Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2018
Sturm kommt auf
von Angela Klein

Das war denkbar knapp. 3–4 Prozent weniger, und dem Beschluss des SPD-Parteitags hätte die Legitimation zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen gefehlt. Die Zustimmung großer Landesverbände wie NRW und Hessen wurde erreicht, indem drei zentrale Forderungen für Nachverhandlungen aufgenommen wurden:

– eine großzügigere Regelung des Familiennachzugs bei geduldeten Flüchtlingen;

– die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen, insbesondere bei Jugendlichen;

– die Angleichung der Honorarverträge für gesetzlich und privat Krankenversicherte (damit es für Ärzte nicht lukrativer ist, Privatpatienten zu behandeln).

Für die Führungen der Landesverbände war das ein Weg, für die Fortsetzung der Verhandlungen stimmen zu können. Die Jusos hingegen sind bei ihrem grundsätzlichen Nein zur GroKo geblieben.

Interessant ist, dass Widerstände hauptsächlich aus Städten und Regionen wie Dortmund, Stuttgart, Hessen und einigen Ostländern (Sachsen-Anhalt, Thüringen, Berlin) kamen: die ersteren stützen sich auf eine gut verdienende Facharbeiterschaft, die letzteren stecken zum Teil in Koalitionen mit der LINKEN. Den Sprecher der Opposition haben aber auch auf diesem Parteitag wieder die Jusos gegeben, von den SPD-Promis, die im Vorfeld Kritik am Sondierungsergebnis hatten, ging auf dem Parteitag niemand für ein Nein in die Bütt. Es gibt ein tiefes Unbehagen in der SPD, das derzeit noch kein richtiges Sprachrohr findet.

 

Die bisherigen Ergebnisse der Sondierungsgespräche enthalten handfeste gesellschaftliche Rückschritte: so die Erklärung, die Klimaziele für 2020 nicht einzuhalten, oder die Obergrenze für Flüchtlinge, ihre Kasernierung in Sammelunterkünften und die Verweigerung des Familiennachzugs für Geduldete. Auf der anderen Seite wird versucht, die Klientel der SPD ein bisschen zu bedienen, indem Haushalte mit unterem und mittlerem Einkommen, vor allem wenn sie Kinder haben, entlastet werden.

Ein Forscherteam vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und vom Institut für die Zukunft der Arbeit (IZA) hat im Auftrag der Süddeutschen Zeitung ausgerechnet, was die GroKo den deutschen Haushalten finanziell bringen würde. Sie kommt zum Ergebnis, dass sowohl Menschen mit kleinem Einkommen (die SPD-Klientel) als auch Mittelschichten (von SPD und CDU umworben) besonders profitieren würden. Und zwar durch folgende Maßnahmen:

– wer unter 70000 Euro brutto im Jahr verdient, zahlt keinen Soli mehr;

– das Kindergeld steigt um 25 Euro monatlich pro Kind; der Kinderfreibetrag steigt; der Kinderzuschlag für Geringverdiener wird ausgeweitet;

– die Krankenversicherung zahlen Beschäftigte und Firmen wieder je zur Hälfte;

– der Arbeitslosenbeitrag sinkt um 0,3 Prozent (eine fragwürdige Wette auf die Konjunktur).

Diese Maßnahmen, so rechnen die Forscher, würden Alleinstehenden, die etwas über 20000 Euro im Jahr verdienen, künftig 226 Euro mehr im Jahr bringen; eine Familie, die brutto 80000 Euro im Jahr verdient, hätte 1500 Euro mehr in der Tasche, während der Gutverdienende mit 120000 Euro im Jahr weniger profitieren würden als Alleinerziehende mit einem Kind. Haushalte ohne Kinder werden im Schnitt um knapp 300 Euro entlastet, Alleinerziehende um mehr als 500 Euro, Paare mit Kindern um mehr als 1000 Euro. Klare Sache: Einkommensmäßig ist GroKo besser als Jamaika.

 

Auf diesen «Erfolgen» ist die SPD-Spitze weidlich herumgeritten, als sie auf dem Sonderparteitag für das Ja zu Koalitionsverhandlungen warb. Doch es sieht danach aus, dass dieses Angebot nicht mehr reicht. Bei Licht betrachtet sind die paar hundert Euro, die es im Jahr jetzt mehr geben soll (und wer weiß, wodurch sie alles aufgefressen werden!) lächerlich im Vergleich zu den Milliarden, die sich die Reichen und Besserverdienenden jährlich unter den Nagel reißen. Von einer ernsthaften Korrektur der ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen, die so dringend nötig ist, kann keine Rede sein. An eine grundsätzliche Kehrtwende in der Steuerpolitik geht die Koalition nicht ran. Und das, obwohl die Haushaltskasse des Bundes prall gefüllt ist und die Konjunktur brummt!

