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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2025

Ein Szenario für die Ukraine
von Angela Klein

Inzwischen rechnen auch die Main­streammedien damit, dass die US-Regierung unter Trump einen Weg suchen wird, sich aus dem Krieg in der Ukraine zurückzuziehen. Das heißt aber: Da die USA das Gros der Waffen liefern, in einem Umfang, der von der EU derzeit nicht ausgeglichen werden kann, steuern wir auf Waffenstillstandsgespräche zu.
Im November, angesichts der russischen Gelängegewinne erwog Selenskyj selbst erstmals wieder die Möglichkeit, die Ostukraine vorläufig aufzugeben, wenn der Rest der Ukraine unter den militärischen Schirm der NATO käme.

Die militärische Lage ist derzeit für die Ukraine aussichtslos. Gegen die russischen Oreschnik-Raketen hat die NATO noch kein ausreichendes Gegenmittel. Das mittlerweile größere Problem aber ist der im Land zunehmende Unwille, für diesen Krieg noch den Kopf hinzuhalten.
Offiziellen Angaben zufolge sind seit Beginn des Krieges 100.000 Soldaten desertiert, allein zwischen Januar und Oktober 2024 wurden gegen 60.000 Deserteure Verfahren eingeleitet – mehr als doppelt so viel wie in den zwei Kriegsjahren davor. Die Soldaten verließen unerlaubt ihre Stellungen, traten ihren Dienst nicht mehr an oder flüchteten in vermeintlich sichere Gebiete in der Ukraine.
Hinzu kommen die wehrfähigen jungen Männer, die mit Beziehungen oder Bestechung das Land verlassen können – allein in Deutschland halten sich laut Berliner Zeitung 294.926 von ihnen auf. Und die Rekrutierungskampagne vom Mai ist gescheitert.
Dass aber der Soldatenmangel in der Ukraine europäische NATO-Staaten veranlasst, über die Entsendung eigner Bodentruppen nachzudenken, spricht Bände über die Motive für ihre Kriegsbeteiligung: Nicht ein Recht auf Selbstbestimmung wird da unterstützt, vielmehr fechten NATO-Staaten auf ukrainischem Boden ihren eigenen Krieg mit Russland aus – und diktieren der Ukraine dabei ihr neoliberales Wirtschaftsmodell, was bedeutet: Privatisierung ihrer natürlichen Reichtümer zugunsten westlicher Konzerne und soziale Entrechtung der Arbeiter.

Die trüben militärischen Aussichten sind für die künftige US-Administration jedoch nicht der einzige Grund, weshalb sie eine Kehrtwende einleiten will. Die Asia Times spricht von ganz anderen Überlegungen: Es geht mal wieder um Gas und Öl. Die bisherigen Sanktionen funktionieren nicht richtig. Sie haben zudem den negativen Nebeneffekt, dass sich eine wirtschaftliche Achse Russland-China bildet, die droht, die USA aus einem erheblichen Teil des Welthandels schlicht auszuschließen. Das liegt Trump im Magen. Und für einige Geschäfte ist Krieg schlecht.
Die FAZ berichtete am 22.11.2024, dass die noch intakte Gaspipeline Nord Stream 2 im kommenden Jahr versteigert werden soll. Der US-Investor Stephen Lynch will sie kaufen, er macht seit langem Geschäfte mit Russland.
Das könnte den Weg freimachen für Energiediplomatie, schreibt die Asia ­Times. Denn dann wäre die Pipeline unter amerikanischer Kontrolle. Dann könnte durch sie auch wieder Gas aus Russland nach Deutschland fließen, wodurch Energie hierzulande wieder billiger und eine größere Rezession vermieden werden könnte – und Deutschlands Status als stabiler Markt für US-Exporte gefestigt würde.
Für Trump ist das Wichtigste, dass die Pipeline den USA gehört, nicht einem russisch-deutschen Konsortium. Was dann wohin fließt, ist zweitrangig.
Diese partielle Aufhebung von Sanktionen könnte das Aushandeln eines Waffenstillstands erleichtern. Aber natürlich würde Russland eine Gegenleistung zu erbringen haben und die betrifft ebenfalls die Energiefrage: Bekanntlich ist China der Gegner, auf dessen Bekämpfung Trump sich konzentrieren will. Russisches Öl soll also nicht mehr nach China, sondern nach Indien fließen, LNG-Gas nach Japan geliefert werden, auch eine Pipeline in den Iran wäre denkbar.
Vor allem soll Russland von dem Pipeline-Projekt Siberia II Abstand nehmen, durch das China direkt mit billigem russischem Gas versorgt würde. Die Geschäfte würden in Dollar getätigt, was bedeuten würde, dass Russland wieder an SWIFT teilnimmt, dem Verfahren für grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr.
Mit Hilfe von Russland will Trump China also isolieren, was dem BRICS-Projekt einen schweren Schlag versetzen würde. Die russische Wirtschaft könnte von dem Deal profitieren, US-Firmen könnten Russland notwendiges technologisches Know How verkaufen.
Damit Putin das schluckt, müsste die Ukraine Konzessionen machen. Der bisherige Frontverlauf könnte eingefroren, eine Demarkationslinie mit einer entmilitarisierten Zone geschaffen werden.
Auch das wäre eine Lösung auf dem Rücken der Ukraine, von der völlig unklar ist, ob sie halten würde. Aber zumindest würde das Töten aufhören und die jungen Ukrainer, die ihr Land verlassen haben, würden vielleicht wieder eine Perspektive darin sehen zurückzukehren.

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