Was Krieg für den Haushalt bedeutet
von Angela Klein
Fred Schmid: Die »Zeitenwende« und der Militär-Industrie-Komplex. isw report Nr.140. München 2024, 3,50 Euro (isw_muenchen@t-online.de)
Seit dem Beginn des Ukrainekriegs werden wir mit der Propaganda bombardiert, Deutschland müsse »kriegstüchtig« werden. Eine ARD-Sendung stellt die Frage: »Können wir Krieg?«, um sie dann natürlich negativ zu beantworten, als hätte uns bislang etwas gefehlt und wir seien nicht ganz normal gewesen, weil wir Krieg nicht als etwas Normales betrachtet haben. Zweifellos aber standen deutsche Soldaten bereits mehrfach im Krieg, zuletzt in Afghanistan, und man hat nicht gehört, sie hätten ihren Job dort »nicht gekonnt«.
Ein solcher Krieg, ein Kolonialkrieg, scheint aber nicht gemeint zu sein. Im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg ist gemeint: Wir können Krieg mit Russland (noch) nicht. Die Frage ist freilich, ob es überhaupt möglich ist, Krieg mit der größten Nuklearmacht der Welt »zu können«. Welches Ziel hätte dieser Krieg, wenn wir ihn »könnten«? Die gegenseitige Vernichtung?
Allein dass die Frage so steht, zeigt, dass im Zeitalter der Atomwaffen Krieg nicht mehr in derselben Weise gedacht werden kann, wie dies noch im Zweiten Weltkrieg möglich war. In einem konventionellen Landkrieg wurde da um Territorien gekämpft, für fremden Raum, der sich besetzen und danach ausbeuten ließ, auch in den Kolonien. Nach einem Atomkrieg ist so etwas nicht mehr möglich, da wird das Gebiet, das man sich aneignen wollte, unbewohnbar (das eigene auch).
Wenn aber ein solcher Krieg nicht gewonnen werden kann, kann es nur darum gehen, ihn um jeden Preis zu vermeiden. Dazu bedarf es freilich anderer Mittel als der bisher eingesetzten und angedachten. Darüber gibt es aber keine Diskussion. Niemand formuliert derzeit klar, was das Ziel eines direkten deutschen Militäreinsatzes gegen Russland wäre, für den gerüstet wird.
Die Bundesregierung formuliert ein solches Ziel nicht einmal im Hinblick auf die Ukraine, sondern verschanzt sich hinter der Formel: Es ist Sache der Ukraine, die Kriegsziele festzulegen. Wenn aber die deutsche Bevölkerung einen erheblichen Teil der Kosten dieses Krieges trägt und auch Gefahr läuft, selber zum Ziel russischer Angriffe zu werden, weil mit deutschen Waffen und unter tätiger Mitwirkung deutscher Soldaten Ziele in Russland angegriffen werden, ist es auch Sache der deutschen Politik zu definieren, wie weit sie in diesen Krieg hineingezogen werden will und was sie darin realistischerweise erreichen kann.
Das tut sie nicht, sondern handelt nach dem Motto: Erst schießen, dann schauen. Der fortgesetzte Glaube, eine Wunderwaffe könne die strategische Unterlegenheit der Ukraine wettmachen, grenzt geradezu an kindliche Naivität, ist aber eher eine Form von Arroganz und Technikverliebtheit.
Quantensprung bei den Ausgaben
Während in der Ukraine damit nichts gewonnen wird, wird hierzulande der letzte Rest an gesellschaftlichem Zusammenhalt geopfert. Der neue isw-Report schildert eindrücklich, was es bedeutet, wenn Pistorius sagt: »In fünf Jahren muss Deutschland Krieg mit Russland führen können.«
Es bedeutet erstens, dass die Ausgaben des Bundes für Rüstung steil gestiegen sind:
2021, vor dem Krieg, betrug der offizielle Verteidigungshaushalt (Einzelplan 14) 46,9 Mrd. Euro, für 2025 sind 53,25 Mrd. geplant. Hinzu kommen seit 2022 die militärischen Aufwendungen für den Krieg in der Ukraine und seit 2023 die Entnahmen aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Mrd. Euro (ab 2024 kommt noch der Schuldendienst wegen der Kredite für das Sondervermögen hinzu).
Die Gesamtausgaben sind also in den drei Kriegsjahren von 46,6 auf 78,55 Mrd. gestiegen. Nach NATO-Kriterien sind es sogar noch mehr, nämlich 90,6 Mrd., das sind 2,12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Diesen Sprung hat der Ukrainekrieg verursacht, da beißt keine Maus den Faden ab. Er wird auch offen begründet mit dem Ziel, dass »Russland nicht mehr auf die Beine kommt«.
Und er geht zulasten der Sozialhaushalte: Allein der Einzelplan 14 war im Jahr 2024 fast so groß wie die Haushalte für Bildung/Forschung, Gesundheit, Familie/Frauen/Jugend sowie Umwelt zusammengenommen (51,8 Mrd. vs. 52,3 Mrd.)
