Zur aktuellen Kampagne für eine ersatzlose Streichung des §218 StGB
von Brigitte Kiechle
Weltweit fordern Frauen für sich das Recht selbst zu entscheiden, ob sie Kinder wollen, wann sie Kinder wollen und wie viele sie wollen. Unabhängig davon, wie sie sich entscheiden, ist diese Entscheidung zu respektieren. Es ist eine grundlegende Lebensentscheidung und von vielen gesellschaftlichen und persönlichen Voraussetzungen abhängig. Wirkliche Entscheidungsfreiheit für oder gegen Mutterschaft setzt allerdings auch soziale Sicherheit und eine Gesellschaft ohne patriarchale und soziale Unterdrückung voraus.
Zur Entscheidungsfreiheit gehört auch das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Restriktive Abtreibungsgesetze sind Teil der Gewaltkultur gegenüber Frauen und Ausdruck frauenverachtender Verhältnisse. Solange sich Frauen nicht ohne Einschränkung und Bevormundung für einen Abbruch entscheiden können, wird es auch keine völlig frei gewählte Mutterschaft geben.
Es ist auch längst bekannt, dass mit Abtreibungsverboten und der Kriminalisierung von Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, keine Abtreibung verhindert werden kann, sondern nur Leben und Gesundheit von Frauen aufs Spiel gesetzt wird. Der Kampf gegen den §218 ist deshalb nach wie vor ein zentraler Punkt in der Geschlechterauseinandersetzung.
In der BRD ist ein Schwangerschaftsabbruch immer noch strafbar. Die Bestimmungen dazu wurden am 15.Mai 1871 im Reichsstrafgesetzbuch verankert. Schwangerschaftsabbruch galt als Verbrechen und wurde mit Zuchthaus bestraft. Auch mehr als 150 Jahre später hat sich an der grundsätzlich frauenfeindlichen Gesetzesbestimmung nichts geändert.
Die Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch sind in §218 StGB neben Mord und Totschlag eingeordnet. Er gilt immer noch als eine Straftat, die lediglich unter besonderen Voraussetzungen als rechtlich »gerechtfertigt« gilt. Nur mit einer Zwangsberatung und drei Tagen Wartefrist bleibt ein Abbruch für die Betroffene straflos.
Die »neue« Frauenbewegung schaffte es in den 70er und 80er Jahren, die Abtreibungsfrage auf die Tagesordnung zu setzen und eine Massenbewegung für die Abschaffung des §218 zu mobilisieren. Erreicht wurde eine Liberalisierung. Auf Druck der ostdeutschen Frauen beschloss der Bundestag 1992 eine Fristenregelung mit dem Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten; sie wurde vom Bundesverfassungsgericht 1993 gekippt. Die Richter übernahmen die Argumente konservativer Kreise der Kirchen und Lebensschützer, es gelte den »Schutz des ungeborenen Lebens«. Damit wurde den Frauen weiterhin die Entscheidungsfreiheit in Sachen Schwangerschaft abgesprochen.
Für die ostdeutschen Frauen bedeutete diese Entscheidung eine reale Verschlechterung, da in der DDR das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten uneingeschränkt galt.
Sobald der Druck der Frauenbewegung von unten nachgelassen hatte, witterten die Reaktionäre jedweder Couleur Morgenluft. Ihr Ziel war vor allem, die Zugangsmöglichkeiten zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch zu verhindern. In der Praxis bedeutete dies kein ausreichendes, den Fraueninteressen entsprechendes Beratungsangebot und wenig Ärztinnen und Ärzte, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen.
Viele Kliniken, auch städtische Kliniken weigern sich, Schwangerschaftsabbrüche nach dem Dreimonatsmodell mit Zwangsberatung durchzuführen. Verbunden wird das Ganze mit Hetzkampagnen selbsternannter Lebensschützer.
Feministischer Protest erfolgt vor allem zum »Safe Abortion Day« jeweils am 28.September, und gegen die rechtsextreme Mobilisierung zu den »Märschen für das Leben«. Die rechten Abtreibungsgegner sind in den letzten Jahren auf dem Vormarsch. Ihr Frauenbild ist verbunden mit einer Kampfansage an alle emanzipatorischen Vorstellungen von Frauenleben, an wirkliche Gleichberechtigung und Vielfalt der Lebensformen. Sie kämpfen dafür, dass selbst die bisherigen Regelungen des §218 wieder verschlechtert werden.
Reförmchen reichen nicht!
Für viele ergab sich ein Hoffnungsschimmer, als die Ampelregierung in ihrem Koalitionsvertrag die Möglichkeit von »Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches« in Aussicht stellte. Schließlich rang sich die Regierung zu kleinen Verbesserungen durch. So wurde der §219a StGB, das sog. »Werbeverbot« in dieser Form gestrichen. Hier ging es darum, dass Personen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, darüber nicht informieren dürfen.
Die Auseinandersetzung um den §219a spitzte sich zu, nachdem sog. Lebensschützer Ärztinnen angezeigt hatten, und Staatsanwaltschaften und Richter tatsächlich Anklagen bastelten und es zu Verurteilungen kam. Wo sie sich vor Beratungsstellen aufstellten und Frauen belästigten und als Mörderinnen beschimpften, wurden sie mit einem Abstandsverbot belegt.
