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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2025

Neue Reederei krempelt Hamburger Hafen um – mit staatlicher Hilfe
von Jürgen Bönig

Die weltgrößte Reederei betreibt im Hamburger Hafen eine Investitionspolitik mit staatlicher Hilfe, die den bisherigen Hafenbeschäftigten Arbeitsplätze raubt und Löhne und Einkommenssicherheit verschlechtern wird.

Die Hamburger Bürgerschaft stimmte im September 2024 dem Verkauf von Anteilen der Hafen- und Lagerhausgesellschaft (HHLA) mehrheitlich zu. Nun verfügt die größte Reederei der Welt, die Familiengesellschaft MSC, über 49,9 Prozent der HHLA-Aktien. Wegen der besonderen Vertragsgestaltung hat die MSC allerdings fortan die vollständige Gestaltungsmacht bei drei von vier Containerterminals Hamburgs und bei der Eisenbahnbetriebsgesellschaft Metrans. Alle wesentlichen geschäftlichen Transaktionen bedürfen der Zustimmung der Reederei. Im Streitfall entscheidet ein Schiedsgericht, das keine städtischen Ziele berücksichtigen muss, sondern lediglich wirtschaftliche Gesichtspunkte.
Diese Übertragung der Gestaltungsmacht im Kern des Hamburger Hafens an ein privates Unternehmen hat gravierende Auswirkungen für die Beschäftigten, nicht nur bei der HHLA. Die Bedingungen für eine gemeinsame Gegenwehr sind durch die Privatisierung noch einmal schlechter geworden.
Seit 1968 hat sich mit Durchsetzung des Containerverkehrs die Arbeit beim Güterumschlag in allen Häfen verändert. Das Be- und Entladen der Schiffe wurde auf die Handhabung standardisierter Kisten reduziert und kann mittlerweile fast vollautomatisch erfolgen. Der größte Teil der früheren Hafenarbeit – das Handhaben von Schüttgut, Stückgut und Massengütern – findet nicht mehr im Hafen, sondern an den Produktions- und Konsumorten der verschifften Güter statt, wo die Container beladen oder entladen werden. Diese Tätigkeiten finden zum Großteil nicht mehr unter geregelten tariflichen Bedingungen statt. Daher sind die Einkommen der direkten und indirekten Logistikarbeiter geringer und unsicherer.
In allen Häfen wurde das Ent- und Beladen der Schiffe beschleunigt und auf wenige Anlandepunkte konzentriert. Zum Umschlag gehören aber nicht nur die Containerbrücken, die die Container entladen, umsetzen und an Land absetzen. In Hamburg wurden die anderen notwendigen Tätigkeiten von der HHLA an Unterauftragsfirmen vergeben: die Lotsen, die das Kommando über die Schiffe in Elbe und Hafen haben; die Schlepper, die sie beim Wenden und An- und Ablegen auf Kurs halten; die Festmacher, die die Leinen der Schiffe ans Ufer bringen und festmachen; die Lascher, die die haltenden Verbindungen zwischen den Containern lösen oder befestigen; die Brückenfahrer, die die Container aufnehmen und auf Fahrzeugen absetzen; schließlich diejenigen, die sie umstapeln, auf Last- oder Eisenbahnwagen ablegen und aufnehmen und zu anderen Terminals fahren.

Ins Abseits
Seit Gründung der HHLA Hafen- und Lagerhausgesellschaft im Jahr 1885 war der Betrieb auf den Hafenanlagen in staatlicher Hand. Den Reedereien und Stauereien war klar, dass sie konkurrieren und gegeneinander arbeiten würden, wenn der Umschlag privat organisiert würde. Seit dem Hafenarbeiterstreik von 1896/97 war auch festgelegt, auf welche Weise zu Spitzenzeiten andere Arbeitskräfte in den Hafenumschlag eingebunden wurden. Bis heute sind diese Kräfte bei der Gesamthafenbetriebs-Gesellschaft (GHB) fest angestellt. In Stoßzeiten werden sie als zusätzliche Arbeitskräfte an die Terminals geschickt, nicht nur an die der HHLA.
Die MSC hat für die nächsten fünf Jahre eine Beschäftigungsgarantie zugesagt. Sie gilt aber nicht für die GBH. Die MSC muss zudem die selbständigen Gesellschaften nicht beauftragen, die bisher zu guten Konditionen Festmacher und Lascher zur Verfügung stellten. Andere Unternehmen mit schlechteren Bedingungen und Löhnen werden das übernehmen.
Mit dem Verkauf der HHLA-Anteile hat der Hamburger Staat mit dem bisherigen Organisationsprinzip gebrochen. MSC kann konkurrierende Anbieter ausbooten und schlecht bedienen. Umgekehrt kann die Reederei ein integriertes Transportangebot aus einer Hand anbieten, das vom Hafen Hamburg über die Schiene (mit den Zügen der Metrans) bis nach Triest reicht.
MSC wird weiter in Technik investieren, die Kosten reduzieren, Löhne mindern und Beschäftigte nur während der kurzen Anlandezeiten einsetzen. Zu den Investitionen in neue technische Anlagen wird Hamburg über die Hälfte zuschießen. Sie werden Arbeitsplätze durch Automatisierung kosten und das gewohnte Geflecht der Arbeitsbeziehungen im Hafen auflösen. Am Burchardkai, dem ältesten Terminal direkt an der Elbe, hat die HHLA bereits hunderte Millionen Euro ausgegeben. Größere automatische Containerbrücken wurden aufgestellt, Containercarrier durch unbemannte Roboterfahrzeuge ersetzt und Anlagen errichtet, die Container automatisch zu höheren Stapeln schichten.
An anderen Häfen wird mit solchen Anlagen die doppelte Umschlagmenge mit zehn Prozent der bisherigen Belegschaft bewältigt. Die Automatisierung setzt die Beschäftigten unter Druck, sich an anderen Arbeitsplätzen auf weniger Geld und schlechtere Arbeitsbedingungen einzulassen.
Aber nicht nur die HHLA-Beschäftigten stehen unter Druck, schneller für weniger Geld zu arbeiten, sondern auch die der Gesellschaften, die regelmäßig beim Festmachen, beim Laschen und beim Ent- und Beladen aus dem Pool der GHB in Anspruch genommen wurden. Die MSC interessiert sich nur für die Gewinnerzielung als Reederei und den eigenen Containerumschlagbetrieb. Der übrige Hafen droht ins Abseits zu geraten.

Jürgen Bönig, Technikhistoriker in Hamburg, hat seit Ende 2023 am Kampf gegen die Privatisierung des Hamburger Hafens mitgewirkt.

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