Gefährliches Versprechen zur Rettung der Welt
von Annette Schlemm
Annette Schlemm ist Physikerin, promovierte Philosophin, Buchautorin und aktiv im Klimanetz Jena. Ihr jüngstes Buch ist Climate Engineering. Wie wir uns technisch zu Tode siegen, statt die Gesellschaft zu revolutionieren
Viele Menschen können sich eher den Untergang der Menschheit vorstellen, als ein Ende des Kapitalismus. Manche versuchen mit aller Kraft andere Auswege aus den ökologischen und klimatischen Gefahren zu finden. Einer dieser Auswege scheint das Climate Engineering zu sein. Dieses hat das Ziel, die Folgen der Treibhausgasemissionen abzumildern. Dabei sollen künstliche Eingriffe in das Erdsystem vorgenommen werden, um unerwünschte Auswirkungen des Klima-Umbruchs zu mildern oder zu verhindern. Dieses Ziel unterscheidet Climate Engineering auch von anderen Geo-Engineering-Techniken (letztere können z.B. auch große Staudammbauten beinhalten).
Die wichtigste unerwünschte Auswirkung des Klimawandels besteht in der Erwärmung der Erde und die kann eventuell gemildert werden: Entweder indem außerhalb der Atmosphäre in das nähere oder weitere kosmische Umfeld Spiegel oder spiegelnde Objekte gebracht werden, die einen Teil der wärmenden Sonnenstrahlen ablenken, oder indem auf der Erdoberfläche helle Flächen aufgebracht werden, sodass weniger Sonnenlicht absorbiert wird. Die auf den griechischen Inseln üblichen weißen Gebäude sind ein Beispiel dafür; es können auch mehr helle Pflanzen angebaut werden oder, wie man es schon für die schmelzenden Gletscher macht, es könnten in großen Wüstengebieten weiße Plastikplanen verlegt werden.
Eine andere Technik ist von einem natürlichen Prozess abgeschaut: Wenn Vulkane Schwefeldioxid weit genug in die Atmosphäre hinaufstoßen, wandelt es sich in Schwefelaerosole um, und diese können einen Teil des Sonnenlichts nach oben reflektieren, so dass es nicht auf die Erde kommt.
Dabei würde dann aber das Kohlenstoffdioxid (CO2) weiter wirken. Deshalb gibt es den Gedanken, das zu viel emittierte CO2 der Atmosphäre wieder zu entziehen. Hierfür gibt es viele Möglichkeiten: CO2 kann direkt aus der Luft angesaugt, in »künstlichen Bäumen« chemisch gebunden und entweder weggespeichert oder als Rohstoff weiter genutzt werden. Diese Technik samt ihrer beruhigenden Botschaft, es könne technisch ein Problem gelöst werden, das durch die (fossile) Technik hervorgerufen wurde, begegnet uns häufig auf Titelseiten populärwissenschaftlicher Magazine. Riesige Rotoren zum Ansaugen der Luft stehen dann vorwiegend in der isländischen Landschaft herum – weil diese Technik enorm viel Energie verbraucht und diese in Island in Form von geothermaler, d.h. sich erneuernder, Energie ausreichend zur Verfügung steht. Andere CO2-Luftentfernungstechniken bestehen vor allem in der Erhöhung der CO2- bzw. C-Speicherung im Meer, in den Böden, in Pflanzen (Wälder) und in Biosystemen.
Die Kehrtwende des IPCC
Wenn wir diese Techniken bewerten wollen, müssen wir jede einzeln technisch-naturwissenschaftlich untersuchen und ihre Versprechen hinterfragen.
In früheren Sachberichten des Weltklimarats wurden sie skeptisch betrachtet. Nach dem IPCC-Bericht von 2001 werfen sie »wissenschaftliche und technische Fragen« auf und ebenso »ethische, rechtliche und Gerechtigkeitsprobleme«. Und nach dem Bericht von 2007 bleiben diese Optionen »weitgehend spekulativ und unbewiesen und bergen das Risiko unbekannter Nebeneffekte«. Warum und wie kam es dann, dass jetzt allerorten von sog. »negativen Emissionen« gesprochen wird und davon, dass mit ihnen die noch vorhandenen Emissionen »kompensiert« werden könnten – denn genau dazu soll das Climate Engineering dienen?
