Der deutsche Bauernkrieg
von Jürgen Bönig
Im Februar 1525 formulierten Bauern im oberschwäbischen Memmingen Zwölf Artikel der Bauernschaft, sie benannten die Gründe für ihren im Frühjahr folgenden Aufstand. Sie legten damit den Grundstein für die erste große Revolution in der modernen Geschichte, die sich in deutschen Landen, der Schweiz und Österreich ausbreitete; sie hatte Vorläufer in den Niederlanden, Ungarn und Slowenien gehabt.
Der Aufstand der organisierten Bauernbruderschaften stellte die feudale Herrschaft infrage, dies wurde auch von Bürgern in den Städten aufgenommen und vermittelte den Beteiligten das Vorgefühl eines Lebens ohne Feudalherren. Andere Bauernaufstände hatte es bereits in den Vorjahren gegeben – aus den gleichen Gründen einer stärker werdenden Bedrängung der Bauern durch Leistungs- und Geldforderungen der Grundherren. Aber keiner war so weitreichend und so verbreitet wie dieser, der im süddeutschen Raum bis nach Thüringen und Sachsen abhängige Bauern und Bürger zusammenführte.
Die vor 500 Jahren formulierten Zwölf Forderungen zeigen den Grund für die Gegenwehr der Bauern: die Infragestellung ihrer bisherigen Lebensbedingungen durch die Feudalherren. Deren Wunsch nach mehr Geld für die neu aufkommenden Waren, der von den reichen Bürgern geteilt wurde, veranlasste sie, statt der bisherigen Naturalforderungen und Naturalleistungen Geldforderungen an die Bauern zu stellen.
Außerdem strebten sie danach, die bisherige Allmende in die eigene Bewirtschaftung zu nehmen und den Bauern dadurch ihre Lebensgrundlage zu entziehen. Die Entdeckung des Weges zum neuen Kontinent der beiden Amerikas 1492 und die großen Edelmetallfunde dort hatten noch einmal das Verlangen nach Waren vergrößert, die nicht gegen Naturalien, sondern Geld getauscht wurden.
Ermutigt worden waren die Bauern in ihrer Abwehr der Geld- und Leistungsforderungen der Grundherren durch die Reformation. Auf einmal stand die Heilige Schrift, die angeblich die Herrschaft der Standesgesellschaft begründete, in der Landessprache zur Verfügung. Sie war nicht mehr ein geheimnisvolles Buch, das die Kirchenmacht begründete, sondern eine Sammlung von Texten, die von Predigern als Legitimation zum Sturz der feudalen Herrschaft gedeutet wurde.
Die ersten beiden Artikel verlangten deshalb eine Beschränkung des Zehnten für die Versorgung des Pfarrers, die Gemeinde sollte ihn selbst bestellen und abberufen können, wenn Predigt und Verhalten nicht dem Wort der Bibel entsprachen.
Der dritte Artikel forderte die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Bibel verlange, dass wir frei sind und sein wollen.
Die weiteren Artikel forderten die Abschaffung der Privilegien des Adels bei der Nutzung natürlicher Ressourcen: auch die Bauern sollten Wildbret, Geflügel und Fische in fließenden Gewässern fangen und Holz aus dem Wald sammeln dürfen. Dienste und Naturalabgaben, die Feudalherren im Verlangen nach Geld immer mehr ausgedehnt hatten, sollten beschränkt werden, Güter verschuldeter Bauern nicht mehr weggenommen werden dürfen, Allmenden der Gemeinden weiterhin allen zugänglich sein, Abgaben im Todesfall abgeschafft werden. Die Gesetze, die sich die Feudalherren ausgedacht hatten, um die alten Rechte zu übergehen, sollten hinfällig sein.
Der zwölfte Artikel enthält den Beschluss, alle Artikel zu ändern, wenn nachgewiesen würde, dass die Bibel die beanstandeten Abgaben und grundherrliche Praxis selber begründe.
