Die Halbherzigkeit der Bidenomics
von Ingar Solty
Wie konnte Donald Trump sich nach einer desaströsen ersten Präsidentschaft wieder an die Macht (oder wenigstens in ihre Nähe) bringen? Eine Ursache sieht Ingar Solty in der widersprüchlichen Politik der Regierung Biden.
2016 siegte Donald Trump nicht nur gegen die Elite der Republikanischen Partei, sondern auch gegen die Fortune-500-Konzerne und einen Großteil der Medien. Im Wahlkampf hatte er mit dem parteiübergreifenden Elitenkonsens gebrochen und einen wirtschaftsnationalistischen und außenpolitisch isolationistischen Kurs versprochen. Sein Wahlsieg symbolisierte einen Kontrollverlust der dominierenden transnational-imperialen Kapitalfraktion. Der rechtsautoritäre Nationalismus kam an die Schalthebel der politischen Macht.
In der Folge ließ sich vier Jahre lang studieren, wie die Rechte an der Macht agiert. Drei Szenarien schienen bei seinem Amtsantritt plausibel:
– die Durchsetzung des versprochenen ökonomischen Nationalismus mit starken protektionistischen Zügen und außenpolitischem Isolationismus gegen den bisherigen Konsens von »Freihandel« und Empire;
– die Einhegung des rechtsautoritären Nationalismus durch die bislang dominante transnational-imperiale Fraktion im Machtblock im Sinne von »Freihandel« und Empire;
– ein »Behemoth-Szenario« (in Analogie zu Franz Neumanns Faschismusanalyse), in dem sich verschiedene Staatsapparate wechselseitig blockieren und bekämpfen.
Tatsächlich traten Aspekte aller drei Szenarien ein. Dem Behemoth-Szenario einer inneren Blockade entsprachen die Auseinandersetzungen zwischen den (von den Demokraten kontrollierten) Bundesstaaten und der Regierung, auch die Nichtumsetzung von Regierungsmaßnahmen durch städtische und einzelstaatliche Behörden, etwa im Umgang mit Einwanderern oder mit den Demonstrationen der Black Lives Matter-Bewegung.
Vertreter des ökonomischen Nationalismus, der Trump im Mittleren Westen zum Sieg verholfen hatte, besetzten Teile des Staatsapparats, inkl. neu geschaffener Behörden wie das Office of Trade and Manufacturing Policy. Zugleich war jedoch der allmähliche Machtverlust dieses Flügels in der Regierung unübersehbar. Er zeigte sich in der Kabinettszusammensetzung und der sukzessiven Entmachtung von Trumps Berater Steve Bannon.
Nach vier Jahren Trump stand fest, dass seine Administration von der transnational-imperialen Fraktion weitgehend eingehegt wurde, sofern sie nicht schon zuvor ihr angehört hatte.
Seine Kritik an der imperialen US-Außenpolitik im Wahlkampf setzte Trump in gewisser Hinsicht tatsächlich um. Anders als seine Vorgänger (bis Ronald Reagan 1981–1989) begann seine Regierung keinen neuen Krieg. Allerdings war dies offenbar auf das Zusammenwirken verschiedener Kräfte zurückzuführen, die im Falle von Venezuela (Pentagon), des Iran (Fox News/Tucker Carlson) und von Nordkorea Trump davon abhielten, neue Luft- oder gar Besatzungskriege anzufangen. Seine Unterstützung der Verlegung der israelischen Hauptstadt nach Jerusalem goss zudem erhebliche Ölmengen ins Feuer des Nahostkonflikts.
Die Realpolitik der Demokraten
Für Trumps Niederlage 2020 gegen Joe Biden gab es reichlich Gründe: die stagnierenden Löhne, das wachsende Haushaltsdefizit, außerdem seine Laissez-faire-Politik in der Coronakrise, die mehr als eine Million US-Bürger mit ihrem Leben bezahlten. Der Sieg der Demokraten beruhte allerdings auf einer Anti-Trump-Stimmung, nicht auf eigener Stärke. Biden verdankte seine Nominierung der brachialen Einflussnahme des Parteiestablishments, um eine Nominierung von Bernie Sanders zu verhindern. Die Wall Street bedankte sich mit explodierenden Börsenkursen. Am Ende siegte Biden glanzlos.
Hillary Clinton hatte mit ihrer Botschaft America is already great Schiffbruch erlitten und gegen Trump verloren. Diesen Fehler wollte Joe Biden vermeiden. Seine Version von Make America great again hieß: Build Back Better. So unterschiedlich diese Slogans auch sind, beide enthalten das stille Eingeständnis, dass es Amerika (und vor allem der amerikanischen Arbeiterklasse) einst besser ging, die Anerkennung der Tatsache, dass die lohnarbeitenden Einkommensmittelklassen erodiert sind.
Diese Erosion hat drei Ursachen: die Deindustrialisierung, den fundamentalen Sieg des Kapitals über die Gewerkschaften und die Finanzierung von Studien- und Ausbildungsgängen durch immens gestiegene Gebühren.
