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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2024

von Hermann Dierkes

Die Angriffe auf demokratische Rechte und Freiheiten nehmen massiv zu. Die weltweite Solidarität mit den Palästinensern gegen koloniale Unterdrückung und Landraub durch Israel sowie gegen den laufenden Völkermord in Gaza steht im Mittelpunkt staatlicher Einschränkung von demokratischen Rechten und Freiheiten. Völkerrechtswidrige Politik des angeblich ”wertebasierten” Westens, Komplizenschaft mit massivem Unrecht, schmutzige Ziele, Kriegshysterie und ein desaströses ”Weiter so” in Sachen Umweltvernichtung ziehen immer offensichtlicher staatliche Willkür und Gewalt nach sich.

Dagegen muss breite Gegenwehr organisiert werden. Amnesty International (AI) hat Anfang Juli eine detaillierte Untersuchung aus 21 europäischen Ländern vorgelegt, darunter auch Deutschland. Die Ergebnisse sind erschreckend. Sie schliessen mehr und mehr zu den massiven Übergriffen in den USA auf. Fazit: ”AI stellt einen beunruhigenden Trend der Diffamierung von Demonstrierenden und Protesten fest. Eine verleumderische Rhetorik (…) ist in allen untersuchten Ländern an der Tagesordnung: Demonstranten werden als ”Terroristen”, ”Kriminelle”, ”ausländische Agenten”, ”Anarchisten” und ”Extremisten” bezeichnet und als Rechtfertigung für immer restriktivere Gesetze und Behördenentscheidungen herangezogen. Hochrangige Politiker:innen äusserten sich auf diese Weise besonders häufig als Reaktion auf Palästina-solidarische Proteste und Klimaaktivismus.

Europaweit schränken Behörden (…) Proteste ein oder verbieten sie gänzlich. Diese Maßnahmen sind oft unverhältnismäßig und verstärken teilweise rassistische Vorurteile und Stereotypisierungen. In mehreren der untersuchten Länder wurden (…) Gesänge und Parolen verboten, was die Polizei oft gewaltsam durchgesetzt hat. In Deutschland hat das Land Berlin alle geplanten Demonstrationen zum Gedenken an die palästinensische Nakba (schon) in den Jahren 2022 und 2023 aufgrund von diskriminierenden Stereotypen über die zu erwartenden TeilnehmerInnen vorab verboten.” (*)

Neben Berlin sind es vor allem München und Frankfurt, die bereits seit einigen Jahren mit antidemokratischen Maßnahmen hervorstechen. In Berlin wurde im Mai d.J. ein Palästinakongress mit namhaften Rednern vollkommen rechtswidrig und polizeilich aufgelöst. Der verleumderische Vorwurf ”Antisemitismus” und ”Hamas-Sympathisanten” wird immer wieder inflationär und rücksichtslos verwendet, um – ganz im Stil der rechtsradikalen Netanjahu-Regierung – berechtigte Kritik am Kolonialstaat Israel und seinem mörderischen Terror in Gaza und dem Westjordanland einzuschüchtern und zu unterdrücken.

Am 16.5. d.J. hat sich auch die Landesregierung NRW aus CDU und Grünen in diese Phalanx eingereiht und den Verein Palästina-Solidarität Duisburg (PSDU) verboten. Der Ukas war bereits am 18.3. unterzeichnet worden, wurde aber erst zwei Monate später – im EU-Wahlkampf und am Vorabend einer NRWweit geplanten Demonstration für Palästina – mit vier Haussuchungen und einem enormen Medienspektakel vollstreckt. Laut Innenminister Reul – der wegen dubioser Wahlkampfspenden in großer Erklärungsnot steht – wurde das Verbot vom Verfassungsschutz (VS) NRW initiiert. Dieser hat auch die rd. 60seitige Verfügung mit 180 Seiten Anlagen incl. Geheimdienstbericht massgeblich ausgearbeitet. Auch für einen Nichtjuristen wird schnell deutlich, dass der VS Spitzel eingesetzt hat, um Material zu sammeln. Ziel ist offensichtlich, die Palästina-Solidaritätsbewegung insgesamt anzugreifen, zum Schweigen zu bringen und zu kriminalisieren. Daran hat auch NRW-Innenminister Reul (CDU) auf seiner Pressekonferenz keinen Zweifel gelassen.

Das Komitee gegen das Verbot von PSDU teilt in einer Erklärung vom 25.5 mit: ”Das Verbot zieht Zirkelschlüsse und argumentiert fast ausschließlich politisch: Kritik an Israel ist antisemitisch; PSDU kritisiert Israel, ist also antisemitisch. Widerstand ist Terrorismus – PSDU unterstützt Widerstand, ist also terroristisch. (…) PSDU werden keine konkreten Straftaten angelastet und entsprechend wird auch kaum juristisch argumentiert. Hauptvorwürfe sind Antisemitismus, Verstoß gegen die Völkerverständigung, damit einhergehend Verfassungsfeindlichkeit sowie ”geistige Unterstützung” der Hamas. Die Verfügung arbeitet durchweg mit Unterstellungen sowie mit Kontaktschuld. Sie enthält faktische Unwahrheiten, die zum Teil gar nicht, zum Teil falsch belegt werden. Quellen werden häufig manipulativ und verfälschend zitiert und ein großer Teil der Belege ist formal und/oder inhaltlich fehlerhaft. (…) Die Umsetzung des Verbots ging einher mit Hausdurchsuchungen bei vier Duisburger Palästina-Aktivist:innen. Dabei wurden verschiedene Rechte der Betroffenen verletzt (…)”. Es wurden ”keinerlei illegale oder gefährliche Gegenstände sichergestellt”.

Zwei Aktivisten von PSDU klagen gegen das Verbot. Die umfassende Klageschrift der Anwältin Arzu Kazak (**) ist argumentativ und juristisch glänzend verfasst. Unter normalen Umständen wäre die Klage äusserst aussichtsreich, nicht zuletzt, weil bereits mehrere Verwaltungsgerichte und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Streitpunkte des Konflikts (BDS-Unterstützung, Veranstaltungsverbote, Solidaritätsparolen usw.) zugunsten der Kläger und gegen Behörden und Politik entschieden haben. Aber die Regierungslinie einer angeblichen deutschen Staatsräson, die bedingungslose Unterstützung des israelischen Kolonial- und Terrorstaats und die schamlose Heuchelei im Verhältnis zur russischen Ukraine-Invasion können auch noch für unliebsame Überraschungen sorgen und weitere Schneisen in demokratische Verfassungsrechte schlagen. Deswegen ist breite Gegenwehr erforderlich.

Hermann Dierkes ist ehem. Mitglied des Rates der Stadt Duisburg/Stadtältester.

(*) https://www.amnesty.de/europa-friedlicher-protest-systematische-einschränkung-unterdrückung

(**) Der vollständige Text der Verbotsverfügung sowie die vollständige Klageschrift der Anwältin finden sich auf https:www.psdu-verbot.info/blog/bericht-hausdurchsuchungen-psdu

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