Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2022

Die Union führt Kampagne gegen das ›Bürgergeld‹
von Daniel Kreutz

»Wir lassen Hartz IV hinter uns«, versprach die SPD im Wahlkampf und weckte damit, zusammen mit dem Versprechen, den Mindestlohn auf 12 Euro anzuheben, Hoffnungen, das Geld könne auch mal bis zum Ende des Monats reichen. Danach sieht es nicht aus – im Gegenteil.

Da entfachen durchweg reiche bis wohlbestallte Leute in der Pose von Volkstribunen für hart arbeitende Geringverdienender eine widerwärtige Sozialneid-Kampagne gegen die arbeitslosen Armen: Für CDU-Chef Merz geht es darum, ob »derjenige, der in unserem Land arbeitet, mehr verdienen soll als derjenige, der nicht arbeitet und Transferleistungen erhält«. Es drohe ein Systemwechsel, das Bürgergeld sei der »Weg in ein bedingungsloses Grundeinkommen«. CSU-Chef Söder befürchtet eine »völlige Umkehr des Grundsatzes, dass wer arbeitet, muss mehr haben, als wer nicht arbeitet«.
Die B- und C-Promis der Union ­blasen nach Kräften ins gleiche Horn um zu begründen, warum sie die ­»zutiefst unsoziale« (CDU-General ­Czaja) Hartz-IV-Reform unbedingt erstmal im Bundesrat blockieren müssen, wo dann Bayerns Staatsminister Florian Herrmann nochmals von einer Preisgabe des Lohnabstandsgebots fabuliert.
Tatsache ist erstens: Durch die Freibeträge für Erwerbseinkommen hatten Lohnarbeitende in Hartz IV schon immer mehr als Nichterwerbstätige. Und die Reform will die Freibeträge für Löhne zwischen 520 und 1000 Euro anheben.
Tatsache ist zweitens: Sämtliche »Berechnungen«, die eine Verletzung des Lohnabstandsgebots belegen sollen, sind falsch. Beim Haushaltseinkommen Geringverdienender ohne Leistungsbezug ignorieren sie meist die eine oder andere vorgelagerte Sozialleistung wie Kindergeld, Kinderzuschlag, Wohngeld oder Unterhaltsvorschuss.
Auch die fünfköpfige Familie eines alleinverdienenden Vollzeit-Niedriglöhners ohne Hartz IV-Anspruch hat unterm Strich 254 Euro mehr als der gleiche Haushalt ohne Erwerbstätigkeit mit »Bürgergeld« – nicht, wie das »seriöse« Kieler Institut für Weltwirtschaft Anfang November in einer flugs vom »seriösen« Handelsblatt berichteten »Studie« behauptete, 884 Euro weniger. Zwar zogen die Kieler ihre Rechnung tags darauf zurück. Aber da hatte CDU-Vize Linnemann die Fake News bereits am Vorabend bei Maybrit Illner breitgetreten.
Unerklärlich erscheint, dass die Union trotz ihrer Behauptungen die vorgesehene Anhebung der Regelleistungen unterstützt und »anbot«, diese auszukoppeln und »sofort« zu vollziehen. Im Widerspruch zum Theaterdonner wegen des Lohnabstandsgebots steht auch, dass sie sowohl gegen die Einführung des Mindestlohns, als auch gegen dessen jüngste Erhöhung gefochten hat.
Tatsächlich haben die konkreten Punkte, gegen die sich die Union wendet – Karenzzeit mit Schutz eines erhöhten Schonvermögens, Verzicht auf Zwangsumzüge aus »zu teuren« Wohnungen sowie Reduzierung der Sanktionen – mit dem Lohnabstand gar nichts zu tun. Da geht’s darum, dass es beim strukturell gewaltsamen Schurigeln – auch gegenüber aufstockenden Arbeitenden – kein Pardon geben darf.
Allerdings: Beim Schonvermögen und der Wohnung werden nur Erleichterungen verstetigt, die wegen der Coronakrise mit Zustimmung der Union durch die GroKo eingeführt worden waren. Hiergegen und gegen die Reduzierung der Sanktionen trommeln indes auch die Arbeitgeberverbände.

