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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2024

Wahrscheinlichkeit eines gemeinsamen amerikanisch-israelischen Angriffs auf den Iran gestiegen
von Gilbert Achcar

Trumps Sieg im Rennen um die US-Präsidentschaft ist eine große Katastrophe für die Völker der Region. ­Netanyahu hat sehnsüchtig auf diesen Sieg gehofft und alles getan, um dazu beizutragen. Was erwartet uns jetzt?

Schon in seiner ersten Amtszeit hat Trump die offiziellen politischen Positionen, die die USA lange Zeit in bezug auf den Nahostkonflikt vertreten haben, zugunsten Israels aufgegeben: Es hat die Annexion der besetzten syrischen Golanhöhen durch Israel offiziell gebilligt, die US-Botschaft nach Jerusalem verlegt und das US-Konsulat für die besetzten Gebiete von 1967 geschlossen – was alles eine Unterstützung des zionistischen Expansionismus bedeutete.
Trump hat auch Israels Haltung gegenüber dem Iran unterstützt, hat das Atomabkommen gekündigt, das die Regierung seines Vorgängers Barack Obama nach langen und schwierigen Verhandlungen mit Teheran geschlossen hatte, und durch die Ermordung des Kommandeurs der Al-Quds-Truppe der iranischen Revolutionsgarden, Qassem Soleimani, die militärische Provokation eskaliert.
Gleichzeitig betrachtet Trump das Öl und der arabischen Golfmonarchien und ihr Geld als oberstes Interesse der USA und den zionistischen Staat als unschätzbaren Verbündeten in seiner Rolle als Wachhund für dieses oberste Interesse.
Es ist daher zu erwarten, dass er in bezug auf den Libanon die Position der Biden-Regierung übernehmen wird – also versuchen wird, den laufenden Krieg zu Bedingungen zu beenden, die Israel zufriedenstellen. Das bedeutet: Rückzug der Hisbollah-Truppen aus dem Norden des Gebiets, das in der Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrats von 2006 festgelegt ist, und deren schrittweise Ersetzung, ebenso wie der israelischen Besatzungstruppen dort, durch die reguläre libanesische Armee. Die Hisbollah soll Garantien dafür geben, dass sie nicht in das genannte Gebiet zurückkehrt und nicht weiter Raketen vom Iran über syrisches Hoheitsgebiet bezieht, und soll sich dafür unter die Oberaufsicht der USA stellen.
Dies würde mit einer Stärkung der libanesischen Armee einhergehen, sodass sich das Kräftegleichgewicht im Libanon ändern und der von den USA dominierte Staat über die vom Iran dominierte Partei siegen könnte.
Der Abschluss eines solchen Abkommens ist jedoch derzeit von der Zustimmung des Iran abhängig, der es aber immer noch ablehnt, weil Teheran es vorzieht, dass die Hisbollah im Getümmel bleibt, statt sie aussteigen zu lassen und somit daran zu hindern, an der bevorstehenden Konfrontation zwischen dem Iran und der amerikanisch-israelischen Allianz teilzunehmen.
Netanyahu ist überzeugt, dass Trump eher als Biden bereit sein wird, sich an dieser Konfrontation zu beteiligen. Trump wird sich auch mit seinen Freunden am Golf beraten. Diese sind daran interessiert, der iranischen Eskalation in bezug auf Palästina entgegenzuwirken und Teheran davon zu überzeugen, ihre Ölanlagen zu verschonen – Teheran hat gedroht, diese anzugreifen, wenn seine Atomanlagen angegriffen werden.
Die Wahrscheinlichkeit eines gemeinsamen amerikanisch-israelischen Angriffs auf den Iran ist mit Trumps Rückkehr ins Weiße Haus stark gestiegen. Er wird sicher versuchen, die feste Hegemonie der USA über die Golfregion wiederherzustellen, die in der Ära Obama und Biden geschwächt wurde.
In bezug auf Palästina wird Trump wahrscheinlich Israels offizielle Annexion eines großen Teils des Westjordanlands und des Gazastreifens unterstützen – insbesondere des nördlichen Teils des Gazastreifens, wo derzeit eine »ethnische Säuberung« durch die zionistische Armee stattfindet. Israel kann dann um seine Siedlungen im Westjordanland ausbauen und deren Errichtung in Gaza wieder aufnehmen.
Israel wird auch die strategischen Korridore behalten, die ihm ermöglichen, die verbleibende Konzentration der palästinensischen Bevölkerung in den beiden besetzten Gebieten zu kontrollieren.
Wie in dem von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner ausgearbeiteten und Anfang 2020 angekündigten »Jahrhundert-Deal« wird die Transaktion wahrscheinlich eine »Entschädigung« beinhalten, die den Palästinensern im Austausch für das angeboten wird, was ihnen genommen und offiziell dem israelischen Staatsgebiet angegliedert wird: das sind Gebiete in der Negev-Wüste.
Vor acht Monaten äußerte Kushner die Meinung, Israel solle den nördlichen Teil des Gazastreifens übernehmen und in die Entwicklung seiner »Meeresfront« investieren, während es seine palästinensischen Bewohner in die Negev-Wüste umsiedelt.
Auch ein solches »Abkommen«, das das palästinensische Volk für dumm verkauft, wird keinen palästinensischen Akteur mit der geringsten Glaubwürdigkeit finden, der bereit wäre, es zu akzeptieren. Israel wird sich daher berechtigt fühlen, es einseitig mit Gewalt durchzusetzen, während die zionistische extreme Rechte gleichzeitig weiter Druck ausüben wird, um die Naqba von 1948 zu vollenden, indem das gesamte palästinensische Gebiet zwischen dem Fluss und dem Meer annektiert und die meisten seiner Bewohner entwurzelt werden.

Gekürzt aus: https://blogs.mediapart.fr/gilbert-achcar/blog/131124/
trump-et-le-moyen-orient-que-nous-reserve-l-avenir

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