Die Tatsache, dass ein Schwangerschaftsabbruch weiterhin kriminalisiert und tabuisiert wird, ging die Ampelkoalition allerdings nicht an. Sie scheute die Auseinandersetzung mit den konservativen und vor allem kirchlichen Kreisen.
Insbesondere Georg Bätzing, Bischof von Limburg und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, tat sich mit klaren Worten hervor. Er bezeichnete Schwangerschaftsabbruch klar und deutlich als Unrecht, das auf jeden Fall strafrechtlich geahndet werden und rechtlich verboten bleiben müsse. Man werde alles unternehmen, um die in seinen Augen falsche Orientierung hin zur »reproduktiven Selbstbestimmung« zu unterbinden.
Für die Ampelregierung bedeutete dies zunächst einmal, auf Zeit zu spielen. Es wurde, wie so oft in solchen Fällen, 2023 eine Expertenkommission mit einem Gutachten beauftragt. Es lag bereits Anfang 2024 vor. Darin legte die Kommission ausführlich dar, warum die rechtliche Absicherung und Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen notwendig und von breitem gesellschaftlichen Konsens getragen ist.
Doch die Ampelregierung machte deutlich, dass sie es nicht besonders eilig hatte, die Forderungen der Kommission umzusetzen. Da war u.a. vom »Verantwortungsbewusstsein für den sozialen Frieden in unserem Land« die Rede. Man wolle keinen neuen gesellschaftlichen Großkonflikt heraufbeschwören.
Es zeichnete sich also ab, dass die Streichung des §218 weiterhin nur auf dem Papier gefordert wurde und Frauenrechte, wie so oft, missachtet werden. Dies, obwohl in repräsentativen Umfragen eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung sich für eine Streichung des §218 ausspricht.
Auch diesbezügliche Ausführungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments wurden ignoriert. Er stellte fest, dass die Frauen durch die Rechtslage in Deutschland stärker in ihrem Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt sind als in anderen EU-Staaten. Dies gelte insbesondere für Schwangerschaftsabbrüche und den Zugang zu Verhütungsmitteln.
Die Bewegung stärken
Vor diesem Hintergrund hat die Bewegung gegen den §218 in der BRD einen neuen Anlauf genommen. Mit der Kampagne »Legalisieren – jetzt« soll Druck auf die Regierung ausgeübt werden, hier doch noch Handlungsbereitschaft zu zeigen. An diesem Ziel hat sich nach dem Bruch der Ampelregierung nichts geändert, da ja weitere wichtige Gesetzesvorhaben nach Angaben von Kanzler Scholz noch bearbeitet werden sollen. Das Zeitfenster, das bis zur Neuwahl besteht, sollte genutzt werden, um öffentlichen Druck aufzubauen.
Seit dem 16.September bis zum 8.Dezember finden zwölf Wochen lang in der BRD vielfältige Aktionen statt. Dafür hat sich ein breites Bündnis aus feministischen Gruppen und Netzwerken, politischen Gruppierungen und NGOs gebildet.
Die Kampagne wird zunächst mit zwei zeitgleich stattfindenden Demonstrationen am 7.Dezember 2024 in Berlin und in Karlsruhe abgeschlossen. Die gemeinsamen Forderungen des Bündnisses sind die ersatzlose Streichung des §218 aus dem Strafgesetzbuch, das Recht auf Beratung statt Beratungspflicht und die vollständige Kostenübernahme von Schwangerschaftsabbrüchen für alle.
Es besteht die Hoffnung, dass mit dieser Kampagne ein deutliches frauenpolitisches Zeichen gesetzt wird und das Bündnis und die neugeschaffenen Strukturen der Zusammenarbeit auch in Zukunft handlungsfähig bleiben und den Kampf um Selbstbestimmung und reproduktive Gerechtigkeit fortsetzen.
Dies wird umso wichtiger sein, da damit gerechnet werden muss, dass rechtskonservative Kräfte und ihre Angriffe auf Frauenrechte zunehmen. Denn es geht beim §218 StGB nicht einfach nur um den Schwangerschaftsabbruch selbst, sondern darum, wer letztlich über die Gebärfähigkeit von Frauen entscheidet.
Der Kampf um den Zugriff auf die menschliche Reproduktion ist zugleich ein Kampf um gesellschaftliche Machtverhältnisse. Es ist ein Kampf, der uns alle angeht, wenn es uns nicht nur darum geht, in einzelnen Bereichen Verbesserungen zu erreichen, sondern um die Organisierung von Protest und Widerstand, der uns aus der Fremdbestimmung befreit und ein gutes, selbstbestimmtes Leben für alle ermöglicht.
Frauenrechte zu erkämpfen ist kein Nebenwiderspruch, sondern zwingende Voraussetzung, um zu einer gesamtgesellschaftlichen Veränderung zu kommen. Bei den Demonstrationen in Berlin und Karlsruhe wollen wir lautstark und kämpferisch deutlich machen, dass wir die politische Auseinandersetzung fortführen und unseren Widerstand verstärken werden.
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