An den Rand notiert
von Rolf Euler
Seit langem gehen mir die Kaufzentren, Palais, Malls und wie sie immer heißen, auf den Geist mit ihrem Überangebot. Aber das wollte ich – wegen der Suche nach einer Hose – doch genauer wissen. Was mich dazu brachte, in dem hiesigen »Palais« zu zählen, wie viele Geschäfte vertreten sind, die Bekleidung anbieten. Wohlgemerkt: zusätzlich zum Angebot an bekannten Häusern wie Sinn oder PC und den vielen Boutiquen und kleinen Geschäften, die in der übrigen Fußgängerzone sonst noch vertreten sind.
Ich war dann doch überrascht, dass ich in zwei Etagen auf sage und schreibe 24 Geschäfte kam, die dort ihre Türen öffnen, einschließlich der »Großen« wie C&A und H&M, und obwohl Primark noch nicht einmal vertreten ist. Vierundzwanzig kleine und große Läden, die meistens Damenoberbekleidung verkaufen, sich Konkurrenz machen, von jeder Größe zwei bis drei Exemplare vorrätig haben. Die Regale und Tische liegen voll, die Ständer hängen voll, Hosen, T-Shirts, Hemden, Kleider, Jacken, als stünde die Sommersaison erst vor der Tür. Überall Schilder mit »Sale« und Prozentzahlen, die Abschläge ankündigen. Überall dazwischen die neue Herbstware. Und überall eine bis zwei gestresste Verkäuferinnen, die »den Laden schmeißen« müssen.
Was geschieht mit all den Sachen, die im Frühjahr und Sommer ständig neu in die Geschäfte kommen, deren Modeverfallsdatum sich inzwischen nach Wochen berechnet, bei einigen sogar nach Tagen, in denen sie im Fenster ausgewechselt werden?
Endgültig zuviel bekam ich in einem Bekleidungshaus, nach Hosen suchend, als ich zum »Sale»-Ständer schaute. Kaum zu glauben: Zusätzlich zu allen kurzen Hosen der laufenden Saison auf den Haupttischen und -ständern – ebenfalls teilweise schon mit überklebten Preisetiketten – hing in der hinteren Ecke ein ganzer Doppelständer voller kurzer Hosen, anscheinend aus der Vorsaison. Auch hier nahm ich mir die Zeit zu zählen. Es hingen auf dem Ständer sage und schreibe über 300 kurze Hosen in verschiedenen Ausstattungen und Farben! Wie viele der erwachsenen männlichen Einwohner unserer Stadt würden sich Mitte August noch eine dieser Hosen kaufen? Aus einem Geschäft von vielen, in denen genauso überschüssige Hosen hängen?
Der kapitalistische Überproduktionswahnsinn feiert hier seine inhumanen Auswüchse. Diese Hosen sind alle von Billigarbeitenden in Südostasien genäht worden. Die Baumwolle dazu ist unter erheblichen Umweltschäden angebaut und geerntet worden. Weite Schiffstransporte laden die Sachen in unseren Häfen ab. Immer neue Saisonware, die schon längst für das nächste Jahr vorbestellt ist, wird im Winter geliefert: neue kurze Hosen für 2024… Und die Hosen der vergangenen und der jetzigen Saison werden von einem Ständer vorn immer weiter nach hinten durchgereicht, bis sie wohin gehen? Nach Afrika als Second-Hand-Ware? In die Müllsammlung? Was passiert mit den Unmengen an Kleidung, die produziert und nicht verkauft werden?
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