Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2017
Wien: Mandelbaum-Verlag, 2017. 453 S., 15 Euro
von Hermann Dworczak

Roman Rosdolsky ist auch in linken Kreisen eher nur «Spezialisten» bekannt. Völlig zu Unrecht: Sowohl sein politisches Wirken und erst recht seine theoretische Arbeit sind mehr als bemerkenswert.

Roman wurde 1898 im damals österreichischen Lemberg in einer ukrainischen Familie geboren. Er politisierte sich bereits als Gymnasiast, wurde Sozialist bzw. Kommunist. Er studierte in Prag und Wien (wo er auch Emmy kennenlernte). Durch die Stalinisierung der kommunistischen Bewegung näherte er sich der Linken Opposition um Trotzki an. Als die Nazis Polen besetzten, wurde er verhaftet und überlebt mehrere (!) KZs. Nach dem Krieg lebte er mit seiner Frau zunächst in Oberösterreich. Nach der Entführung des revolutionären Marxisten Karl Fischer durch den sowjetischen NKWD entschlossen sich Emmy und Roman in die USA zu gehen, wo Roman 1967 starb. Er blieb sein Leben lang seinen politischen Positionen treu.

Rosdolsky hinterlässt ein reichhaltiges theoretisches Schaffen. Besonders seine Studien zur «nationalen Frage» eröffnen völlig neue Perspektiven, die auch auf der Linken kaum rezipiert sind. Im wahrscheinlich besten Kapitel des vorliegenden Buches, «Roman Rosdolsky und das Nationalitätenproblem. Warum Marx und Engels nicht recht hatten…», wird das bündig  dargelegt. Vor allem Engels verfasst unter dem Eindruck der bürgerlichen Revolution 1848/49 eine Reihe von Artikeln, indem er einigen Völkern – inbesonders den Slawen (mit der Ausnahme Polens) – die Geschichtsmächtigkeit, also die Fähigkeit zur Nationenbildung abspricht und sie als «geschichtslose Völker», «Völkertrümmer» u.ä. bezeichnet. Dabei unterstellt er ihnen undifferenziert konterrevolutionäres Gebaren.

Rosdolsky geht in seiner Analyse weit darüber hinaus, untersucht die widersprüchliche Lage der «Bauernnationen», besteht darauf, dass ihre Entwicklung keinesfalls abgeschlossen ist oder eindimensional verlaufen muss – wie auch der reale Verlauf der Geschichte unmissverständlich gezeigt hat. Und im Kapitel «Roman Rosdolskys Jugend in Lemberg (1898–1926)» erfährt man eine Menge über die Komplexität der nationalen Frage in der Ukraine – die bekanntlich bis zum heutigen Tag reicht!

«Rosdolskys Studien über revolutionäre Taktik» zeigen in beeindruckender Weise, wie sich die «Friedenspolitik» der Bolschewki unter Lenin und Trotzki fundamental von der der Sozialdemokratie und des Stalinismus («friedliche Koexistenz») unterschied.

Für eine umfassende, nicht verkürzte Rezeption des Werkes von Marx war und ist Rosdolskys Buch Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen «Kapital», das Ende der 60er Jahre erschien, von großer Bedeutung.

Auch Emmy Rosdolsky engagierte sich früh politisch, zuerst im Verband Sozialistischer Mittelschüler, dann im Kommunistischen Jugendverband – das behandelt das Kapitel «Emmy Meders Jugend und politische Anfänge in Wien (1911–1926)». Sie kämpft gegen den Austrofaschismus, die Nazis und steht gegen den Stalinismus. Auf ihr lastet auch zumeist die Sorge um das finanzielle Auskommen der Familie. Ich traf Emmy mehrmals in Wien, wohin sie nach dem Tod von Roman zurückgekehrt war, und war stets von ihrem scharfen politischen Verstand überrascht.

Ich habe die spannenden 450 Seiten über Emmy und Roman Rosdolsky in eineinhalb Tagen geradezu verschlungen. Ich kann sie nur allen empfehlen, die sich kritisch mit der Geschichte und Theoriebildung der Arbeiterbewegung auseinandersetzen möchten.

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