennen.

Dass die Kapitalseite hingegen diesen «technischen Fortschritt» begrüßt, ist verständlich. Sie hat auch nichts dagegen einzuwenden, dass dadurch weniger lebendige Arbeit in Anspruch genommen werden muss. Sollte sich die Prognose, digitalisierte Maschinen würden lebendige Arbeit flächendeckend verdrängen, tatsächlich bewahrheiten, würden sich aus ihrer Sicht viele «ärgerliche Dinge» auf einen Schlag lösen lassen: Endlich könnte den steigenden Produktionskosten durch eine preisgünstige neue Generation von Automaten Einhalt geboten werden. Und sollten Roboter ernstlich zu Konkurrenten für den Menschen werden, wäre endlich Schluss mit den «maßlosen» Ansprüchen der Arbeiter und Angestellten. Forderungen nach menschengemäßen Arbeitsbedingungen, betrieblicher Mitbestimmung und sozialer Absicherung würden dann vielleicht schon bald der Vergangenheit angehören.

Dazu wäre es auch gar nicht nötig, dass die Roboter die Arbeit ganz verdrängen. Denn auch das Kapital macht sich mittlerweile keine Illusionen mehr, dass die menschenleere Fabrik ein flächendeckendes Modell für die Zukunft sein kann. Bei allen Automatisierungsvorhaben in der Vergangenheit wurde deutlich, dass auf die Kompetenz und Kreativität eines Kerns von unmittelbaren Produzenten nicht verzichtet werden kann.

Dennoch hindern diese Erfahrungen die Propheten der «flächendeckenden Automatisierung» nicht daran, in geradezu atemberaubender Weise die Tatsachen zu verdrängen und immer noch das große Wort zu führen: Stets aufs neue werden die technischen Möglichkeiten «übertrieben und fundamentale Unterschiede zwischen zwar anpassungsfähigem, aber algorithmisch determiniertem Verhalten digital gesteuerter Maschinen und autonom intentionalem Handeln von Menschen ignoriert. In positivistisch verengten Interpretationen … werden Roboter und Multiagentensysteme umstandslos mit lebendigen, einfühlsamen, zu Empathie und Reflexion ihres kontextbezogenen Erlebens und Handelns fähigen Körpern von Menschen gleichgesetzt. Übersehen wird dabei … die Differenz deterministischen Verhaltens zu intentional gesteuertem, Sinn erzeugendem menschlichen Handeln und Verstehen im Kontext sozialer Praxis» (Peter Brödner*).

 

* Peter Brödner: Industrie 4.0 und Big Data. Zwischen Hype und Horror auf dem Weg in eine bessere Welt? Bergkamen 2016 (pad-Verlag, 5 Euro).

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