Lidl lohnt sich nur für Dieter Schwarz
von Albrecht Kieser
Der Discounter Lidl ist als gewerkschaftsfeindlicher Konzern bekannt. Doch immer wieder regt sich hier auch Widerstand. »Lohnt sich Lidl?«, fragen sich gerade zahlreiche der 200 Beschäftigten im Lager des Einzelhandelskonzern in Herne. Und nicht nur da. Vermutlich haben sich viele der rund 100000 Beschäftigten des Unternehmens in Deutschland diese Frage schon einmal gestellt.
Vielleicht hat das damit zu tun, dass der Konzern seine Niederlassungen weitgehend ohne Betriebsräte betreibt. 39 Lager und Verteilzentren sorgen bundesweit für die Belieferung der mehr als 3000 Filialen. Nur in vier dieser Verteilzentren werden die Beschäftigten von einem Betriebsrat unterstützt. Beim Rest: gähnende Leere, was die gesetzliche Interessenvertretung der Belegschaft betrifft. Und in den Filialen: überhaupt kein Betriebsrat. Nirgends.
Wenn man weiß, dass in Betrieben ohne Betriebsrat die Löhne meist niedriger, die Arbeitsbedingungen schlechter und das Betriebsklima unangenehmer ist als in Betrieben mit Betriebsrat, dann kann die Frage, ob sich Lidl lohnt, für die Lidl-Beschäftigten also mit einem »nicht wirklich« beantwortet werden.
Ein Betriebsrat soll liquidiert werden
Der Eigentümer des Konzerns, Dieter Schwarz, wird die Frage anders beantworten: Ja, für ihn lohnt sich Lidl. Er ist der reichste Mann Deutschlands mit etwa 40 Milliarden Euro Vermögen. Damit auch das Lager in Herne seinen Beitrag für mehr Profit von Schwarz und Freunden leistet und die Beschäftigten keinen höheren Anteil vom Umsatz bekommen, versucht der in Herne 2022 neu installierte Geschäftsführer Abdelaziz Bouchkhachakh den existierenden Betriebsrat zu liquidieren. Der nämlich will das Gegenteil: ein klein bisschen mehr vom großen Kuchen für die Belegschaft – entsprechend den gesetzlichen Vorgaben und Möglichkeiten.
Dazu gehören bessere Regelungen für die oft undurchsichtige Vergabe von Überstunden. Dazu gehören bessere Eingruppierungen in die richtigen und das heißt höheren Lohn- und Gehaltsgruppen. Dazu gehören bessere, also arbeitnehmerfreundliche Schichtpläne. Dazu gehört die Mitsprache bei der Urlaubsgestaltung. Dazu gehört das Ende von Beschimpfungen und Bedrohungen von Beschäftigten durch Vorgesetzte. Und nicht zuletzt gehört dazu ein Umzug ins neue Verteilzentrum.
Solche Verbesserungen kosten Geld. Das der Belegschaft zwar zusteht, das aber die Geschäftsführung der Belegschaft vorenthalten will. Also blockiert sie die Arbeit des Betriebsrats und macht ihn in der Belegschaft schlecht. Sie geht dabei so professionell zu Werke, dass viele Beschäftigte die bösen Absichten gar nicht durchschauen, sondern dem Gebrüll von Vorgesetzten gegen Betriebsratsmitglieder und Gewerkschafter Beifall klatschen. Auf der letzten Betriebsversammlung wurde sogar der Gewerkschaftsvertreter von Ver.di niedergeschrien.
Betriebsratsvorsitzender gekündigt
In Herne stand der Betriebsratsvorsitzende kurz vor Weihnachten mal wieder vor Gericht, weil sein Arbeitgeber ihn rausschmeißen wollte. Der Vorwurf: Er habe einen Kollegen diffamiert und versucht, eine Mitarbeiterin anzustiften, damit auch sie diesen Kollegen anschwärzt.
Das behauptet jedenfalls der Geschäftsführer in seinem bereits dritten Kündigungsversuch gegen den Betriebsratsvorsitzenden. Das Betriebsratsgremium hätte der Kündigung zustimmen müssen, damit sie wirksam wird. Hat es aber nicht. Also musste der Geschäftsführer zum Gericht, um die Zustimmung dort einzuholen. Er präsentierte, unterstützt von der kompletten Führungsebene, eine Zeugin, die behauptete, der Betriebsratsvorsitzende hätte ihr gegenüber einen Kollegen als »sexuell übergriffig« bezeichnet.
