Eva Weissweiler: Lisa Fittko. Biographie einer Fluchthelferin. Hamburg: Hoffmann und Campe, 2023. 380 S., 25 Euro
von Manuel Kellner
Lisa Fittko ist bekannt geworden als Fluchthelferin von Walter Benjamin. 1985 schrieb sie Mein Weg über die Pyrenäen. 1986 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz erster Klasse aus den Händen des deutschen Bundespräsidenten Weizsäcker. Doch sie und ihre Mitstreiter haben auch viele andere Flüchtlinge über die rettende Grenze geführt. Das war eine erste Motivation für die Biografin Eva Weissweiler, ihre Tätigkeit genauer zu beleuchten. Sie zitiert dafür in ihrem Vorwort Walter Benjamin selbst: »Schwerer ist es, das Gedächtnis der Namenlosen zu ehren als das der Berühmten.«
Von Belang scheint mir die kristallklare Art und Weise, mit der Eva Weissweiler ihre Leserinnen und Leser erkennen lässt, was über Lisa Fittkos Lebensweg und Kampf gesagt werden kann. Sie deckt immer wieder akribisch auf, was sich aus ihren zahlreichen Quellen erschließen lässt und was nicht.
Das erste Buch von Lisa Fittko und ihr 1992 erschienenes zweites Buch, Solidarität unerwünscht, Erinnerungen 1933–1940, sind natürlich Quellen ersten Ranges. Doch beschränkt sich Weissweiler nicht darauf wiederzugeben, was da geschrieben steht. Vieles wird da nicht ausgesprochen. Immerhin war Lisa Fittko in die USA emigriert, und in der Zeit der McCarthy-Ära konnte sie schwerlich ihren kommunistischen Werdegang preisgeben. Auch unter Ronald Reagan, als der Kalte Krieg andauerte, wäre das nicht angeraten gewesen. Doch auch noch im zweiten Buch bleibt Lisa Fittko in dieser Hinsicht unklar.
Lisa Fittkos Eltern waren kommunistisch gesinnt, sie selbst trat mit fünfzehn Jahren in den Kommunistischen Jugendverband und mit neunzehn in die KPD ein.
1909 als Elisabeth Ekstein geboren, wuchs Lisa in einer assimilierten jüdischen Familie in Wien und Budapest auf. Die Familie siedelte über nach Berlin, und dort begann ihr politischer Aktivismus, einschließlich der Übernahme von politischen Verantwortlichkeiten und Teilnahme an Straßenschlachten. Im Arbeitersport wurde sie zugleich athletisch und drahtig. Sie verschmähte eine universitäre Karriere zugunsten des Kampfes für das kommunistische Ziel.
Nach der Machtergreifung der Nazis begann Lisa Fittko mit ihrem neuen Lebensgefährten Hans Fittko eine illegale Arbeit, unter anderem auch Fluchthilfe, vor allem aber das Schmuggeln von Schriften und Industriespionage im Dreiländereck zwischen Deutschland, der Schweiz und der Tschechoslowakei, letztlich von Basel aus. Viele Details dieser Arbeit wirken irritierend, zum Beispiel, wenn einer der Kuriere sagt, das Verhör durch Hans Fittko sei »schlimmer als die Gestapo«. Überhaupt war der illegale Apparat der KPD ein Spiegel der Klassengesellschaft: Die führenden, in Moskau geschulten Kader waren allmächtig, die Kuriere waren meist einfache Arbeiter, erhielten nur sehr wenig Entschädigung und riskierten am meisten, geschnappt und von der Gestapo gefoltert zu werden.
Der spätere Lebensweg von Lisa Fittko führte sie nach Frankreich unter der deutschen Nazibesatzung und in den, diesen Besatzern willfährigen Gebieten unter Maréchal Pétain. Die Leiden der hier Verfolgten und Drangsalierten sind kaum in Worten wiederzugeben. Sei es eine Flüchtlingskonferenz der Alliierten, auf der buchstäblich kein Land bereit war, Juden aufzunehmen. Seien es die vielen Einzelschicksale der Menschen, die keinen Ausweg mehr sahen und sich das Leben nahmen. Oder die deutschen Frauen, »unerwünschte Ausländerinnen«, eingepfercht mit nur einem kalten Wasserstrahl aus einem Rohr im Hof, damit sie sich waschen konnten – während die französischen Nachbarinnen vom Balkon aus lautstark kommentierten, wie schamlos sich diese »Boches«-Frauen entblößten.
Hier entwickelte sich, mit Hilfe eines von Teilen der US-Regierung finanzierten US-Amerikaners, die Fluchthilfe über die Pyrenäen. Eva Weissweiler fragt sich in diesem Zusammenhang, warum Lisa Fittko und ihre Mitstreiter auch Sozialdemokraten und sonstigen Linken zur Flucht verhalf, waren jene denn nicht »Sozialfaschisten« und im Grunde schlimmer als die Nazis? Nun, die Kurven der Stalinschen Linie wiesen ja woanders hin, seitdem mit dem VII.Kongress der Kommunistischen Internationale von 1935 die »Volksfrontlinie« ausgegeben worden war. In diesem Fall zumindest ein Segen!
Die Schilderung der Fluchthilfe für Walter Benjamin selbst lässt viele Fragen offen. Hat er auf diesem Weg wirklich eine Nacht auf einer Lichtung unter freiem Himmel verbracht? Hatte er wirklich ein – nie entdecktes – wichtiges Manuskript in einer Aktentasche mit sich geführt? Man spürt den Atem der Legende.
Kehren wir einen Moment zurück zu den Verstrickungen der Helden im Kampf gegen die Nazischlächter. Natürlich ist nicht schön zu lesen, dass Hans Fittko andere Exilierte um ihre Wohnung brachte oder in der Kneipe Schlägereien anzettelte. Beunruhigender sind andere »Details« aus dieser Zeit. Er selbst wurde aus der KPD ausgeschlossen – wegen angeblicher Kontakte zu Oppositionellen. Und Lisa Fittko selbst zeigte einen nahen Verwandten bei der Parteiführung an wegen seiner – im privaten Gespräch geäußerten – kritischen Bemerkungen über die Parteiführung und die Zustände in der Sowjetunion.
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