Lauterbachs Krankenhausreform verspricht noch weniger Mittel für die Krankenhäuser und für die Versorgung der Patienten
von Matthias Becker
»Wir stehen am Vorabend einer notwendigen Revolution im Krankenhaussektor.« Mit großen Worten stellte Karl Lauterbach im Dezember 2022 die Pläne vor, die von der »Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung« entwickelt wurden. Eine »Durchökonomisierung der Medizin« müsse vermieden das System der Fallpauschalen »überwunden« werden, sagte der Minister.
Vom Saulus zum Paulus? Als Gesundheitsökonom und Sachverständiger in Regierungskommissionen hat Karl Lauterbach den Umbau des Gesundheitssystems zu einem (hauptsächlich steuerfinanzierten) Markt vorangetrieben. Von 2001 bis 2013 war er Vorstandsmitglied der börsennotierten Krankenhauskette Rhön-Klinikum. Als Berater der damaligen Gesundheitsministerin trug er selbst dazu bei, dass im Jahr 2002 die standardisierten Fallpauschalen eingeführt wurden. Seitdem werden alle Behandlungen mit einheitlichen diagnosebezogenen Pauschalen (DRG) vergütet – Blinddarmoperation gleich Blinddarmoperation.
Das Vergütungssystem setzt Anreize, Behandlungen durchzuführen, die lukrativ sind – und alles andere auf das Notwendigste zu beschränken. Es zwingt die Krankenhäuser in einen Konkurrenzkampf. Es setzt Anreize, die Kosten durch Personalabbau und Lohndumping zu senken und Erlöse durch mehr und lukrativere Behandlungen zu steigern. Kindermedizin (Pädiatrie), Geburtshilfe und Notaufnahme wurden dadurch zu einem Verlustgeschäft. Gleichzeitig ist die Zahl der Kaiserschnitte unverhältnismäßig gestiegen, da sie gute Erträge bringen (»Mengenausweitung«).
Die Pauschalen werden regelmäßig neu berechnet und die erzielten angeblichen Effizienzgewinne dabei eingezogen. In einem offenen Brief kritisierten Mediziner: »Das System bestraft Ärztinnen und Ärzte, die abwarten, beobachten und nachdenken, bevor sie handeln. Es bestraft auch Krankenhäuser. Je fleißiger sie am Patienten sparen, desto stärker sinkt die künftige Fallpauschale für vergleichbare Fälle.« Das Hamsterrad dreht sich immer weiter.
Kein Wunder, dass viele Beschäftigte ihre Arbeitszeit reduzieren oder den Beruf ganz verlassen. Die Kommerzialisierung ist ein wesentlicher Grund für den allseits beklagten »Fachkräftemangel«. Sie können ihre Berufe nicht mehr mit der gebotenen und gewünschten Professionalität ausüben, sind ständig überlastet und verlieren die Hoffnung auf Besserung.
Leere Versprechen
Wird nun alles besser? Im krassen Gegensatz zu der vollmundigen Rhetorik des Ministers werden die Fallpauschalen nicht abgeschafft. Sie sollen lediglich um Vorhaltepauschalen ergänzt werden, im günstigsten Fall in einem Verhältnis von 60 Prozent zu 40 Prozent. Vor 2002 wurden die stationären Krankenhausleistungen zu 80 Prozent über Pflegesätze bezahlt, Pauschalen gab es nur für bestimmte Leistungen. Die angekündigte Reform mildert das System lediglich ein wenig ab – wie ein Heftpflaster auf ein gebrochenes Knie.
Laut der Deutscher Krankenhausgesellschaft fehlen jährlich 15 Milliarden Euro. Das Defizit entstand durch die Covid-19-Pandemie, gestiegene Energie- und andere Kosten und fehlende Einnahmen, weil »planbare Behandlungen« wegen der Pandemie verschoben wurden. Schon zuvor waren die Allgemeinkrankenhäuser unterfinanziert.
