Tauschbörsen als Gegenmittel
von Gerhard Klas
»Rechtswidrig ist die Bezahlkarte, nicht unsere Solidarität«, schrieb der Bayerische Flüchtlingsrat Mitte November in einer Presseerklärung. Im Bundesland des Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), einer der lautesten Befürworter der Bezahlkarte für Geflüchtete, haben sich Tauschbörsen etabliert, mit denen das diskriminierende Ansinnen der Bezahlkarte unterlaufen wird.
Unterstützer:innen nehmen die 50 Euro Coupons entgegen, mit denen sie in diversen Discountern und Supermärkten einkaufen können – und geben dafür 50 Euro in bar. Nicht nur die bayerische AfD wirft den Tauschbörsen »Sozialleistungsmissbrauch« vor, auch die Landesregierung ist mehr als verärgert.
Der Arbeitskreis Juristen in der CSU will mit juristischen Mittel diesen Akt der Solidarität kriminalisieren und behauptet, so würden »demokratische, legitimierte Entscheidungen« untergraben. Und die oppositionelle Stadtratsfraktion der CSU in München will prüfen, ob Einrichtungen, in denen Gruppen den Gutscheintausch anbieten, die städtische Förderung entzogen werden kann.
Es ist nicht das einzige Bundesland mit solchen Tauschbörsen, aber in Bayern gibt es sie fast flächendeckend in jeder größeren Stadt, allein in München gibt es zehn Anlaufstellen. Buchhandlungen, Cafés, Galerien und das Parteibüro der Linken gehören dazu. Und das Stadion bei Heimspielen des FC Bayern. »Ihr habt am Treffpunkt am Südkurvenplatz die Chance, auf einfachem Weg einen echten Unterschied im Leben von geflüchteten Menschen in Bayern zu machen, Solidarität zu zeigen und dieser Diskriminierung etwas entgegenzusetzen«, so die Ultragruppierung »Schickeria«.
Zum Teil sind mehrere Tauschbörsen zu finden – in Augsburg, Grafing, Ingolstadt, Passau, Regensburg und Würzburg.
Vorreiter Bayern
In Bayern gibt es die Bezahlkarte schon seit Juli 2023, ein Jahr bevor sie mit der Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes auf eine bundesweite Rechtsgrundlage gestellt wurde.
Mit dieser Bezahlkarte verfügen Geflüchtete maximal über 50 Euro Bargeld pro Monat, angeblich sollen damit Zahlungen an Schlepper und Familien in Herkunftsländern unterbunden werden. Die These darf allein schon wegen des geringen Betrags, den Geflüchtete erhalten, angezweifelt werden. Das Kalkül vieler Politiker: Wenn Asylbewerber kein Bargeld erhalten, wird Deutschland für Geflüchtete als Zufluchtsort weniger attraktiv.
Kritiker:innen sehen darin jedoch eine verfassungswidrige Beschneidung des menschenwürdigen Existenzminimums. Sozialgerichte in Nürnberg und Hamburg urteilten bereits, dass die pauschale Bargeldgrenze rechtswidrig sei und die individuellen Lebensumstände der Geflüchteten berücksichtigen müsse.
Ein zentraler Ort dieser Bewegung ist das Stadtteilzentrum »Desi« in Nürnberg. Dort werden Gutscheine von Supermärkten wie Lidl oder Rewe geprüft und gegen Bargeld getauscht. Organisiert wird die Aktion u.a. vom Bayerischen Flüchtlingsrat, der die Bezahlkarte als diskriminierend kritisiert.
Sie ist nicht vergleichbar mit einer Girokontokarte. Die Bezahlkarte ist auf 50 Euro Bargeld und einen regionalen Geltungsbereich beschränkt. Was das heißt, legen die lokalen Behörden unterschiedlich aus. Onlinebestellungen, Fachgeschäfte außerhalb der Landkreisgrenze seien für manche Asylsuchende, etwa in Niederbayern, nicht zugänglich. Auch Überweisungen an den Handyanbieter, den Anwalt oder den Sportverein erlaubt die Bezahlkarte nicht.
»Anstatt zu versuchen, die Gutscheintauschinitiativen zu kriminalisieren und rechten Diskursen Vorschub zu leisten, sollten die Verantwortlichen sich darum kümmern, dass ihre Politik grundrechtlichen Standards entspricht«, sagt Katharina Grote, Sprecherin des Bayerischen Flüchtlingsrats. »Eine Zivilgesellschaft, die dies mit legalen Mitteln und Solidarität einfordert, ist in diesen Zeiten etwas, was es zu verteidigen und nicht zu bekämpfen gilt.«
Faktenfreie Behauptungen
Befürworter der Bezahlkarte aus FDP, SPD und Grünen argumentieren, dass Maßnahmen wie diese der AfD das Wasser abgraben würden.
Aktivist:innen vom Bayerischen Flüchtlingsrat fordern hingegen eine faktenbasierte Debatte und mehr Fokus auf die positiven Aspekte von Migration. Forschungen belegen, dass Sozialleistungen kaum Einfluss auf Fluchtbewegungen haben, anders als vielfach behauptet.
Die Initiativen betonen, dass die Bezahlkarte, wie sie derzeit ausgestaltet ist, nicht als Girokontoersatz taugt, sondern Freiheiten raubt und Integration behindert. Zusätzlich verweisen sie auf die bundesweite Einführung der Bezahlkarte, die mit Verzögerungen verbunden ist und je nach Bundesland unterschiedlich umgesetzt wird. Einige Kommunen, wie Potsdam, planen großzügigere Bargeldregelungen, in Berlin ist sie noch gar nicht eingeführt.
Trotz der Kritik an und der Gerichtsurteile zur Bezahlkarte wurde diese diskriminierende Maßnahme auf der Innenministerkonferenz Anfang Dezember nicht in Frage gestellt.
»Die Tauschaktionen sind eine notwendige Reaktion auf die Bezahlkarte und ihre restriktiven Regelungen, die ein verfassungsmäßiges Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum unterlaufen. Solange der Gesetzgeber an diesen rechtswidrigen Vorgaben festhält, halten wir an unserer solidarischen Praxis fest«, so Katharina Grote, Sprecherin des Bayerischen Flüchtlingsrats.
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