Über die Bundestagsresolution »Jüdisches Leben schützen«
Gespräch mit Arne Andersen
Die BT-Resolution »Jüdisches Leben in Deutschland schützen«, hat in der Welt der Wissenschaft, der Kultur bis hinauf in richterliche Kreise massiven Widerspruch geerntet. Was sind deren hauptsächlichen Einwände?
Natürlich muss jüdisches Leben in Deutschland geschützt und Antisemitismus bekämpft werden. Doch in der Resolution geht es in erster Linie um den »israelbezogenen Antisemitismus«, um Kritik an Israel, an seinem Status als Apartheidstaat und den Völkermordkrieg, den es momentan gegen das palästinensische Volk im Gaza führt.
Wie verlogen die Resolution ist, zeigt sich auch an der Forderung, »die Anstrengungen für eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung zu verstärken«. Dabei haben alle bisherigen Bundesregierungen nur allzu müde und folgenlose Verlautbarungen gegen neuen Siedlungen in der Westbank an die jeweiligen israelische Regierung verabschiedet.
Nachdem die Kritik an Israel in der EU massiver geworden ist – der EU-Außenbeauftragte Borell fordert jetzt ein Aussetzen der Gespräche mit Israel –, überlegt Frau Baerbock, zumindest einige israelische Minister zu belangen. Dabei weiß sie sehr genau, dass die Partei von Netanyahu, der Likud, seit 1977 in seinem Programm die Westbank als unverbrüchlich zu Israel gehörig bezeichnet, wörtlich: »Zwischen dem Meer und dem Jordan wird es nur israelische Souveränität geben.«
Der Bundestag legt seiner Resolution die IHRA-Definition von Antisemitismus zugrunde. Diese Definition ist aber selbst in Kreisen von Holocaustforschern stark umstritten. Richter:innen sagen, der Staat kann eine bestimmte Antisemitismusdefinition nicht autoritativ festlegen. Welche Konsequenzen hat eine solche einseitige Festlegung?
Wenn man Antisemitismus bekämpfen will, muss man sich auf eine Definition verständigen. Vor der IHRA-Definition galt als Antisemitismus, wer Jüdinnen und Juden als Jüdinnen und Juden diskriminiert. Unter starkem Einfluss israelischer Wissenschaftler:innen – allen voran Dina Porat, Chefhistorikerin von Yad Vashem – setzte sich 2017 mit der IHRA-Definition eine erweiterte Antisemitismusdefinition durch, die ganz stark die Kritik an Israel in den Blick nahm und diese Kritik als Antisemitismus zu verkaufen suchte. Die Bundesregierung übernahm sie per Kabinettsbeschluss umgehend im gleichen Jahr, ohne zu begründen, warum die bisherige in ihren Augen unzureichend war.
Führende Wissenschaftler:innen aus dem Bereich der Antisemitismus- und Holocaustforschung aber einigten sich auf die »Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus«, die Antisemitismus als »Diskriminierung, Vorurteil, Feindseligkeit oder Gewalt gegen Jüdinnen und Juden als Jüdinnen und Juden« definierte.
Die Festlegung auf die IHRA-Position schränkt Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit ein, insbesondere dann, wenn staatliche Raum- oder universitäre Mittelvergabe die Anerkennung dieser Definition zur Voraussetzung erklärt. Die Resolution geht sogar noch weiter, sie fordert von den Hochschulen »entsprechenden Curricula von Studiengängen« vorzunehmen. Sollten Studierende trotz entsprechender Indoktrination weiterhin deutliche Kritik an Israel und am Zionismus üben, können sie exmatrikuliert werden. Die SPD-Abgeordnete Nina Scheer hat deshalb der Resolution nicht zugestimmt.
Die Resolution ist nicht Gesetz, sie ist nicht rechtsverbindlich, nur eine Meinungsäußerung. Trotzdem enthält sie massive Forderungen gegenüber staatlichen Stellen in Bund und Land, repressiv gegen abweichende Meinungsäußerungen vorzugehen. Ist das überhaupt rechtmäßig?
Der Philosoph Thomas Hobbes hat schon im 16.Jahrhundert darauf eine Antwort gefunden: »Auctoritas, non veritas, facit legem.« Nicht Wahrheit, sondern Macht entscheidet, was rechtens ist. Aber erstaunlicherweise oder vielleicht besser erfreulicherweise gibt es im deutschen Rechtssystem mutige Richter:innen und Gerichte bis hin zu Bundesgerichten, die sich als Hüterin der Grundrechte verstehen, wie sie die Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte oder die ersten Artikel des Grundgesetzes vorsehen.
Doch Bundes- wie Landesregierungen versuchen, die Resolution in entsprechende andere Gesetze und Verordnungen zu gießen. So hat Sachsen-Anhalts CDU-geführte Landesregierung durchgesetzt, dass die deutsche Staatsbürgerschaft nur verliehen wird, wenn der Antragsteller »ausdrücklich die besondere deutsche Verantwortung für den Staat Israel und das Existenzrecht Israels« anerkennt.