Schweres Geschütz. Zum Glück war ein Dritter bei dem Gespräch zwischen der Zeugin, einer Auszubildenden, und dem Betriebsratsvorsitzenden dabei. Der widersprach der Darstellung der Zeugin des Arbeitgebers. Seltsam war von Anfang an: Die Zeugin hatte um ein Gespräch beim Betriebsratsvorsitzenden nachgesucht, um sich über Wahlbeeinflussung des Arbeitgebers und anderer Betriebsratskandidaten zu beschweren. Da lag die Betriebsratswahl aber schon vier Monate zurück. Warum also die Beschwerde so viel später? Noch seltsamer: Dieselbe Zeugin schwärzte den Betriebsratsvorsitzenden bei ihrem Vorgesetzten an, wusste aber nicht mehr, wann das war. Und am seltsamsten: Erst mehrere Wochen, nachdem der Arbeitgeber von den Behauptungen der Zeugin informiert wurde, kündigte er dem Betriebsratsvorsitzenden.
Wenn alles so lange dauert bei Lidl, würden leere Regale beim Discounter erst Wochen später wieder aufgefüllt werden. Für das Auffüllen der Regale gibt es keine gesetzlichen Vorgaben, zum Umgang des Arbeitgebers mit Verfehlungen von Beschäftigten sehr wohl: Reicht eine solche Verfehlung für eine fristlose Kündigung, muss er ihnen innerhalb von zwei Wochen auch tatsächlich kündigen.
Der Arbeitgeber ist also bei Gericht mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Sein Kündigungsbegehren wurde zurückgewiesen. Nach der Verhandlung verließen der Geschäftsführer mit seiner Führungsriege, sein Anwalt und die Zeugin gemeinsam das Gerichtsgebäude. Die Zeugin würdigte ihre Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls am Eingang standen, keines Blickes.
Dass der Arbeitgeber auch mit seinem dritten Kündigungsbegehren gescheitert ist, wird ihn nicht weiter stören, er wird vermutlich nachlegen. Arbeitgeber, die sich dem Bossing verschrieben haben, müssen nämlich gar nicht vor Gericht gewinnen, sie wollen nerven, ärgern, ängstigen. Und hoffen, dass die angegriffenen Beschäftigten irgendwann das Handtuch werfen, sich abfinden lassen oder krank den Betrieb verlassen.
Wird das bei Lidl Herne auch so werden? Nicht uninteressant ist, dass Geschäftsführer Bouchkhachakh an seinem früheren Arbeitsplatz die Auflösung bzw. Zerschlagung des dortigen Betriebsrats miterlebt hat. Vielleicht mitgestaltet hat? Lidl hat, wie gesagt, kaum Betriebsräte in seinen Filialen. In Kamp-Lintfort, dem letzten Arbeitsplatz von Bouchkhachakh, gab es einen. Nach dessen Auflösung 2022 wechselte Bouchkhachakh nach Herne.
Was sagt Lidl?
Die Initiative Work-Watch, die sich seit mehr als zehn Jahren intensiv mit Betriebsratsmobbing beschäftigt, hat die Geschäftsführung angeschrieben. Sie fragte nach den gescheiterten Kündigungsbegehren, dem Anschreien von Betriebsratsmitgliedern vor der versammelten Belegschaft, dem Umzug ins neue Verteilzentrum. Das Antwortschreiben bestand aus einem einzigen Satz: »Wir bitten um Verständnis, dass wir zu laufenden und nicht rechtskräftig abgeschlossenen Gerichtsverfahren keine Stellungnahme abgeben können.«
Nun, sie könnten schon. Wenn sie denn wollten. Vielleicht wissen sie aber, dass ihre Position, wenn sie denn öffentlich wird, nicht so gut ankommt. Das zeigen die Vorgänge in einem anderen Lidl-Verteilzentrum. Und die machen Mut – jedenfalls allen, die Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit für ein demokratisches Recht und eine Verpflichtung halten: In Augsburg ist vor einigen Jahren eine Lidl-Geschäftsführung jämmerlich gescheitert, als sie den dortigen Betriebsrat mit ähnlichen Methoden wie in Herne liquidieren wollte. Ein wichtiger Grund für den Erfolg der Kolleginnen und Kollegen: die Solidarität nicht nur im Betrieb, sondern auch in der Öffentlichkeit.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.