Im Jahr 2015 hatten die Vereinten Nationen in Paris beschlossen, den Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur »auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen«. Daraufhin bekam die Klimawissenschaft den Auftrag zu erkunden, wie dies (noch) möglich sei. Im Jahr 2018 veröffentlichte der Weltklimarat daraufhin den Sonderbericht »1,5 °C Globale Erwärmung«.
Er zeigte in vier Szenarien mögliche Entwicklungen auf: Entweder die Menschheit reduziert ihren Energiebedarf um mindestens 30 Prozent oder sie schlägt nun doch endlich konsequent einen nachhaltigen Entwicklungsweg ein oder… es wird notwendig, einen mehr oder weniger großen Teil des emittierten CO2 wieder aus der Atmosphäre zurückzuholen. Wenn die Treibhausgasemissionen nicht sofort und drastisch eingeschränkt werden, worauf nichts hindeutet, wäre das Ausmaß des durch Climate Engineering zu entfernenden CO2 am Ende des Jahrhunderts so groß wie die Menge, die derzeit von den Ozeanen und allen Pflanzen dieser Erde sowieso schon aufgenommen wird.
Die ersten beiden Wege – Energieverbrauchsreduktion und wirklich nachhaltige Wirtschaft – werden nirgends wirklich beschritten oder auch nur diskutiert. Also: Wir waren und sind viel zu langsam mit der Reduktion der Treibhausgasemission. Wir müssen »kompensieren« – so heißt es mittlerweile überall. Leider wurde diese Wende von der Hoffnung, es noch ohne Climate Engineering zu schaffen, zur fast unumstößlichen Notwendigkeit, es einsetzen zu müssen, nicht einmal von der Klimabewegung ausreichend skandalisiert!
Warum ist es so schlimm, dass wir in diese Lage geraten sind? Weil die mittlerweile verstärkten Forschungen zum Climate Engineering vor allem zeigen, dass die früher geäußerten Vorbehalte richtig sind und waren: Es gibt wissenschaftliche und technische Fragen, das Risiko unbekannter oder bekannter Nebeneffekte sowie ethische, rechtliche und Gerechtigkeitsprobleme…
Die Technik und ihre Folgen
Die naturwissenschaftlich-technischen Probleme – in ihrer Differenziertheit für die unterschiedlichen Techniken – seien hier nur kurz angedeutet:
Das Versprühen von (Sulfat-)Aerosolen in großen Höhen führt zu unvorhersehbaren Veränderungen der großen atmosphärischen Strömungen, was u.a. die Monsunlagen massiv verändert, außerdem schädigt Schwefel die Ozonschicht. Da die Abschattung der Sonne nur tagsüber wirkt, kommt es zu einer prinzipiell ungleichmäßigen Wirkung. Spiegel im Weltraum werden mittlerweile als zu kostspielig angesehen, die weißen Plastikplanen sind schon auf den Gletschern schlimm genug. Das Weißen von Hausdächern und anderen Flächen mag sinnvoll sein, fällt aber global gesehen nicht ins Gewicht.
Die Maßnahmen zum Einfangen und Unschädlichmachen von CO2 haben von vornherein den Fehler, dass andere Treibhausgase dabei nicht berücksichtigt werden. Im Bericht des Weltklimarats wird eine Technik favorisiert, die auch recht »natürlich« aussieht: Dabei werden schnell wachsende Pflanzen, Pflanzenabfälle und Reststoffe verbrannt, wobei Energie gewonnen werden kann; dabei soll das freigesetzte CO2 abgetrennt und eingelagert werden. Es braucht also die Technik der CO2-Abscheidung und Speicherung (CCS), die von sich aus keine Climate-Engineering-Technik ist, aber ihre eigenen Probleme hat (ungewisse sichere Dauerhaftigkeit der Speicherung in Böden, mögliche Leckagen…).
Die Biomassekraftwerke mit CCS sind jedoch auch als problematisch einzuschätzen: Der Anbau der Energiepflanzen in großem Ausmaß braucht eine Menge Land, das nicht mehr als Acker oder für Wälder und die Biodiversität zur Verfügung steht. Zum Wachsen brauchen die Pflanzen Dünger, deren Herstellung viel Energie frisst und deren Rückstände die Natur verpesten; viel Wasser wird ebenfalls verbraucht. In dem vom Weltklimarat genannten vierten Fall der zu langsamen Emissionssenkung (in dem wir uns befinden) würde auf der Erde am Ende des Jahrhunderts dafür eine Fläche benötigt, die doppelt so groß ist wie Indien! Extrem groß wäre auch der Transportaufwand.