Zum anderen aber gibt es mit Ausnahme der Aufhebung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen – die noch nicht im Koalitionsvertrag steht! – keine einzige Maßnahme, die etwas an den strukturellen Verschlechterungen ändern würde, die eine jahrzehntelange Politik der Privatisierung und Deregulierung, vor allem des Arbeitsmarkts, gebracht und die Position der abhängig Beschäftigten so dramatisch verschlechtert hat: angefangen bei der Agenda 2010, der Plünderung der Rentenkassen, dem Raubbau am öffentlichen Gesundheitswesen. Der Druck auf die Löhne, die Mieten, die Arbeitsbedingungen bleibt bestehen. In der vergangenen Regierungsperiode gab es wenigstens den gesetzlichen Mindestlohn, so unzureichend er ist. Hätte die SPD-Führung eine echte Bürgerversicherung zur Bedingung für eine Koalition oder Tolerierung gemacht – mit derselben Härte wie die CSU ihre Antiflüchtlingspolitik durchgezogen hat –, wären ihr wohl die Herzen zugeflogen, aber das traut sie sich nicht.

Das in den Sondierungen Erreichte ist zu wenig für eine Mitgliedschaft, die nach den katastrophalen Wahlergebnissen den Eindruck hat, dass sie in der vorherigen Legislaturperiode über den Tisch gezogen wurde. Die Absichtserklärungen der Führung verfangen nicht mehr, ein großer Teil der Mitgliedschaft meint inzwischen, das Sondierungsergebnis sei zu unverbindlich und hinterher würden die SPD-Minister doch einknicken. Die Basis traut ihrer Führung nicht mehr über den Weg. Grund genug hat sie dafür.

 

Die Union tut mit aller Härte kund, Nachverhandlungen seien nicht möglich, man weiß nicht so recht, tut sie das, weil sie die GroKo platzen lassen will (Dobrindt ist es zuzutrauen, Merkel eher nicht) oder weil sie die SPD noch kleiner machen will (auch ein riskantes Spiel) oder weil der Druck ihrer Basis so groß ist, der neuen Koalition auf jeden Fall einen konservativen Stempel aufzudrücken. Die CSU hat bei den letzten Bundestagswahlen am meisten verloren, aber sie ist diejenige, die am härtesten auftritt und die rechtesten Positionen durchboxt. Getrieben von der Angst, der Wahlerfolg der AfD könnte sich bei den Landtagswahlen in Bayern in diesem Jahr wiederholen, treibt sie die SPD vor sich her ohne Rücksicht auf Verluste. Die Kanzlerin hat es nicht mehr mit einer Koalition zu tun, von der ihre Wählerbasis erwartet, dass sie das Schiffchen sicher durch die Stürme führt, sondern dass sie im Verteilungskampf härter auftritt. Merkel kommt massiv von rechts unter Druck, mit Moderation allein ist da nichts zu machen, da müsste sie den Mut haben, die Linksverschiebungen, die sie in den letzten Jahren in der CDU durchgesetzt hat, offensiv gegen die rechte Mischpoke zu verteidigen. Das kann sie nicht – da ist sie mit ihrem Latein am Ende, die neue Regierung verspricht bestenfalls ein Durchwurschteln.

 

Anders als die vorhergehende steht diese Große Koalition, so sie denn kommt, zunehmend unter dem Druck gegensätzlicher Erwartungen. Merkel, Schulz, Seehofer – alle sind angezählt. In allen diesen Parteien sind heftige Auseinandersetzungen absehbar und auch in den Gewerkschaften werden sie einen Niederschlag finden. Der Offene Brief der NGG-Spitze an den DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann wird da wohl nur ein Auftakt sein (siehe S.8).

Das schafft neuen Spielraum für soziale Bewegungen, den gesellschaftlichen Protest wieder zu einem eigenständigen und starken Akteur zu machen. Das ist die Chance für die Linke mit großen und kleinen Buchstaben, wenn sie es denn versteht, sie zu ergreifen.

Teile diesen Beitrag:

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.