Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2024

Geht Politik jetzt anders?
von Violetta Bock und Hermann Nehls

Politik anders machen – das ist das große Versprechen, mit dem in Leipzig das Direktmandat geholt wurde und für das auch auf dem Bundesparteitag mehrfach geworben wurde. Dazu gehören unter anderem ein Solifonds, viele Haustürgespräche in den nächsten Monaten und ein oder zwei Schwerpunktthemen, um einen konkreten Markenkern der Linken zu entwickeln.

Schon in der Pressekonferenz am Montag nach dem Parteitag verkündeten die neu gewählten Vorsitzenden, dass sie ihr Gehalt auf das durchschnittliche Einkommen von 2850 Euro netto deckeln wollen und es ab jetzt eine Sozialsprechstunde im Karl-Liebknecht-Haus geben wird.
Der Bundesparteitag selbst, vom 18. bis 20.Oktober in Halle, war jedoch geprägt von inhaltlich strittigeren Themen: Nicht Klima, Arbeitskämpfe, Asyl – hier besteht in großen Teilen Einigkeit; ein Antrag gegen das Sicherheitspaket der Bundesregierung wurde fast einstimmig angenommen. Sondern Krieg, Nahost und Bedingungsloses Grundeinkommen.
Christine Buchholz schrieb im Vorfeld, die Partei vermöge es nicht mehr, in gesellschaftlich relevanten Fragen polarisierend aufzutreten und offensiv bundesweite Bewegungen und Kämpfe aufzubauen und zu initiieren. Sie sei nicht mehr als grundsätzliche Opposition zum Kapitalismus wahrnehmbar. Ausdruck davon sind nicht zuletzt die desaströsen Wahlergebnisse zum EU-Parlament und zu den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Gleichzeitig verzeichnet die Linke Neueintritte wie seit langem nicht mehr. Sie machten einen relevanten Teil der über 500 Delegierten des Bundesparteitags aus. Das merkte man auch daran, dass Änderungsanträge mal gegen den Parteivorstand eine Mehrheit erhielten. Es zählten die Argumente.

Die Debatte zu Nahost
Wie die Kräfteverhältnisse in der Partei in dieser Frage liegen, lässt sich auch nach dem Wochenende nicht wirklich sagen. Eine offene Debatte und Kampfabstimmungen wollte man schon im Vorfeld vermeiden. Zu groß war die Furcht, es könne sich ein ähnliches Szenario wie auf dem Berliner Landesparteitag eine Woche zuvor wiederholen (siehe SoZ-Online, »Berliner Reformflügel dreht frei«). Die neue Parteiführung war bemüht, einen Ersetzungsantrag unter Beteiligung der verschiedenen Flügel zu erarbeiten.
Dieser enthält die Forderung nach sofortigem Waffenstillstand in Israel und Palästina, verweist auf die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs zur Klage Südafrikas im Rahmen der Völkermordkonvention und fordert, dass die »völkerrechtswidrige Kriegführung in Gaza und Libanon« sofort eingestellt werden muss, Deutschland und die NATO sie nicht mit Waffenlieferungen unterstützen dürfen. Dann heißt es: »Das Unrecht der Besatzung der palästinensischen Gebiete ist niemals eine Rechtfertigung für den menschenverachtenden Terror der Hamas – und genauso rechtfertigt der 7.Oktober nicht die Völkerrechtsverbrechen der israelischen Armee in Gaza oder im Libanon.« Die Bundesregierung wird aufgefordert, Palästina als eigenen Staat in den Grenzen von 1967 anzuerkennen.
Sicher mit Bezug auf die Debatte innerhalb der Linken Berlin wurde diese Formulierung aufgenommen: »Wer in Nahost oder hierzulande antisemitische Ressentiments befeuert, wer das Existenzrecht Israels in Frage stellt, wer gegen ju?dische Menschen hetzt oder den Terror der Hamas relativiert, kann fu?r uns ebenso wenig Bu?ndnispartner:in sein wie diejenigen, die rassistische, antimuslimische oder antipalästinensische Angriffe und Propaganda gutheißen oder betreiben. Für Antisemitismus und Rassismus ist kein Platz in der Linken
Der Antrag zu Nahost wurde mit großer Mehrheit beschlossen, ebenso ein Antrag, der die Unterstützung der von verschiedenen NGOs initiierten Petition »Für einen gerechten Frieden in Gaza. Waffenexporte stoppen und Hilfsblockade beenden!« fordert. Ein Antrag zur Antisemitismus-Definition wurde an den Vorstand überwiesen. Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform, die zur Verhandlungsgruppe gehört hatte, sagte: »Ich bin froh, dass unsere Partei solidarisch mit dem palästinensischen Volk und mit Jüdinnen und Juden ist. Beides gehört zusammen, die Klammer heißt Menschlichkeit.«
Klar ist: Der beschlossene Antrag ist in weiten Teilen ein Formelkompromiss, der nun einen Meinungskorridor definiert, für was die Linke steht. Entscheidend wird sein, ob die Linke sich stärker als bisher mit klaren Positionen an Demonstrationen und Bündnissen beteiligt.