Eine gern gesehene Technik ist die Pflanzenkohle. Aber auch hier wird bei der Herstellung viel Heizenergie verbraucht und die erhoffte Speicherung der entstehenden Pflanzenkohle in den Böden ist begrenzt. So etwas wie die Wiedervernässung von Mooren, in denen viel Kohlenstoff gebunden wird, oder die Umgestaltung der Landwirtschaft in einer Weise, dass in den Böden mehr Kohlenstoff gebunden wird, sowie die Renaturierung von Küstengebieten sind sinnvoll und sicher notwendig – erreichen aber nicht das notwendige Ausmaß an Kohlenstoffspeicherung.
Am bekanntesten ist wohl die Aufforstung. Aber auch hier würden bei einer Ausweitung der Waldlandschaft im erforderlichen Maß andere Biosysteme verschwinden, es würde viel Dünger und Wasser benötigt. Leider müssen wir angesichts der zunehmenden Waldbrände auch befürchten, dass im weiteren Verlauf des Klimaumbruchs viele Waldgebiete bald wieder abbrennen und den Kohlenstoff schnell wieder freisetzen.
Bei diesen naturnahen Methoden muss auch zuallererst gefordert werden, dass die noch stattfindende weitere Zerstörung der natürlichen CO2-Speicher erst einmal dringend beendet wird. Die Debatte um das Climate Engineering macht vielleicht wenigstens auf die oft unterschätzte Bedeutung dieser Faktoren bei Wäldern, in den Böden, insbesondere in Mooren und küstennahen Gebieten, berechtigt aufmerksam.
Zusammenfassend kann nach einem vollständigen Durchgang durch alle Vorschläge zum Climate Engineering, der hier nur verkürzt angedeutet werden konnte, folgendes gesagt werden: Die am wenigsten gefährlich-kritischen Maßnahmen (wie Dächer weißen, Holz verbauen) sind am wenigsten wirksam, die wirksamsten sind am gefährlichsten. Daran ändert auch noch mehr Forschung nichts.
Die Maßnahmen zur Abschattung oder Lichtreflexion, also das Management der Sonneneinstrahlung, »maskiert« sogar im Erfolgsfall die weiteren Treibhausgasemissionen. Sobald die Maßnahmen nicht mehr aufrecht erhalten werden können, steigt die Temperatur aufgrund des inzwischen höheren Treibhausgasgehalts in der Atmosphäre sprunghaft an. Dieser Effekt wird auch »Terminierungseffekt« genannt.
Wir sehen also, dass schon rein sachlich gesehen die Climate-Engineering-Techniken die Welt nicht retten können. Sie sind aber auch politisch problematisch.
Nicht Technik, sondern Politik
Ein wichtiger Effekt, der eher die Gesellschaft betrifft als die natürlichen Phänomene, ist der sog. moral hazard, das moralische Risiko: Wenn man darauf hoffen kann, (wenigstens) die CO2-Emissionen mit sog. »Negativ-Emissionen« durch Climate Engineering zu »kompensieren«, dann scheint es nicht mehr notwendig zu sein, die Treibhausgasemissionen überhaupt oder sehr stark zu senken. Die Propagandisten des Climate Engineering haben das ungefähr bis zur Jahrhundertwende noch offen zugegeben. Die Durchführung dieser Methoden »erscheint weitaus einfacher als eine groß angelegte Verringerung der Energieerzeugung aus fossilen Brennstoffen«, stand z.B. in einer Veröffentlichung mit Edward Teller als einem der Hauptautoren.
Es ist interessant, dass Experimente, die für die Forschung an diesen Methoden durchgeführt werden sollten, bisher alle durch den Protest der Bevölkerung und von Nichtregierungsorganisationen verhindert werden konnten. Dass diese Proteste aufkamen, lag gar nicht mal an der unmittelbaren Gefahr, die die Experimente mit sich gebracht hätten, sondern daran, dass die Protestierenden genau diesen moral hazard befürchteten.
