Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2025

Mord an US-Versicherungsdirektor
von Matthias Becker

In den USA löst der Mord an einem Versicherungsmanager eine Welle von Sympathiebekundungen für den Täter aus. Verwunderlich daran ist nur, dass dies die Leitmedien verwundert.
Ein Mensch wird erschossen. Nicht ungewöhnlich in einem Land, in dem täglich ungefähr 55 Menschen mit Schusswaffen umgebracht werden. Allerdings sind die Opfer selten vielfache Millionäre wie Brian Thompson, der Vorstandschef des größten privaten Krankenversicherers.

Nach seinem gewaltsamem Tod Anfang Dezember in New York setzte die Polizei alle Hebel in Bewegung, um den Täter zu finden. Sie bildete eine Fahndungsgruppe, druckte Plakate, lobte eine hohe Belohnung für Hinweise aus, wertete die Aufnahmen von Überwachungskameras aus. Der Begriff »Klassenjustiz« lässt sich kaum besser veranschaulichen: Die Armen interessieren als Täter, nicht als Opfer. Bei Reichen ist es umgekehrt.
Kaum eine Branche ist in den USA so verhasst wie die private Krankenversicherung. Die meist börsennotierten Unternehmen senken ihre Ausgaben, indem sie sich routinemäßig weigern, die Behandlungskosten ihrer Versicherten zu bezahlen. Im Internet berichten Betroffene von Fällen, in denen eine Versicherung die Kosten für eine Dialyse ablehnte, von Chemotherapien, die aus Kostengründen abgebrochen werden mussten, von unbezahlbaren überlebenswichtigen Medikamenten wie Insulin.
So empfanden es zahlreiche Amerikaner als Zumutung, dass von ihnen Betroffenheit erwartet wurde, als der Chef eines solchen, übrigens besonders berüchtigten, Unternehmens umgebracht wurde. Viele zeigten nicht nur Verständnis für den Täter, sondern unterstützen ihn. Die ununterbrochene Berichterstattung heizte die Solidarität mit ihm geradezu an.
Die amerikanische Gesellschaft ist geprägt von scharfen, wachsenden Klassengegensätzen. Die zunehmend ungleiche und ungerechte Verteilung von Lebensrisiken und Lebenschancen zerrüttet die Gesellschaft. Jahrzehntelange Proteste für eine bessere medizinische Absicherung und Versorgung waren erfolglos; weder Demokraten noch Republikaner haben eine Reform im Interesse der Bevölkerungsmehrheit im Angebot. Niemand kann sich über Gewalttaten wie diese Ermordung wundern. Sie bieten weder Grund zur Häme, noch zur Trauer.
»Es gibt viele Arten zu töten«, schreibt Brecht und zählt einige davon auf: »Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.«

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