Dennoch wird es nicht mehr Geld für finanziell angeschlagene, von der Insolvenz bedrohte Krankenhäuser geben, Mittel werden lediglich zwischen verschiedenen Finanztöpfen umverteilt. Um Kosten zu sparen, sollen künftig »unnötige« Operationen vermieden und mehr Behandlungen tagesstationär durchgeführt werden. Damit werden aber Mittelkürzungen für die Kliniken einhergehen, was das Defizit weiter vergrößern wird.
Die privaten Fachkliniken machen ihr Geschäft vor allem mit den lukrativen Herz- oder Hüftoperationen. Ihr Geschäftsmodell wird nicht in Frage gestellt; daher wird wahrscheinlich auch die Anzahl der Behandlungen nicht sinken. Kleinere Allgemeinkrankenhäuser dürfen schon heute kompliziertere Eingriffe nicht durchführen.
Solange private Krankenhausketten existieren und sich lukrative Behandlungen als Rosinen herauspicken können, werden die Kosten für die Allgemeinheit nicht sinken. Die vier größten Klinikkonzerne haben 2021 knapp eine Milliarde Euro Gewinn erwirtschaftet – diese Summe stellt alle angedachten Einsparungen in den Schatten.
Sterbehilfe für kleinere und ländliche Krankenhäuser
Laut den Vorschlägen soll die Kliniklandschaft in verschiedene Krankenhauslevels und Leistungsgruppen aufgeteilt werden. Die bestehenden Versorgungsstufen »Grund-/Regelversorgung«, »Schwerpunktversorgung« und »Maximalversorgung« würden dann durch Level 1 bis 3 ersetzt. Diese Gruppierung entscheidet darüber, welche Krankheiten behandelt und welche Leistung abgerechnet werden dürfen. Die Leistungsgruppen sind auch maßgeblich für die Höhe der Vorhaltepauschalen.
Das würde den Verwaltungsaufwand noch einmal massiv erhöhen: Leistungsgruppen sind zu beantragen und zu begründen, Strukturen sind laufend zu dokumentieren, der Medizinische Dienst überprüft die Anträge.
Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung werden in die Level 1n und 1i aufgeteilt, aber nur die erste Gruppe soll noch eine Notfallversorgung bereitstellen dürfen. Krankenhäuser des Levels 1i hingegen sollen nicht unbedingt ärztlich, sondern von speziell ausgebildeten Pflegekräften geleitet werden, lediglich über stationäre Pflegebetten verfügen und ambulante ärztliche Behandlung nur auf Abruf leisten.
Diese Einrichtungen werden keine ärztlichen Behandlungen rund um die Uhr gewährleisten und daher vielfach nicht in der Lage sein, bei Notfällen zu helfen. Dies könnte bis zu 650 der insgesamt knapp 1900 Häuser betreffen – es droht ein Klinikkahlschlag! Besonders bedroht sind Häuser in Bundesländern mit dünn besiedelten ländlichen Regionen wie Bayern.
Ein weiteres Anliegen ist die »Ambulantisierung der Krankenhäuser«. Bis zu 25 Prozent der Behandlungen sollen künftig ambulant erfolgen, sofern dies medizinisch vertretbar ist und die Patienten einwilligen. Diese Behandlungen bringen den Kliniken aber weniger Geld, weswegen sie Personal entlassen und Abteilungen schließen müssen.
Insbesondere für weniger mobile ältere Menschen mit mehreren verschiedenen Krankheiten wird sich Versorgung verschlechtern. Es besteht kein Anspruch darauf, dass die Kosten für wiederholte Fahrten ins Krankenhaus übernommen werden, von wenigen Ausnahmen abgesehen.
Die Flurbereinigung und Spezialisierung der Krankenhäuser ist das eigentliche Anliegen der Krankenhausreform, verpackt in wohlklingende Phrasen. Es gibt keine Ansätze, um den Einfluss privater Anbieter zu beschränken und keine zusätzlichen Mittel. Stattdessen werden die Beschäftigten erneut mit Dokumentation und Kodierung belastet. Der Druck, Personal zu entlassen, wird steigen, und insbesondere in ländlichen Regionen werden viele Häuser schließen müssen.
Quelle: Gemeingut in Bürgerinnenhand, www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/ 12/2_Beurteilung_BKR_Krankenhausreform_2022-12.pdf
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