Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2023

Die Berliner Krankenhausbewegung hat ein Buch geschrieben
von Gisela Notz

Silvia Habekost u.a. (Hrsg.): Gebraucht und beklatscht – aber bestimmt nicht weiter so! Geschichte wird gemacht: Die Berliner Krankenhausbewegung. Hamburg: VSA, 2022. 108 S., 10 Euro.

Es ist ein außergewöhnliches Buch. Kein Wunder, dass es in der Reihe »Widerständig« bei VSA in Hamburg erschienen ist. Gebraucht und beklatscht – aber bestimmt nicht weiter so! – der Titel ist Programm.

Vom Balkon aus applaudiert werden, das reicht den Beschäftigten in Altenheimen und Krankenhäusern nicht. Sie wollen gerechtere Löhne, mehr Personal und bessere Arbeits- und Tarifbedingungen, um sich selbst, die ihnen Anvertrauten und die Patient:innen gut versorgen zu können. Denn fast alle brauchen irgendwann Pflege oder medizinische Versorgung. Den Slogan »Mehr von uns ist besser für alle« hatten sie schon lange entwickelt. Er ist so einfach wie einleuchtend.
In dem Band schreiben Beschäftigte aller Ebenen über die Zustände in ihren Einrichtungen. Es ist kein Buch über sie, sondern von ihnen, das ist das Besondere. Etliche Erfahrungsberichte sind aus Reden bei Demonstrationen der Kampagne entstanden. Die Beteiligten sind sich sicher: »Wir sind die Expert:innen unserer eigenen Arbeitsbedingungen!« Das Buch ist übersichtlich gegliedert, die Artikel beschreiben die Zustände und die Hintergründe, die sie verursachen, aber auch, warum die Autor:innen handeln müssen; die Bilder der Aktionen und Personen unterstreichen den Power der Bewegung.
Das Buch ist in fünf Teile aufgeteilt. Im ersten Teil beschreibt die Tochter einer Patientin, warum es so nicht weitergehen kann. Das ist eine Perspektive, die meist verwendet wird, um die Streikenden zu beschuldigen. Hier wird jedoch deutlich, wer wirklich die Verantwortung für dieses System trägt.
Es folgt die Beschreibung einer Auszubildenden, die am liebsten gleich wieder aufgehört hätte. Der kollektive Widerstand hat ihr ermöglicht, dabeizubleiben.
Der zweite Teil erzählt die Vorgeschichte der Berliner Krankenhausbewegung, die bei Vivantes, der Charité und den Vivantes-Töchtern ihren Ausgang nahm.
Geschrieben haben Krankenpfleger:innen, Psychotherapeut:innen, Betriebsrät:innen, Gewerkschaftsaktive und -sekretär:innen, je ein/e Ergotherapeutin, Logopädin, Sterilisationsassistent, Physiotherapeutin, Küchenarbeiter, Hebamme, Ausbilder und Auszubildende, Elektriker, die Tochter einer Patientin. Nicht alle Texte wurden von einzelnen verfasst, einige entstanden im Team, für andere wurden die Gespräche von Krankenhaus-Kolleg:innen aufgezeichnet.
Das gilt auch für den dritten Teil, in dem Kolleg:innen berichten, wie sie in die Bewegung gekommen sind. Im vierten Teil wird dargelegt, wie es zu den Erfolgen kam, wie die basisnahen Verhandlungen abliefen, mit denen sich die Unternehmerseite arrangieren musste, sowie die Erlebnisse des Streiks selbst.
Der letzte Teil »Der Kampf geht weiter!« zieht ein Fazit. »Die Kämpfe haben gezeigt, dass es möglich ist zu gewinnen, wenn man sich organisiert und solidarisch für eine bessere Welt kämpft«, heißt es da unter anderem. Viele sind durch den Streik erst aktiv geworden, haben gemerkt, dass man kollektiv viel erreichen kann. Die Gewerkschaft Ver.di hat davon profitiert, der Organisationsgrad in diesen vorher (scheinbar) schwer zu organisierenden Beschäftigtengruppen in den beteiligten Krankenhäusern ist hoch.
Alle Beteiligten beschreiben, wie sie Seite an Seite solidarisch gekämpft, Siege und Niederlagen erlebt, gelacht und geweint haben. Nach 30 Tagen Streik an der Charité, 35 Tagen bei Vivantes und 43 bei den Vivantes-Töchtern konnten sie den Sieg feiern. Die Erfahrungen, wie sie gezwungen werden, Patient:innen schlecht zu versorgen, wollen sie alle nicht mehr machen. Dafür werden sie weiterkämpfen. Sie hoffen, dass »viele andere Kolleg:innen sich trauen, [auch] in diesen Kampf zu gehen«. Auch deshalb haben sie das Buch geschrieben.
Es verdient viele Leser:innen. Es sollte nicht nur für Seminare und gewerkschaftliche Bildungsarbeit verwendet werden, sondern auch in Schulen, Ausbildung, an Universitäten und anderswo eingesetzt werden.

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.