Arbeitsverhältnisse im grenzüberschreitenden Transportsektor
von Matthias Becker
Arbeit in der Lieferkette. Miserable Arbeitsbedingungen auf See und in den Häfen. (Hrsg. Christoph Scherrer, Ismail Karatepe.) Hamburg: VSA, 2024. 192 S., 18,80 Euro
»Der Preis für ein Kilogramm Bananen, das in deutschen Supermärkten aus Kolumbien und Costa Rica stammt, ist günstiger als der Preis eines in Deutschland produzierten Apfels«, stellen Christoph Scherrer und Ismail Karatepe fest, die Herausgeber von Arbeit in der Lieferkette. »Dies klingt etwas seltsam, wenn man bedenkt, dass bei jedem Schritt des Bananentransports Kosten anfallen und Steuern erhoben werden.«
In dem Sammelband analysieren Ökonomen und Politikwissenschaftler aus Europa, Mittel- und Südamerika die Arbeitsbedingungen an Häfen und auf Überseecontainerschiffen. Zwei Entwicklungen stellen sie dabei heraus: den Trend zu höherer Produktivität einerseits, wachsender Prekarität andererseits.
Seit den 1980er Jahren hat sich die Hafenarbeit »durch die Containerisierung, die Digitalisierung, die Automatisierung und immer größere Frachtschiffe stark verändert«. Die Strategien der Reedereien und anderer Logistikunternehmen haben »in den meisten Häfen zu einem Rückgang der Beschäftigung geführt, obwohl das Umschlagvolumen rapide gestiegen ist«. Kurz: weniger Beschäftigte transportieren immer mehr Waren. Der Welthandel für acht Milliarden Menschen ruht auf den Schultern von gerade einmal 1,9 Millionen Seeleuten.
Im Fall der Bananen führt die Lieferkette von mittelamerikanischen Plantagen über kolumbianische Häfen bspw. nach Hamburg. Hafenarbeiter und Seeleute halten sie in Gang. Dass sie für den Weltmarkthandel eine unverzichtbare Rolle spielen, garantiert allerdings keineswegs gute Löhne und Arbeitsbedingungen. Selbst medizinische Versorgung und sauberes Trinkwasser oder das Recht auf einen Landgang sind für viele Seeleute nicht selbstverständlich.
In den Häfen Mittelamerikas wurden prekäre Arbeitsverhältnisse nahezu flächendeckend durchgesetzt. In Europa sieht es noch besser aus, aber die soziale Absicherung wird auch dort langfristig lückenhafter.«Die Arbeitnehmer werden in Kern- und Randbelegschaft aufgeteilt«, kritisieren Scherrer und Karatepe am Beispiel Hamburgs. »Im Kern befinden sich gewerkschaftlich gut vertretene und tariflich abgedeckte Belegschaften und am Rand die prekär beschäftigten Arbeiter:innen.«
Möglich ist diese Spaltung wegen der Drohung mit Verlagerung und der Automatisierung des Containerumschlags. Die Güter werden mittlerweile in der Regel erst außerhalb des Hafens ausgeladen, wo Gewerkschaften kaum Einfluss haben (siehe den Beitrag von Jürgen Bönig). »Diejenigen außerhalb des Zauns, der den Hafen umgibt, also an der Peripherie des Hafens, sind die Randarbeiter, die die Container entleeren und die Bananen auf Lkw verladen.«
Ver.di kümmere sich zu wenig darum, diese Beschäftigte zu organisieren. Andererseits führe der Kostendruck und die Konkurrenz zwischen den Häfen dazu, dass Bananenfracht zum Beispiel von Hamburg und Rotterdam ins billigere niederländische Vlissingen abwandert.
Dass sich Löhne und Absicherung in der Logistik eher verschlechtern, wirft ein ernüchterndes Licht auf die gegenwärtigen Klassenverhältnisse. »Häfen sind Engpässe, jeder Konflikt kann die gesamte Logistikkette stören«, erklären die Herausgeber, merken aber mit berechtigter Ironie an: »Einige Gewerkschaftsaktivisten und Wissenschaftler sehen in dieser logistischen Macht ein Wundermittel zur Wiederherstellung der Macht der Arbeiter:innenklasse und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen.«
Ja, die Beschäftigten in der Logistik können ausnahmslos alle Räder still stellen, mittels Streik oder auch nur Bummelstreik. Dennoch gelingt es ihnen kaum, ihre Einkommen zu schützen. Ist die Arbeiterklasse der sprichwörtliche schlafende Riese oder hat sie sich bereits aufgegeben?
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