Welche politischen, ökonomischen und mentalen Faktoren stehen hinter dem Versuch, die Lösung von einem der größten Menschheitsprobleme durch Climate Engineering zu versprechen? Da sind zuerst direkte finanzielle Interessen zu nennen. Hinter einer Stiftung, die mittels Climate Engineering das australische Great Barrier Reef noch retten will, stecken die größten australischen Treibhausgasemittenten. Die Royal Society hat schon 2009 davor gewarnt, »dass Geo-Engineering eher von Profitmotiven als von der Reduzierung des Klimarisikos geleitet werden«. Und wenn sich zweimal verdienen lässt, umso besser: Bill Gates ist (über eine Stiftung) Großaktionär einer Firma, die Gewinne aus dem Transport von Rohöl aus kanadischen Teersanden macht und finanziert gleichzeitig Climate-Engineering-Forschung.
Machtinteressen
Dass es um viel Geld geht, sieht man auch daran, dass weiterhin in die Erschließung fossiler Energien investiert wird – bei einem tatsächlichen Ende der CO2-Emissionen wären die investierten Gelder in den Sand gesetzt. Neben Geld geht es aber auch um Macht. Wer wird denn wohl beschließen, solche Maßnahmen zugunsten des eigenen Landes einzusetzen, ohne verhindern zu können, dass andere Länder z.B. durch die Verschiebung von Monsunen massiv Schaden nehmen? Durch Climate Engineering, wenn es denn einigermaßen funktionieren würde, würde die Welt massiv abhängig werden von den Unternehmen, die das durchführen. Die rechnen jetzt schon mit zukünftigen Einnahmen für die »Entsorgung«, die von der Öffentlichkeit gezahlt werden müsste… Ein weiteres Machtinteresse besteht darin, durch die scheinbare technische Lösung der Probleme die herrschende Politik und Gesellschaftsordnung nicht in Frage stellen zu lassen.
Warum erschrecken viele Menschen nicht vor diesen Optionen, wenn sie sie auf den Titelseiten von populärwissenschaftlichen Zeitschriften sehen? Natürlich, weil sie dort vorwiegend hoffnungsvoll angepriesen werden. Das wird aber auch deshalb so schnell geglaubt, weil die meisten von uns es gewohnt sind, dass technische Probleme durch neue Technik anscheinend gelöst werden.
Der Science-Fiction-Autor Gregory Benford schrieb: »Wenn wir die globale Erwärmung als technisches Problem und nicht als moralischen Skandal behandeln würden, könnten wir die Welt abkühlen.« Auch sozialistisches Denken war sehr wissenschafts- und technikeuphorisch. Das Wort Naturbeherrschung war nicht zufällig üblich. Der schon erwähnte Edward Teller, auch bekannt als »Vater der Wasserstoffbombe«, äußerte sich in diesem Sinne: »Wir werden die Erdoberfläche so verändern, dass sie uns passt.«
Wenn die technisch wie politisch gefährlichen Eingriffe lediglich eine technische Frage wären, könnten wir nicht viel machen. Da sie jedoch eine gesellschaftspolitische Frage darstellen, sollten sie auch ein Feld für (öko)sozialistische Politik sein. Zwar sachlich informiert, aber engagiert gilt es auch hier Stellung zu beziehen: Der als »Plan B« angepriesene Plan zur Rettung der Welt durch Climate Engineering ist erstens sachlich nicht zielführend und lenkt zweitens von den politökonomischen und gesellschaftlichen Problemen ab.
Decken wir diese politischen Interessen auf, wirken wir ihnen entgegen, klären wir über die wirklichen Hintergründe der Verursachung der Probleme und der Scheinlösungen auf. Kämpfen wir für die Küstenbewohner:innen in aller Welt, die »im Namen des Klimaschutzes« ihrer Souveränität beraubt werden sollen. Außerdem können wir Initiativen fördern, die z.B. Wälder in die Hände von Menschen zurückgeben wollen, die sich um ihren Erhalt und ihre Pflege bemühen (wie Freiwald e.V.).
Der vorstehende Text ist der 1.Teil des Referats, das Annette Schlemm auf der Ökosozialistischen Konferenz gehalten hat. Der 2.Teil wird in SoZ 10/24 veröffentlicht.
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