Cash is King
von Laura Valentukeviciute
Im Gesundheitswesen bleibt es bei Privatisierung und Fallpauschalen
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte eine Revolution versprochen, doch sie blieb aus.

Am 11.Dezember 2024 unterschrieb der Bundespräsident das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG), seit dem 1.Januar müssen die Krankenhäuser mit seiner Umsetzung anfangen. Das Gesetz ist die wichtigste Säule der aktuellen Struktur- und Finanzierungsreform, aber leider alles andere als eine Zeitenwende im Gesundheitswesen. Denn auch diese Reform dient der weiteren Kommerzialisierung und Privatisierung des Krankenhaussektors mit den bereits bekannten »Nebenwirkungen«, wie der Schließung unrentabler Abteilungen oder ganzer Kliniken, der Arbeitsverdichtung und dem Personalverschleiß sowie einer Unterversorgung im Bereich der nicht lukrativen »Fälle«.
Lauterbach ist es gelungen, die Öffentlichkeit mit Euphemismen wie »Vorhaltepauschalen« in die Irre zu führen und mit dem Versprechen der »Entökonomisierung« Hoffnungen auf echte und bitter nötige Veränderungen zu wecken. Er benannte viele Probleme richtig und erzeugte damit den Eindruck, dass er auch die richtigen Lösungen einleiten werde. Sein Hauptziel allerdings verriet er spät: Genau einen Tag nach der Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag gab er in einem Interview für die Bild-Zeitung zu, dass die Reform zu hunderten Klinikschließungen führen werde. Zuvor hatte er stets behauptet, die Reform werde gerade die kleinen Kliniken retten.
Die Verschlechterungen
Wie die Versorgung ausgedünnt und damit verschlechtert wird, erkennt man an den drei wichtigsten Strängen der Reform:
- Mit ihrer Herabstufung zu sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen werden rund 350 Krankenhäuser als Häuser durchgehender stationärer Versorgung und Notfallversorgung nicht mehr existieren.
- Zahlreiche weitere Kliniken werden durch die Verteilung beziehungsweise den Entzug von Leistungsgruppen ganze Abteilungen abbauen oder ganz schließen müssen.
- Die Vorhaltepauschalen werden genau wie die bisherigen diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG – Diagnosis Related Groups) Kliniken keine Kostendeckung gewährleisten. Das wird zu weiteren Pleiten und damit auch insolvenzbedingten Schließungen und Privatisierungen führen.
An der Gesamtsumme ändert sich nichts: Die aktuell unzureichende Krankenhausvergütung wird lediglich umverteilt, nicht erhöht. Krankenhäuser werden vor allem in den ländlichen Gebieten geschlossen, aber auch in den Ballungszentren, wo die Kliniken schon jetzt überfüllt sind.
Dass die Reform die Versorgung ausdünnen und damit verschlechtern wird, verstehen die Menschen trotz Lauterbachs Vernebelungstaktik sehr wohl. Das zeigen unter anderem die Ergebnisse einer Umfrage, die Gemeingut in BürgerInnenhand im November 2024 beim Forschungsinstitut Civey in Auftrag gab. Demnach befürchtet die Mehrheit der Befragten (62,4 Prozent) eine Verschlechterung der Versorgung durch die Reform, nur 13,6 Prozent erwarten Verbesserungen. Gleichzeitig machen die Befragten deutlich, in welche Richtung Reformen gehen sollten: 85,2 Prozent wünschen sich eine gemeinwohlorientierte Krankenhausversorgung und nicht eine gewinnorientierte.
Gemeinwohl, nicht Gewinn
Obwohl es viel und fundierte Kritik gab, zog Lauterbach die Reform durch. Neben den Ländern, die bei der Bundesratssitzung die erstbeste Gelegenheit nutzten – und umkippten –, äußerten auch viele gesundheitspolitische Initiativen Kritik. So waren das Bündnis »Krankenhaus statt Fabrik« und das »Bündnis Klinikrettung« zur öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss am 25.September eingeladen und kritisierten, dass mit der Reform die verheerende mengenbezogene Finanzierung noch ausgeweitet werde und die geplanten Leistungsgruppen ein Instrument seien, um weitere Krankenhäuser zu schließen – wie das Beispiel Schweiz bereits deutlich zeigt.