Die Rüstungsausgaben steigen seit zehn Jahren, seit dem Euromaidan – zusammengenommen addieren sie sich allein im Einzelplan 14 auf 494,7 Mrd. Dollar, fast eine halbe Billion. Seit 2017 haben sie sich mehr als verdoppelt, der Verteidigungshaushalt war stets der zweitgrößte Haushalt. Dennoch wird das Märchen verbreitet, die Bundeswehr sei kaputt gespart worden. Zielführender wäre die Frage, wo das Geld geblieben ist? Teure Raubkatzen wurden angeschafft, die sich zum Teil, wie der Leo 2, in den ukrainischen Feldern nicht bewährt haben.
Das Sondervermögen wird 2027 aufgebraucht sein. Allein um die von der NATO geforderte 2-Prozent-Marke halten zu können, fordert die Bundeswehr weitere Milliarden – genannt werden zwischen 100 und 300 Milliarden bis 2028.
Ein militär-industrieller Komplex
Solche Größenordnungen kann die deutsche Rüstungsindustrie, so wie sie derzeit verfasst ist, nicht stemmen. Sie muss ihre Produktionsanlagen deutlich ausweiten. Die Pläne sind gigantisch:
Es geht um nichts weniger, schreibt Fred Schmid in dem report, als um den Aufbau eines militär-industriellen Komplexes (MIK) in Deutschland. Als solchen definiert er ein politisch-ökonomisches Machtkonglomerat, das danach strebt, alle Lebensbereiche im Inneren zu durchdringen, die Rüstungsproduktion zu steigern und die Außenpolitik zu militarisieren… Er ist eine unheilvolle, friedensgefährdende Machtallianz aus Rüstungs- und Finanzkapital, Spitzenmilitärs und den für Militär und Rüstung zuständigen staatlichen Stellen. Verfilzt ist dieses informelle Machtgebilde mit Rüstungslobbyverbänden und bellizistischen Institutionen, flankiert von Kriegstreibern in Medien, Institutionen und Parteien plus Regierung.
Der MIK ist keine eigenständige Kapitalformation, sondern Teil des transnationalen Kapitalsystems, allerdings mit nationalstaatlichen, staatsmonopolistischen Elementen. Er ist die reaktionärste, aggressivste und kriegerischste Fraktion des transnationalen Kapitals.
Schmid beschreibt dann im Detail die Lobbyverbände, die die Schnittstellen bilden, sowie die Struktur der deutschen Waffenindustrie, die Eigentumsverhältnisse und die Kapitalverflechtungen. Er beschreibt auch den Quantensprung, der jetzt gemacht werden soll, und dessen Hauptprofiteure: an erster Stelle Rheinmetall.
Private Profite mit staatlicher Garantie
Die deutsche Rüstungsindustrie ist bislang weitgehend mittelständisch organisiert. Insgesamt gibt es in Deutschland 1350 Rüstungsbetriebe, vorwiegend Familienbetriebe und kleine Personengesellschaften, allesamt mit geringer Veröffentlichungspflicht. Die vier größten deutschen Rüstungsfirmen bringen es unter den 100 weltweit größten Rüstungskonzernen nur auf einen Anteil von 1,5 Prozent an deren Gesamtumsatz. Das sind: Airbus, Rheinmetall, Thyssen Krupp, KDNS (Zusammenschluss von Kraus-Maffei Wegmann und dem französischen Nexter). An der Dax-Börse gelistet werden zusätzlich nur noch Hensoldt, MTU Aero und Renk.
Damit die ehrgeizigen und teuren Waffensysteme, die für einen Krieg mit Russland als notwendig erachtet werden, finanziert und gebaut werden können, dringt die Rüstungswirtschaft auf einen forcierten Konzentrationsprozess. Das bedeutet eine verstärkte europäische Verflechtung der Unternehmen, eine Aufgabe, die die EU-Kommission koordinieren soll. Versteht sich, dass auch auf EU-Ebene die Rüstungsausgaben massiv steigen sollen, im Gespräch ist ein EU-Verteidigungshaushalt von 500 Mrd. Euro für die nächsten drei bis fünf Jahre. (Anmerkung: Der Lissabon-Vertrag verbietet ausdrücklich die Nutzung des europäischen Haushalts für militärische Zwecke. Man behilft sich mit der Konzentration auf Ausgaben, die sowohl militärischen als auch zivilen Zwecken dienen.)
Es ist ein neues Eldorado, das sich hier auftut. Dennoch wollen die Investoren auf Nummer sicher gehen: »Wir müssen in die Skalierung kommen«, sagt die Chefin von Renk (Panzergetriebe), Susanne Wiegand, gegenüber dem Handelsblatt am 13.3.24 – d.h. die zu produzierenden Stückzahlen müssen erheblich steigen. »Dazu muss die Politik der Rüstungsindustrie jedoch mittel- und langfristige Abnahmegarantien zusagen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Unternehmen investieren.«
Fred Schmid schließt mit der Bemerkung: »Die sich steigernden Waffenlieferungen an die Ukraine, der Bestellschub der Bundeswehr und die zunehmenden Rüstungsexporte forcieren den Wandel von Manufakturbetrieben zu Großserienherstellern bei Kriegsgeräten und zu Massenproduzenten bei Munition und Granaten.«
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