Der Leitantrag
In der Debatte über den Leitantrag, der auch mit großer Mehrheit beschlossen wurde, folgten die Delegierten im wesentlichen den Abstimmungsempfehlungen der Antragsberatungskommission. Der umfassende Text mit dem Titel »Gegen den Strom« ist eher allgemein gehalten und endet mit konkreten Schritten hin zur Bundestagswahl. Der Wiedereinzug in den Bundestag ist das zentrale Ziel, die Fokussierung auf bestimmte Themen sollen dabei helfen, genannt wird explizit der Mietendeckel. Angenommen wurden diesmal auch einzelne Änderungsanträge, etwa zur EU, zu Krieg und Frieden oder für eine zuspitzendere Einleitung. Komplizierte Abstimmungsprozeduren standen hier eindeutigen Beschlüssen manchmal im Wege. Ob es der Linken damit gelingt, wieder als klare Friedenskraft wahrgenommen zu werden, wird sich noch zeigen. Sehr viel deutlicher gelang dies, indem der Berliner Appel gegen die Stationierung von Mittelstreckenwaffen als eigener Antrag angenommen wurde.

Das Bedingungslose Grundeinkommen
Wie der Parteitag in dieser Frage ausgehen würde, war ungewiss. Ein Mitgliederentscheid im Herbst 2022, an dem sich rund ein Drittel beteiligt hatte, hatte sich für die Aufnahme der Forderung ins Programm ausgesprochen. Entsprechend hatte der Parteivorstand eine Formulierung vorgeschlagen. Nach einer kontroversen Debatte wurde dies jedoch abgelehnt und auch ein Antrag gegen das Grundeinkommen zurückgezogen. Damit gilt weiterhin das Erfurter Programm und die Festlegung auf eine sanktionsfreie Mindestsicherung.

Der Parteivorstand
Jan van Aken (88 Prozent) und Ines Schwerdtner (79,7 Prozent) wurden als neue Vorsitzende gewählt. Jan gelang es mit dem Einstiegssatz: »Mein Name ist Jan und ich finde, es sollte keine Milliardäre geben«, die Delegierten anzusprechen. Wer Milliarden besitze, habe dieses Geld anderen weggenommen. Konkret rechnete er dies an Milliardärin Klatten vor. Eine Fürrede von einer Enkelin einer ehemaligen Hausfrau bei Frau Klatten bekräftigte dies. Sonst war die offene Fragezeit von vielen Nachfragen an die neuen Vorsitzenden gefüllt. Beantworten konnten sie die in der kurzen Zeit nicht, taten das aber bei manchen, etwa zum Genozid in Nahost, wohl auch bewusst nicht.
Der Parteivorstand ist aus den verschiedensten Lagern innerhalb der Linken zusammengesetzt. Vertreter:innen aus dem klassisch linken Flügel sind im erweiterten Parteivorstand zu finden. Dazu zählen etwa Thies Gleiss, Nina Eumann und Ulrike Eifler, die maßgeblich die gewerkschaftlichen Friedenskonferenzen in Hanau 2023 und Stuttgart 2024 vorbereitet hat.
Der Fokus des neuen Parteivorstands scheint erstmal auf der Bundestagswahl zu liegen. Mit der Aktion Silberlocke stellte Gregor Gysi in Aussicht, dass Bodo Ramelow, Dietmar Bartsch und er mit dem Kampf um Direktmandate den Wiedereinzug absichern wollen. Eine Erneuerung ist dies noch nicht. Die stellte eher der Überraschungsgast Sarah-Lee Heinrich in Aussicht, ehemals Bundessprecherin der Grünen Jugend, als sie von der Notwendigkeit von Klassenpolitik und vom Liebäugeln mit der Linken sprach.
Weniger als den zehnten Aufbruch zu feiern, war dieser Parteitag eher ein Einleiten strategischer Schritte. Viele antworteten daher auf die Frage nach dem Fazit auch mit einem pragmatischen: »Die Linke ist noch da.«

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