Dreißig Initiativen schlossen sich bundesweit zusammen und veröffentlichten einen gemeinsamen Appell. Darin betonen sie: »Es hat sich gezeigt, dass die Fallpauschalen für die bedarfsnotwendige Finanzierung der Krankenhäuser nicht geeignet sind, sie müssen vollständig abgeschafft werden. Stattdessen müssen den Krankenhäusern ihre Kosten für die Gewährleistung einer guten medizinischen Versorgung vollständig finanziert werden – die Selbstkostendeckung ist die solidarische Alternative zum DRG-System. Zugleich muss die Selbstkostendeckung Hand in Hand mit einer demokratischen Bedarfsplanung einhergehen. Kurzfristig müssen die Verluste der von Schließung bedrohten, bedarfsnotwendigen Krankenhäuser mit Hilfe einer schnellen Überbrückungsfinanzierung ausgeglichen werden. Und die Länder müssen ihrer Verantwortung gerecht werden, Krankenhausinvestitionen zu finanzieren und die mangelnden Investitionen der letzten Jahre auszugleichen.«
Absehbare Verschlechterung
Zwei Tage vor der Bundesratssitzung luden das »Bündnis Klinikrettung«, das Bündnis »Krankenhaus statt Fabrik« und das »Bündnis für ein gemeinwohlorientiertes Gesundheitswesen NRW« zu einer gemeinsamen Pressekonferenz ein und betonten dort eindringlich, dass die Reform nicht dazu geeignet sei, den wirtschaftlichen Druck von den Krankenhäusern zu nehmen und den Personalmangel zu beheben. Ein flächendeckender Abbau der Gesundheitsversorgung sei absehbar.
Dazu präsentierte das »Bündnis Klinikrettung« die aktuellen Zahlen zu Schließungen: Im Jahr 2024 wurden 24 Krankenhäuser geschlossen, davon betroffen waren mindestens 5000 Beschäftigte. Hinzu kamen zahlreiche Schließungen von Abteilungen, darunter 16 Geburtshilfestationen. Die Zahlen belegen, dass Schließungen schon jetzt in einem atemberaubenden Tempo stattfinden. Seit 2020 schlossen bundesweit 93 Krankenhäuser.
Mit der Reform soll der Kahlschlag noch beschleunigt werden. Dr. med. Arndt Dohmen, Sprecher vom Bündnis »Krankenhaus statt Fabrik«, kritisierte: »Der Einfluss betriebswirtschaftlicher Interessen wird unverändert auch medizinische Entscheidungen prägen. Die Bedürfnisse der PatientInnen werden dagegen noch mehr in den Hintergrund gedrängt, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten werden sich noch weiter verschlechtern, der Fachkräftemangel daher als Folge noch größere Ausmaße annehmen.« Ähnlich äußerte sich Susanne Quast, Fachärztin für Anästhesie und Intensivmedizin und Sprecherin vom Bündnis aus Nordrhein-Westfalen, wo die Krankenhausreform bereits früher eingeführt wurde: »Die aktuelle Entwicklung zur Krankenhausplanung NRW verdeutlicht, dass rein kaufmännisches Denken und der reine Blick auf Kostenersparnis nicht reicht, um der Versorgung von kranken Menschen gerecht zu werden.«
Undemokratisches Procedere
Ihre Analyse und Forderungen überreichten die Initiativen am 22.November vor der entscheidenden Bundesratssitzung dem Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses des Bundesrats, Dr. Magnus Jung. Mehr als 50 Menschen, die sich auf dem schmalen Bürgersteig vor dem Bundesratsgebäude versammelt hatten, empfingen den Politiker mit der klaren Forderung, das KHVVG nicht durchzuwinken, sondern zu weiteren Beratungen in den Vermittlungsausschuss zu schicken.
Die Protestierenden überreichten dem Minister auch ein mehrere Meter langes Banner mit Dutzenden Briefe, in denen die Menschen aus zahlreichen Orten Kritik und Anregungen für lösungsorientierte Reformen an den Bundesrat richteten. In seiner Rede im Plenum erwähnte Dr. Jung den Protest mit keinem Wort. Die Reform wurde durchgewunken, mit einem Wermutstropfen für die Befürworter, über den alle Medien eifrig berichteten: Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke hatte seine Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher während der Sitzung entlassen, damit sie nicht für die Reform stimmt. (Warum wollte er, dass sie nicht für die Reform stimmt? Warum hätte sie für die Reform stimmen wollen und ihr Chef nicht?) Undemokratisch – klar. Aber noch undemokratischer war es doch, dass die Reform mit nur 22 der 69 Stimmen durchging. (Wie kann das sein, waren die anderen nicht anwesend?) Aber das interessierte dann niemanden mehr.
In ihrer Krankenhausstudie 2024 empfahl die Unternehmensberatung Roland Berger – ein wichtiger Akteur in der Lobbylandschaft – den Krankenhausträgern »betriebswirtschaftliche Steuerungsansätze stärker (zu) nutzen«. »Insbesondere kurzfristige und langfristige Liquiditätsplanungsinstrumente sollten … regelmäßig im Führungskreis diskutiert werden, um frühzeitig Gegenmaßnahmen einleiten zu können.« Das bedeutet nichts anderes, als die Daumenschrauben bei den Beschäftigten anzuziehen und aus den Fällen – pardon, Patient:innen – noch mehr Geld herauszupressen. Die Krönung war der Titel, den die Unternehmensberatung dem Vorschlagspapier/Kapitel gegeben hatte: »Cash is king«. Die Wortwahl in diesen Hochglanzbroschüren der Beratungswirtschaft wäre einfach nur lächerlich, wenn sie nicht so ernste Konsequenzen für unsere Gesundheitsversorgung hätten.
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