Als Biden antrat, sprach er davon »kühn« handeln zu wollen. Eine gewisse Kühnheit kann man ihm nicht absprechen. Begünstigt durch die niedrigen Zinssätze legte er ein gewaltiges Konjunkturprogramm auf. Das dritte Corona-Soforthilfeprogramm hatte einen Umfang von 1,9 Billionen US-Dollar. Alle drei Programme zusammen brachten es auf 5,1 Billionen.
Von Bidens American Rescue Plan profitierten nicht primär die Konzerne, sondern die Arbeiterklasse. Insgesamt flossen 2,2 Billionen an Arbeiterfamilien, in Form von Mietzuschüssen, Kindergeld für 69 Millionen Kinder (bis zu 300 US-Dollar pro Kind im Jahr), Ernährungsprogrammen, »Konjunkturschecks« über 1400 US-Dollar pro Person und anderes mehr. 870 Milliarden gingen an Kommunal- und Bundesstaatsregierungen, inkl. 200 Milliarden für öffentliche Schulen, 65 Milliarden in die Krankenversicherung. 1,2 Billionen bekamen die Unternehmen.
Die Regierung kündigte ein zusätzliches großes Investitionsprogramm an. Es beruhte auf zwei Säulen, dem American Jobs Plan (AJP) und dem American Families Plan (AFP), mit einem Gesamtumfang von 4 Billionen US-Dollar.
AJP war ein ambitioniertes Investitionsprogramm für die bröckelnde Infrastruktur (Straßen, Brücken, aber auch Schulen und öffentlich finanzierter Wohnungsbau), die Digitalinfrastruktur (Ausbau von Breitbandinternetverbindungen) und die Altenpflege. Auch der Klimaschutz sollte gefördert werden, mit Subventionen für Energiedämmung, Forschung und Entwicklung für grüne Technologien und ein Beschäftigungsprogramm für »Klimajobs«, Steuervergünstigungen für E-Autos und die Elektrifizierung des ÖPNV.
Der AFP wiederum sah vor allem Ausgaben für die Care-Ökonomie vor: Ausbau kostenloser Kitas, Elterngeld und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, kostenlose Community Colleges, Subventionen für bezahlbare Gesundheitsversorgung und anderes. Bidens Pläne entwickelten sich zum größten Sozialprogramm seit den 1930er Jahren. Die Gesamtsumme von 5,9 Billionen US-Dollar entsprachen dem Siebeneinhalbfachen des Konjunkturprogramms, das Obama wegen der globalen Finanzkrise 2007ff. verabschiedet hatte.
Stolperstein Inflation
Diese »kühne« Politik hatte vier Gründe: Erstens befinden sich die USA in einem Hegemoniekonflikt mit China. Zweitens hatte Obamas zögerliche Reaktion auf die Finanzkrise die Republikaner zurück an die Macht gebracht. Drittens war der schwache Sozialstaat nicht in der Lage, die Folgen der Coronarezession abzufangen.
Viertens wurde Biden von einer innerparteilichen Linken getrieben. Bernie Sanders und seine Anhänger bei den Demokraten hatten wesentlichen Einfluss auf die Bidenomics. Sie konnten sich auf die zunehmende Offenheit der Amerikaner für linkssozialdemokratische Forderungen stützen: Zweidrittelmehrheiten befürworten einen bundesweiten 15-Dollar-Mindestlohn, kostenlose Gesundheitsversicherung für alle (»Medicare for all«) und die Abschaffung aller Studiengebühren und Studienschulden – darunter auch zwei Fünftel aller Republikaner.
Bidenomics setzte allerdings nicht auf eine Stärkung der Gewerkschaften. Den gewerkschaftsfreundlichen PRO-Act verfolgte Biden nicht weiter, angeblich weil es dafür keine Mehrheiten gab. Sein Konjunkturprogramm verschob nicht die Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit. Er traute sich nicht einmal, den steuerpolitischen Kahlschlag unter Trump rückgängig zu machen.
Große Teile seines sozial- und wirtschaftspolitischen Programms scheiterten durch Abweichler in den eigenen Reihen. Der Fokus auf Schuldenfinanzierung rächte sich, als die Inflation zurückkehrte.
Die Lieferkettenprobleme wurden durch den Ukrainekrieg und die Sanktionen des Westens massiv verschärft und führten zu einem sprunghaften Anstieg der Teuerung von 1,7 Prozent (bei Bidens Amtsantritt 2021) auf 8,5 Prozent im Oktober 2022 nach dem russischen Überfall. Die US-Notenbank versuchte, der Inflation durch Leitzinserhöhungen Herr zu werden, mit nur mäßigem Erfolg.
Die Inflation brach Biden das Genick. Als sie im Sommer 2022 durchschlug, fielen seine Zustimmungswerte zum erstenmal ins Negative und verharrten seither dort. Die Zwischenwahl ging verloren. Die Rochade zugunsten von Harris im August war so nötig wie verzweifelt. Ob sie Früchte tragen wird, wird sich zeigen.
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