Plädoyer für solidarische Kooperation
von Manuel Kellner
Jakob Schäfer: Konkurrenz – Grundprinzip einer vernünftigen Gesellschaftsordnung?, Wien: new academic press, 2024. 151 S., 12,90 Euro
Wie so oft bei Titeln mit Fragezeichen lautet die Antwort »Nein!«. Konkurrenz ist keineswegs das »Grundprinzip einer vernünftigen Gesellschaftsordnung«. Sie ist das Grundprinzip der kapitalistischen Produktionsweise.
Nicht nur die verschiedenen Kapitaleigentümer konkurrieren miteinander um den größtmöglichen Profit. Auch diejenigen, die nur ihre Arbeitskraft haben und sie verkaufen müssen, um zu (über)leben, konkurrieren miteinander. Im Konflikt mit den Kapitaleigentümern können sie ihre Interessen durch gemeinsame Aktion zur Geltung bringen. Doch sie sind vereinzelt, versuchen, sich gegen andere abhängig Beschäftigte besser zur Geltung zu bringen. Hinzu kommen zahlreiche Spaltungslinien, die von der Kapitalseite genutzt und befördert werden (Männer gegen Frauen, Alte gegen Junge, Eingewanderte und Alteingesessene usw.), um die Klassensolidarität der Beschäftigten zu untergraben.
Im ersten Kapitel zeigt Jakob Schäfer auf, welche negativen Konsequenzen die allumfassende Konkurrenz der total entfalteten Waren- und Geldwirtschaft auf die Menschen hat. In den Betrieben werden sie einer strikten Hierarchie unterworfen, die Schwächeren und Glücklosen fallen durch den Rost und verarmen, die Arbeit für den Profit anderer schadet ihrer physischen und psychischen Gesundheit, ihre natürlichen Anlagen einschließlich ihrer Neugierde beim Lernen, ihrer Freude an Kreativität, ihrer Hilfsbereitschaft und ihrer Neigung zu freundschaftlichen und liebevollen Beziehungen werden systematisch untergraben.
Im zweiten Kapitel zeigt der Autor, dass die auf Konkurrenz beruhende Gesellschaft eine vergleichsweise späte Entwicklung ist. Lange Zeit, vor allem vor der Ausbreitung der Teilung der Gesellschaften in Klassen vor vielen tausend Jahren war die Kooperation das mächtigste Mittel der Menschen, um in der Natur zu bestehen und ihre Lebensmittel zu gewinnen und herzustellen.
Die Lösung der heute bedrängenden globalen Probleme – von der grotesk gesteigerten sozialen Ungleichheit bis zur Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen – erfordert dringlicher denn je die Zusammenarbeit der Menschen, über die Grenzen der Staaten und die Abgründe der Weltregionen hinweg. Konzepte wie »Konvivialität« und »Buen vivir« weisen in die richtige Richtung: Statt blindem Anhäufen von Konsumgütern ein gutes Leben in Gemeinschaften, womit auf Grundlage existenzieller Sicherheit die Fähigkeiten und Anlagen der Menschen entwickelt werden.
Jakob Schäfer beschränkt sich nicht darauf, Vordenker wie Karl Marx oder Ernest Mandel zu zitieren. Er folgt vielmehr einer guten Tradition, die wir aus der Marxistischen Wirtschaftstheorie von Mandel kennen und führt im dritten Kapitel eine ganze Reihe von großteils nicht sozialistisch oder marxistisch denkenden Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Bereichen der Natur- und Humanwissenschaften an, um seine These zu erhärten, dass das Streben nach Wettbewerb gegeneinander weder in der Natur selbst noch in der Natur des Menschen festgeschrieben ist.
Er widerlegt das Märchen von den »egoistischen Genen«, analysiert das »Gefangenendilemma«, befasst sich mit Forschungsergebnissen der Neurobiologie und der Verhaltenspsychologie und auch mit einschlägigen soziologischen und philosophischen Debatten, mit lernen und spielen. Ich finde zwar, dass Darwin bei ihm etwas zu schlecht wegkommt (zumal seine Erkenntnisse zur Entwicklung des Lebendigen unter dem Dauerbeschuss der evangelikalen Kreationisten stehen), aber das wäre eine eigene Debatte, für die hier kein Platz ist. Insgesamt ist die Argumentation jedenfalls überzeugend und stimmig.
In den letzten beiden Kapiteln entwickelt Schäfer seine Alternativen. Zunächst skizziert er die Art und Weise, wie eine demokratisch geplante Wirtschaft, mit stark akzentuierter Dezentralisierung der Entscheidungsebenen, funktionieren kann. Das politische System einer sozialistischen Demokratie lebt von freiem Meinungsstreit und erlaubt eine effiziente Korrektur von Fehlentscheidungen. Politische Macht wird nicht an irgendwelche »Eliten« oder unkontrollierbare Apparate delegiert. Und natürlich braucht ein solches System, das den Übergang zu einer Assoziation freier Produzentinnen und Produzenten organisieren soll, eine unabhängige Justiz auf Grundlage eines kodifizierten Rechts.
Zuletzt beschäftigt sich der Autor mit den in der Gegenwart gegebenen Ansätzen und Organisationsformen, von denen aus die Brücken zur angestrebten umfassenden Emanzipation geschlagen werden können (Gewerkschaften, Genossenschaften, Bürgerinitiativen, Selbsthilfegruppen, politische Zusammenschlüsse usw.). Hier finden sich Fingerzeige dafür, wie von einer sozialistisch-demokratischen Zukunft nicht nur geträumt, sondern wie auch für ihre Verwirklichung gehandelt werden kann.
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