Ich kann mir vorstellen, dass der nächste Bundestag die Gewährung des Asyls an das Existenzrecht Israels bindet – so löchrig ist das Grundrecht auf Asyl inzwischen geworden. Das wird juristisch allerdings spannend werden, denn (völker)rechtlich gibt es den Begriff »Existenzrecht eines Staates« überhaupt nicht. Hinzu kommt, dass Israel das einzige Land ist, das seine Grenzen gar nicht festgelegt hat, die Frage also steht, in welchen Grenzen dieses Existenzrecht gelten soll.
Gilt der UN-Beschluss von 1947, der erstmalig einen jüdischen Staat vorsah, oder die Grenzen 1948 nach Naqba und Krieg, oder die Waffenstillstandslinie nach 1967, oder das Parteiprogramm des Likud? Und was ist mit dem Selbstbestimmungsrecht der Kolonialvölker, etwa der Palästinenser, eine zwingende Norm des Völkergewohnheitsrechts, die von der internationalen Gemeinschaft als grundlegender Rechtsgrundsatz akzeptiert wird, von dem keine Abweichung zulässig ist?
Gibt es dagegen Klagen?
Meines Wissens ist staatliches Handeln, das auf dieser Resolution basiert, noch nicht zum Gegenstand von Klagen geworden. Aber es gibt zahlreiche Fälle, in den Kommunen öffentliche Räume verweigerten – etwa der Münchner Stadtrat 2017 –, weil Initiativen, die »sich mit den Inhalten, Themen und Zielen der BDS-Kampagne befassen, diese unterstützen, diese verfolgen oder für diese werben, von der Raumüberlassung bzw. Vermietung von Räumlichkeiten ausgeschlossen« sind.
Während das Verwaltungsgericht der Stadt München noch Recht gab, schmetterte der Bayrische Verwaltungsgerichtshof das Begehren mit dem Hinweis ab, die Stadt habe die Meinungsfreiheit höher zu bewerten. München gab jedoch nicht auf und zog vor das Bundesverwaltungsgericht nach Leipzig. Das BVerwG entschied am 20.1.2022, es sei nicht rechtmäßig, Boykottaufrufe gegenüber Israel staatlich zu unterbinden.
So schrieb das Gericht in seiner Presseerklärung: »Art.5 Abs.1 Satz 1 GG gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten. Der Stadtratsbeschluss greift in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit ein, weil er eine nachteilige Rechtsfolge – den Ausschluss von der Benutzung öffentlicher Einrichtungen – an die zu erwartende Kundgabe von Meinungen zur BDS-Kampagne oder zu deren Inhalten, Zielen und Themen knüpft. Die darin liegende Beschränkung der Meinungsfreiheit ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.«
Damit kommen wir zu einem der Kernpunkte der Bundestagsresolution, die die Bundesregierung ja auffordert, ein »Betätigungsverbot oder ein Organisationsverbot von BDS in Deutschland« zu prüfen. CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP greifen damit einen Antrag auf, den die AfD schon 2019 – damals noch vergeblich – gestellt hatte. Dabei ist die BDS-Bewegung ein Zusammenschluss der palästinensischen Zivilgesellschaft, der dazu auffordert, Israel so lange zu boykottieren, bis es »die Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes beendet und die Mauer abreißt; das Grundrecht der arabischpalästinensischen Bürger:innen Israels auf völlige Gleichheit anerkennt; die Rechte der palästinensischen Flüchtlinge, in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum zurückzukehren, respektiert, schützt und fördert«.
Diese Forderungen und die Unterstützung, die sie besonders unter Studierenden und Kulturschaffenden erhielt, brachte Israel in den 2010er Jahren dazu, das Ministerium für strategische Angelegenheiten einzurichten, dessen einzige Aufgabe darin besteht, weltweit die Solidarität mit dem palästinensischen Volk und die BDS-Bewegung zu desavouieren. Mit dieser Resolution folgt der Bundestag den Einflüsterungen der israelischen Propaganda.
Die Resolution stellt den bislang schwerwiegendsten Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung dar. Was kann dagegen unternommen werden?
Aufgabe ist es, wie es die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost schreibt, die »Gesellschaft im Kampf gegen jegliche Diskriminierung zu vereinen«, unabhängig davon, ob es Juden, Muslime, Schwarze oder andere Minderheiten betrifft. Der Aufruf »Nie wieder« war als Warnung vor genau solchen Verbrechen gemeint, die von Israel gerade in Palästina begangen werden.
In diesem Sinne fordere ich die Bundesregierung auf, im Einklang mit entsprechenden Berichten der UN Israel so lange zu sanktionieren und keinerlei Waffen mehr zu liefern, bis es den Völkermord an den Palästinensern beendet und die Rechte des palästinensischen Volkes anerkennt.
Arne Andersen ist Historiker und Palästina-Aktivist. Er ist Autor von "Apartheid in Israel – Tabu in Deutschland?" (Neuer ISP Verlag, 2024)
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