Trump 2.0: Die Vorstellung eines Paradieses mit hohen Mauern und ohne Gewerkschaften
von Ingar Solty
Eine zweite Amtszeit von Trump dürfte noch extremer ausfallen als die erste. So plant Trump Massendeportationen »undokumentierter« Einwanderer. Im Grunde will er umsetzen, wovon die AfD bei ihrer »Wannseekonferenz 2.0« träumte: eine »Remigration«. In den USA leben mehr als zehn Millionen undokumentierte Einwanderer, teilweise schon seit Jahrzehnten. Da es anders als in Deutschland keine Ausweispflicht gibt, wäre ein solches Projekt nur durch Razzien in Wohnvierteln und an Arbeitsplätzen vorstellbar. Eine solche Abschiebeoffensive ist ohne Bürgerkrieg eigentlich nicht denkbar.
Als Trump während seiner ersten Präsidentschaft ähnliche Pläne verfolgte, erklärten sich viele Städte zu sog. Sanctuary Cities (»Asylstädte«). Einige Behörden weigerten sich, die Anordnungen der Bundesregierung auszuführen. Trump will deshalb das Gewaltmonopol des Staates zentralisieren und die Befugnisse der Nationalgarde ausweiten. Die Reichweite der zentralen Repressionsapparate soll sich auch auf die ihm feindlich gesinnten, politisch liberalen Staaten der Ost- und Westküste erstrecken.
Wo Gesetzgeber in Einzelstaaten und ihre Polizeipräsidenten den nationalen Vorgaben keine Folge leisten, will Trump von oben durchregieren können. Seine Pläne zur Stärkung der Exekutivgewalt, die Ankündigung, durch Exekutivanordnungen regieren zu wollen, und die Ankündigung von Säuberungen der ständigen Bürokratie markieren eine erhebliche Verschärfung.
Trumps Steuergeschenke
Trumps Sieg bei den Präsidentschaftswahlen 2016 beruhte darauf, dass er sich erfolgreich als Anti-Establishment-Kandidat inszenieren konnte. Sein Vorgänger Barack Obama hatte als Ausweg aus der globalen Finanzkrise einen Kurs der »inneren Abwertung« von Kosten und Löhnen verfolgt. Die Einkommens- und Vermögensungleichheit, die Prekarität am Arbeitsmarkt und die Zahl der bullshit jobs ist seitdem massiv gestiegen: Nach einer Studie der US-Notenbank lag jeder fünfte verlorene Job im Niedriglohnsektor, dafür aber jeder dritte neu entstandene.
So wuchs die Zahl derer, die von »paycheck to paycheck« zu leben, auf über 40 Prozent. Sie verfügen über keinerlei Ersparnisse, um auf Schicksalsschläge wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Arbeitsunfähigkeit, Zinserhöhungen (etwa für eine Immobilie und Studienschulden), Inflation oder die Geburt eines Kindes zu reagieren. Unbezahlbare Kosten für medizinische Behandlungen sind die häufigste Ursache für Privatinsolvenzen.
Donald Trumps Amtszeit zwischen Januar 2017 und 2021 war dann allerdings geprägt von einem extrem wirtschaftsliberalen Kurs. Die Regierung senkte die Unternehmensteuern von 35 auf 21 Prozent, den Spitzensteuersatz auf Jahreseinkommen von über 518400 US-Dollar für Einpersonenhaushalte bzw. über 622050 US-Dollar für Verheiratete von 39,6 auf 37 Prozent. Umweltauflagen für Unternehmen wurden radikal dereguliert.
Die Steuersenkungen zugunsten von Superreichen und Konzernen sollten – so Trumps damalige Propaganda im Namen der Arbeiterklasse – die Wirtschaft ankurbeln, sich dadurch selbst finanzieren und das Lohnniveau heben, ganz ohne Gewerkschaften und Klassenkampf.
Das Ergebnis war vorhersehbar. Während die Reallöhne stagnierten, verdoppelte sich das Haushaltsdefizit annähernd von 585 Milliarden auf 1,1 Billionen US-Dollar. Die nationalen Schulden stiegen von 20 auf 28 Billionen.
