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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2024

Zur Israelisierung der deutschen Gesellschaft
von Iris Hefets

Das Nachkriegsdeutschland hat einst eine starke Zivilgesellschaft aufgebaut, die z.T. auf ehrenamtlicher und politischer Arbeit in verschiedenen Vereinen und Organisationen beruht. In solchen engagieren sich hier lebende Menschen für Menschenrechts- und Entwicklungsarbeit weltweit. Die staatliche Unterstützung unter demokratischen Bedingungen für Kultur, Kunst und politische Bildung hat diese Zivilgesellschaft gestärkt.

In den letzten Jahren erleben wir jedoch die Israelisierung der deutschen Gesellschaft. Nach mehreren Jahren einer Großen Koalition verlieren die progressiven Kräfte ihr Profil, sodass alle Parteien rechter werden, die Linke verschwindet und eine wachsende Militarisierung, die mit Nationalismus und Chauvinismus Hand in Hand geht, das Verständnis einer demokratischen Zivilgesellschaft ablöst, auch weil diese gezielt durch die politische Klasse geschwächt wird.
Verschiedenen Vereine wird die Gemeinnützigkeit entzogen, so Attac und Campact, der Deutschen Umwelthilfe wird damit gedroht. Das Versprechen der Grünen, das Gesetz zu ändern, damit diese geschützt werden, wurde nicht eingelöst. Daneben werden wir, wie in Israel, kriegstüchtig gemacht. Im Krieg kann man den Sozialstaat abbauen.
Auch die politische Aktivität der Klimaaktivisten von der »letzten Generation« wurde durch ihre Einstufung als terroristische Vereinigung unterbunden und in Bayern dürfen sie auch »präventiv« eingekerkert werden, d.h. sie dürfen, ohne eine strafbare Tat begangen zu haben, nur aufgrund einer »Prognose« der Behörden ihrer Freiheit beraubt werden (also eine »Administrativhaft« wie in der israelischen Militärdiktatur in der Westbank). Dazu kommen andere Maßnahmen der Politik, die die demokratischen Strukturen und Rechtsstaatlichkeit untergraben. Das Grundgesetz wird durch undemokratische »Resolutionen« ersetzt und die Loyalität zur Nation und einem nationalen Narrativ gefördert.
Das jüngste Beispiel dafür ist die schon lange auf dem Tisch liegende Resolution »Jüdisches Leben schützen«. Dabei werden nicht nur Juden und Jüdinnen entmenschlicht und im Sinne von »Rettet unsere Jüd:innen« wie eine aussterbende Spezies behandelt. Dieser Schritt der Dominanzgesellschaft will diktieren, was zum »jüdischen Leben« gehört und was nicht. Wir haben also wieder mit Deutschen mit Ariernachweis zu tun, die dies bestimmen.
Das Hauptziel ist dabei nicht, irgendeine Jüdin oder einen Jude zu schützen (wovor?), sondern unter angeblich moralischem Deckmantel undemokratisch und totalitär agieren zu können. Mit den Maßnahmen, die in dieser Resolution aufgelistet sind, kann man Institutionen und Projekte die Finanzierung kürzen, darunter den von rechts angefeindeten Gender- und Postcolonial-Studies und die Unterstützung für migrantische Communities.
So lassen sich zwei Fliegen mit einer rechten Klatsche schlagen: den demokratischen Sozialstaat abbauen und Migranten noch weiter marginalisieren, damit die politische Klasse ihre Hegemonie absichern kann. Nur Loyalität zur Staatsräson wird belohnt, so kann man hörige Untertanen selektieren, ausbilden und multiplizieren. Dafür werden neu imaginierte »Juden« instrumentalisiert.
Die politische Klasse schlägt Alarm mit erfundenen bzw. dramatisierenden existentiellen Bedrohungen (Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen, Antisemitismus unter propalästinensischen Akademiker:innen, die Stilisierung von Klimaaktivisten als Krankenwagenblockierer und »Terroristen«, die Sexualisierung migrantischer Männer). Diese Angstpolitik erlaubt totalitäre und kriegerische Maßnahmen, ungesetzliche Öl-, Pharma- und Waffengeschäfte, und die entsprechenden Konzerne und ihre Lobbys diktieren die Politik.
So landen wir in einer uns leider nur zu bekannten Welt, in der der fremde Mann (ehemals: »der Jude«) »unsere Frauen schändet«. Von der AfD über die Axel-Springer-Presse bis zum Schwaben Cem Özdemir: Alle holen diesen Juden-Stereotyp hervor, der neben der SS/Bundeswehr/HJ-Uniform der Ahnen im Keller lag, und verpassen ihm neue Kleider. »Der jüdische Mann« lief einst gierig und triebhaft mit seinem unterm Bart und der Kopfbedeckung versteckten Vorhaben herum, eine Geheimsprache (jiddisch in dem Fall) einzuführen, um die Welt zu beherrschen und die arischen, blauäugigen Frauen (heute als Ricarda Lang im Taxi zu finden) zu verführen.
Nur die Ethnie wurde umgetauscht. Laut der konspirative Umtauschtheorie überzeugen »Die Juden« von heute die blauäugigen Frauen, keine bzw. wenig Kinder zu bekommen, sodass die westlichen Gesellschaften sich genötigt sehen, Ausländer zweiter Wahl ins Land zu holen. Die Gesänge von »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus« spielen genau auf dieser Klaviatur.
Die politische Klasse will uns überzeugen, dass Juden hier keine Ausländer sind. Doch fast 99 Prozent der Jüdinnen und Juden in Deutschland sind Ausländer und Migrant:innen oder haben einen Migrationshintergrund. Nachdem man uns für die deutsche autoritäre Wende ausgenutzt hat, werden wir die nächsten sein. Auch im Ersten Weltkrieg wurden jüdische Soldaten als »unsere« behandelt.

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