Das waren keine bürgerlichen Forderungen, die den Privatbesitz über den Boden propagierten, sondern die Verteidigung der Bauerngemeinschaften und der bisherigen Regeln, die durch die um sich greifende Geldwirtschaft infrage gestellt wurden. Es war die Verteidigung der Allmenden gegen das Exklusivrecht der Grundherren und die Verteidigung einer Wirtschaftsweise, die die Bauern der Dörfer gemeinsam organisierten unter gemeinschaftlicher Nutzung von Ackerboden und Wald – auch wenn es bereits erhebliche Unterschiede gab unter den Bauern, über wieviel Vieh, Gebäude, Landfläche und Arbeitskräfte sie verfügten.
Die Zwölf Artikel wurden überall gelesen, weiterverbreitet, abgeschrieben und vorgestellt. Bauern zogen durch das Land und forderten weitere Dörfer und Landstriche, Städte und Burgen auf, sich ihren kriegführenden Haufen anzuschließen und Bruderschaft auf diese zwölf Artikel zu schwören.
Die Bewegung breitete sich im Frühjahr 1525 sehr schnell aus, weil immer mehr Gemeinden, Städte und Dörfer sich mit ihrer Bauernschaft zu eigenen Haufen zusammenschlossen, zurückbleibende Vertreter benannten, die weiter die Äcker bestellen und das Vieh versorgen sollten, und weiterzogen, um für die eigene Versorgung nicht das Land zu entleeren. Im Gegensatz zu ihren Gegnern bezahlten die Bauernhaufen für ihre Versorgung und konnten dafür das Geld einsetzen, das sie sich durch die Auflösung reicher Klöster, deren Plünderung und Aufhebung beschafft hatten.
Wo sie der Niederschriften ihrer Rechte und Pflichten habhaft werden konnten, verbrannten Bauern die Dokumente ihrer Abhängigkeit und radikalisierten sich bis zur Forderung nach Aufhebung jeglicher Grundherrschaft – außer den Abgaben für die Priester, die sie selber bezahlen und berufen wollten.
Der rasche Zug der Bruderschaften durch das Land muss eine neue Erfahrung von Freiheit bewirkt haben, von der wir wenig wissen, weil die nachmaligen Sieger die Geschichte des Bauernkrieges schrieben. In Fußmarschgeschwindigkeit bewegten sich die Haufen durch das Land, koordinierten sich, nahmen kriegserfahrene Ritter und Landsknechte auf und siegten so rasch, wie niemand es vorausgesehen hatte.
Aber die Gegner organisierten sich bald auch, der Schwäbische Bund der süddeutschen Feudalherren ging zum Gegenangriff über und hatte den Vorteil, dass der Adel bisher das Waffenmonopol hatte, die Bauern nicht geübt waren, mit Schwert und gegen Reiterei zu fechten. Am 15.Mai 1525 erlitt das Bauernheer unter Thomas Müntzer in Frankenhausen in Thüringen eine entscheidende Niederlage – Tausende wurden abgeschlachtet, Felder und Gewässer füllten sich mit dem Blut der ermordeten Bauern.
War der Bauernaufstand eine frühbürgerliche Revolution? Das scheint problematisch, weil er sich gerade gegen die bürgerliche Inanspruchnahme des Landes und der Allmenden durch die Feudalherren richtete. Es kam zwar auch zur Verbindung mit dem ständisch organisierten Gewerbe in den Dörfern und Städten gegen die Ansprüche der Feudalherren, aber hätten Bürger und freie Bauern ein gemeinsames Ziel in der genossenschaftlichen Bewirtschaften des Bodens gehabt?
Jedenfalls befestigte der Sieg der Fürsten auf Jahrhundert hinaus die Vorherrschaft der Feudalherren, ermöglichte ihnen Rache und demonstrative Strafe. Das Vertrauen der Bauern in ihre Herren wurde dadurch noch mehr erschüttert und die Gewissheit gefestigt, dass sie keine Barmherzigkeit kannten.
Martin Luther hat sich mit der Aufforderung, aufständische Bauern umzubringen, auf die Seite der Herrschenden geschlagen. Die Reformation kam jetzt von oben. Im Augsburger Religionsfrieden 1555 wurde in deutschen Landen das Prinzip durchgesetzt, dass der Glaube der jeweiligen Herrscher den Glauben der Untertanen bestimmte – nun statt in Küchenlatein in deutscher Sprache ausgedrückt.
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