Hand in Hand
Da mag zunächst erstaunen, dass die FDP das »Bürgergeld« verteidigt. Dafür sind zwei Gründe erkennbar: Zum einen ist sie für die Karenzzeit-Regelungen bei Vermögen und Wohnung, seit die Coronakrise – jetzt die Energiepreiskrise – das Risiko des Absturzes in Hartz IV für selbständige Mittelständler:innen erheblich erhöht hat. Für eine Klientel aus besseren Kreisen scheinen den Liberalen die harten, dem meist eigentumslosen Pöbel zugedachten Regelungen doch unangemessen.
Zum anderen sind höhere Freibeträge für Arbeitseinkommen schon traditionell ein FDP-Thema, damit unzureichende Niedriglöhne mit Aufstockung vom Jobcenter (Kombilohn) »attraktiver« und möglichst ausgeweitet werden.
Ganz nebenbei werden in der von der Unionskampagne geschaffenen Debattenlage harte Sanktionen zum »Anreiz« (ein nach allgemeinem Verständnis positiv besetzter Ausdruck) umdefiniert. Nach vielen Jahren öffentlicher Kritik am Sanktionsregime, gestützt auch von wissenschaftlichen Studien, suchen Arbeitgeber und rechte Opposition vor allem jene menschenverachtende Erzählung zu stärken, die schon bei der Einführung von Hartz IV Pate stand: dass Arbeitslose zur Faulheit neigten und nur durch harte Sanktionsdrohungen eines Besseren zu belehren seien (Gerhard Schröder: »Es gibt kein Recht auf Faulheit!«).
In der Wochenzeitung Freitag war zu lesen, das rechtsextreme Blatt Junge Freiheit habe Falschberechnungen zum Lohnabstand produziert, »die zuerst von AfD-Kreisverbänden, dann auch von Union und Arbeitgeberverbänden verbreitet wurden«. Tatsächlich sind AfD und Union in ihrer »Kritik« am Bürgergeld kaum unterscheidbar und erstere beansprucht das Copyright.
Die Fake-News-Kampagne wird von Mitte-Rechts bis Rechtsaußen gemeinsam betrieben, wobei die AfD mit ihrer Forderung nach Zwangsarbeit für die hartzenden Faulenzenden wieder den Marktführer in Sachen Hetze gibt. Wer fühlt sich da nicht an Donald Trump erinnert und an die Geister, die er rief?

Auch künftig gilt ›Fördern und Fordern‹
Die Hetzkampagne gegen das »Bürgergeld« spaltet die Lohnabhängigen mit und ohne Job und schürt Aggressionen gegen Arme. Wenngleich mittlerweile viele Medien auf Distanz zu den »Verteidigern des Lohnabstandsgebots« gehen – das Gift ist freigesetzt, verbreitet sich und wirkt. Laut ZDF-Politbarometer vom 11.11.22 fanden 58 Prozent der Befragten das Bürgergeld eher schlecht, 68 Prozent sahen zu wenig »Anreize« zur Arbeitsaufnahme.
Zumindest einen Vorteil können SPD und Grüne aus der rechten Kampagne ziehen: Sie können sich in ihrer Selbstdarstellung bestätigt fühlen, das »Bürgergeld« sei eine sozialpolitische Großtat – die Überwindung von Hartz IV, ein sozialer Systemwechsel. Falsch sind solche Bewertungen dennoch. Es handelt sich um eine Reform innerhalb des Hartz-IV-Systems, die dessen Grundsätze an keiner Stelle in Frage stellt. Die »Erhöhung« der Regelsätze bremst nur den Kaufkraftverlust.
Wie die Forschungsstelle des Paritätischen Wohlfahrtsverbands errechnete, wären ab Januar statt 502 Euro 725 Euro erforderlich, um die Grundsicherung armutsfest zu machen. Obwohl selbst die Jobcenter vor einer Explosion der »Energiearmut« warnten, soll es dabei bleiben, dass Haushaltsenergie aus dem Regelsatz zu bezahlen ist, statt die (»angemessenen«) Kosten in tatsächlicher Höhe zu übernehmen.
Auch künftig gilt »Fördern und Fordern«: Sanktionen sollen das amtliche Existenzminimum, ohnehin zu gering, um ein Leben zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht, um bis zu 30 Prozent kürzen können. Die »Zumutbarkeit« mit der Verpflichtung zur Annahme unterwertiger und prekärer Jobs soll bleiben. Und nicht zuletzt: Die große Mehrheit der (registrierten) Erwerbslosen – in NRW im Oktober fast drei Viertel – sowie viele Arbeitende bleiben ohne Schutz der Arbeitslosenversicherung auf das Fürsorgesystem verwiesen.
Auf dieser Grundlage verspricht die Reform eine Reihe von Erleichterungen und Leistungsverbesserungen, die wichtig sind für diejenigen, die sie nutzen können. Dazu gehört etwa die Stärkung der Qualifizierung – auch durch den Wegfall des Vorrangs der Vermittlung in irgendeinen Job, dessen Lohn die Leistungsausgaben mindert.
Die Karenzzeitregelungen zu Wohnung und Schonvermögen dürften hauptsächlich Neufällen zugutekommen, die zuvor relativ besser situiert waren. Der Bestand hat ohnehin kein »Vermögen« und die restriktive Prüfung der »Angemessenheit« der Wohnung längst hinter sich. 2021 mussten im Schnitt (bei hohen Spreizungsbreiten) 15,4 Prozent der Hartz-IV-Haushalte für ihre Miete 90,79 Euro monatlich aus dem Regelsatz zuzahlen (bei Alleinerziehenden waren es 17,1 Prozent und 98,60 Euro).
Gleichwohl wäre gut, wenn allen von Hartz IV Bedrohten im Ernstfall die Sorge um den Erhalt der Wohnung zumindest für zwei Jahre genommen und sie nicht gleich vom ersten Tag an mit Sanktionsdrohungen überzogen würden. Die Notwendigkeit des Kampfs für eine sozialstaatliche Überwindung von Hartz IV im Rahmen eines sozialökologischen Richtungswechsel bleibt uns trotzdem unvermindert erhalten.

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