Trumps Außenwirtschaftspolitik
Trumps Außenhandelspolitik versucht die Quadratur des Kreises. Der totale Krieg und Sieg des US-Kapitals über die Arbeiterbewegung hat die Globalisierung und die Verschuldung der privaten Haushalte zu den Mitteln gemacht, mit denen der Lebensstandard der Arbeiterklasse halbwegs aufrechterhalten wurde. Der von Trump geplante Protektionismus in bezug auf Alltagsgüter, die aus dem Ausland importiert werden, wird die Lage der Arbeiterklasse darum noch erheblich verschlechtern, weil er im Grunde alle Importwaren verteuert. Die Vorstellung, die Textilindustrie könne aus Südostasien, die Mikrotechnologie aus Fernost zurückgeholt werden, ist eine gefährliche Illusion.
Bidens Finanzministerin Janet Yellen hat recht, wenn sie sagt, Trumps »Zölle auf chinesische Waren [hätten] den US-Konsumenten und Unternehmen Schaden zugefügt«. Zugleich hat die Biden-Regierung diese Form der Verarmungspolitik noch vorangetrieben. Sie weitete den Wirtschaftskrieg gegen China weiter aus. Schutzzölle auf chinesische E-Autos und Solaranlagen stiegen von 25 auf 100 Prozent; so brachte sie auch Klimapolitik und soziale Gerechtigkeit in einen Gegensatz.
Trump setzt fiskalpolitisch erneut auf massive Steuersenkungen für Kapital und Superreiche sowie erneute Deregulierungen für das fossile Kapital. Auch plant er sog. »Freiheitsstädte« auf bundeseigenen Liegenschaften. Damit greift er die feuchten Träume der Schriftstellerin Ayn Rand auf. In ihrem Roman Atlas Shrugged (1957) schilderte sie den Auszug der Kapitalbesitzer (»Leistungsträger«) aus der Gesellschaft.
Entsprechend soll nun in einem wahrhaft marktradikalen Paradies wie im 19.Jahrhundert, ganz ohne Gewerkschaften, Arbeitsschutzmaßnahmen, Normalarbeitstag usw., der Markt seine wundersame Kraft entfalten und fliegende Autos herbeizaubern.
Die Linke ist geschwächt
Ganz gleich, ob Trump oder Harris gewinnen: Die US-Linke ist erheblich geschwächt. Sie wird, anders als auf dem Höhepunkt ihres Einflusses 2020, kaum von links Druck auf Harris ausüben können, sollte sie gewinnen. Gerade das könnte wiederum Harris’ Wahlchancen mindern, wenn sie einen zentristischen Kurs verfolgt. Die Black-Lives-Matter-Bewegung wurde vom Parteiapparat regelrecht aufgesogen. Bernie Sanders und der linke Flügel (»The Squad«) haben sich außenpolitisch im Ukrainekrieg und großteils auch im Gazakrieg hinter Biden gestellt, um ihre innenpolitische Sozialagenda durchsetzen zu können. Das hat sie jedoch von der linken Basis, insbesondere von den Democratic Socialists of America (DSA), entfremdet.
In DSA gab es einen Richtungsstreit, deren Positionen das Mitglied Eric Blanc auf die folgende Formel brachte: »Alignment« (sozialistische Organisierung in der Demokratischen Partei), »Clean Break« (Schaffung einer klassenbasierten Partei jenseits von ihr) oder »Dirty Break« (Nutzung der Partei als Plattform zum Aufbau eines starken klassenbasierten Flügels, der sich dann im richtigen Moment abspaltet). Heute ist vom »Dirty Break« kaum noch etwas übrig. »Alignment« ist Fakt, die Enttäuschung groß.
Konfrontation mit China
Die Konfrontation mit China wurde schon von der Bush-Regierung begonnen (2001–2009) und von der Regierung Obama systematisiert (2009–2017). Die Biden-Regierung hat Trumps Wirtschaftskrieg noch forciert und mit der von Obama entwickelten Politik der militärischen Umzingelung verknüpft. Dazu gehört die geplante Errichtung eines US-Militärhauptquartiers in Japan und ganz allgemein die erhebliche Aufrüstung der Region. Die USA brechen zunehmend mit ihrer traditionellen Ein-China-Politik, die darin besteht, sich in der Taiwan-Frage nicht zu positionieren.
Wird die Linke in den USA in der Lage sein, außenpolitisch eine eigenständige Position zu entwickeln? Dazu müsste sie ihre wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele einerseits, die Verhinderung eines möglichen Krieges gegen China andererseits erkennen und in Übereinstimmung bringen. Ob ihr dies gelingen wird, scheint fraglich.
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