Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2025

Der Antisemitismusstreit in der Linken hat sehr unterschiedliche Facetten
von Peter Nowak

Nach der Abspaltung des Wagenknecht-Flügels gab es bei manchen in der Linken so etwas wie eine Aufbruchstimmung. Schließlich hatte diese Auseinandersetzung die Partei über Monate gelähmt. Nach dem Austritt wollten sich viele auf den Neuaufbau der Linken konzentrieren. Das schien auch viel versprechend, weil kurz nach dem Abgang der Linkskonservativen hunderte Menschen in die Partei eintraten, die oft schon länger in außerparlamentarischen Initiativen, etwa in antirassistischen und antifaschistischen Gruppen aktiv waren. Sie waren gerade wegen der Positionen von Wagenknecht und Co. auf Distanz zur Partei geblieben.

Doch dann wurde die Linke von neuem Streit und Austritten aus einer ganz anderen Richtung erschüttert. Der vordergründige Anlass ist die Position um den Nahostkonflikt und um Antisemitismus.
Es ist wichtig, hier zu differenzieren. Da gibt es die Reform- oder besser Regierungslinken, die sich in ihrer politischen Praxis kaum noch von ihren Kolleg:innen bei SPD und Grünen unterscheiden. Zu ihnen gehört auch Berlins ehemaliger Kultursenator Klaus Lederer, der frühere Integrations- und Arbeitssenatorin Elke Breitenbach sowie die Abgeordneten Carsten Schatz, Sebastian Scheel und Sebastian Schlüsselburg, aber auch der Bürgermeister von Frankfurt/Oder, Rene Wilke, oder von Berlin-Pankow, Sören Benn.
Viele dieser Reformpolitiker:innen haben öfter durchblicken lassen, dass sie die Partei, der sie ihre Posten verdanken, für überflüssig halten. Wilke hat vor den letzten Wahl dazu aufgerufen, die Linke nicht mehr zu wählen. Diese Politiker:innen sehen im Zustrom neuer linker Mitglieder die Gefahr, dass sich die Partei wieder mehr zu einem linkssozialistischen Projekt entwickelt. Wie wenig sie an parteiinternen Diskussionen Interesse haben, zeigte sich auf dem Parteitag der Berliner Linken am 11.Oktober. Dort sollte über den richtigen Umgang mit dem Nahostkonflikt gestritten werden. Wie viele außerparlamentarische linke Gruppen ist auch die Partei davon nicht unberührt.

Furcht vor Einflussverlust
Auf dem Berliner Landesparteitag wurde ein Antrag gegen Antisemitismus vorgelegt. In Details gab es Änderungsanträge, die teilweise erfolgreich waren. Aber das war für die Regierungslinken ein Affront. Sie zogen ihren Antrag daraufhin zurück, verließen kurz vor Ende des Parteitags den Raum und wenige Tage später die Partei. In einer Erklärung, die von Lederer. Schlüsselburg, Scheel und Breitenbach verfasst wurde, wird deutlich, dass es eben nicht nur um den Antisemitismusstreit ging. So heißt es dort:
»Seit einiger Zeit ist es uns jedoch immer weniger möglich, uns in unserem Landesverband für unsere inhaltlichen Positionen und unsere strategischen Orientierungen einzusetzen. Dies erlebten wir nicht zum ersten Mal bei einer klaren Positionierung zum Antisemitismus, sondern z.B. auch bei der Frage der Solidarität mit der Ukraine.« Wenn hier eine klare Positionierung zum Antisemitismus mit der »Frage der Solidarität mit der Ukraine« verbunden wird, muss von Beliebigkeit gesprochen werden. Denn mit dieser Floskel ist die Unterstützung des deutschfreundlichen Flügels des ukrainischen Nationalismus gemeint, der seit 2014 in Kiew an der Macht ist. Dass dort Denkmäler von ukrainischen Nationalisten und eliminatorischen Antisemiten wie Stefan Bandera wieder aufgestellt werden, wäre ein gutes Thema für die Linke.
Doch darum ging es in dem Antrag nicht. Der Begriff »eliminatorischer Antisemitismus« war in dem Antrag ausschließlich für die Charakterisierung der islamistischen Hamas vorgesehen. Ein Änderungsantrag, der die Streichung des Adjektivs forderte, wurde mit Mehrheit angenommen. Hier wurde dem durchaus bedenkenswerten Argument gefolgt, dass mit dem Adjektiv »eliminatorisch« die Vernichtung der Juden durch das deutsche NS-Regime und seine Verbündeten beschrieben wird, wozu zeitweise auch Bandera in der Ukraine gehörte. Eine Übertragung des Begriffs auf den Antisemitismus der Hamas könnte die Besonderheit der Shoah als deutsches Mordprogramm infrage stellen, befürchteten die Antragssteller:innen. Darüber lohnt es tatsächlich zu streiten. Keineswegs aber kann ein solches Argument als Beweis dafür herangezogen werden, hier werde der Antisemitismus der Hamas relativiert.

Mangelnde Auseinandersetzung mit linkem Antisemitismus
Es haben aber nicht nur Regierungslinke die Partei wegen des Antisemitismusstreits verlassen. Auch Henriette Quade aus Sachsen-Anhalt, die sich Verdienste um die Aufarbeitung des Feuertods des Geflüchteten Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle erworben hat und seit vielen Jahren in der antirassistischen und antifaschistischen Bewegung aktiv ist. Quade begründete ihren Austritt damit, in der Linken würde eine Auseinandersetzung mit linkem Antisemitismus in den eigenen Reihen fehlen. Sie betonte, dass es auf vielen Demonstrationen der Palästina-Solidarität nicht um die dringend nötige Kritik an der israelischen Regierung und ihrer Politik, sondern um eine Infragestellung des Staates Israel geht.
Damit spricht sie wichtige Fragen an, über die Linke in- und außerhalb der Partei diskutieren sollten. Dazu gehört eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Arbeiterzionismus als explizit linker Bewegung ebenso wie eine klare Ablehnung von islamistischen Bewegungen wie Hamas und Hisbollah, die nie Verbündete der gesellschaftlichen Linken sein sollten.
Zudem müsste diskutiert werden, wie man sowohl mit den Opfern des Hamas-Angriffs am 7.Oktober 2023 trauern kann als auch mit den Menschen, die Opfer in den nachfolgenden Kriegen wurden. Der aus den USA stammende jüdische Kommunist Victor Grossmann formulierte im nd einen Vorschlag aus der Perspektive linker Juden:
„Wir, in Deutschland lebende Juden, hegen starke Gefühle der Empathie und Sorge für die Menschen Israels; wir wurden am 7.Oktober geschockt und waren entsetzt, doch wir teilen mit euch das Entsetzen über das 40tausendfache Töten im Gaza, der Westbank und Libanon,“ schrieb Grossmann.
Hier könnte die Linke eine wichtige Rolle spielen. Schließlich hat sie jüdische Mitglieder ebenso wie solche mit Migrationshintergrund aus Gaza, Libanon oder anderen Staaten im Nahen Osten.
Die Frage ist, ob die Linke noch in der Lage ist, eine Initiative zu ergreifen, die jedem Antisemitismus eine Absage erteilt, zugleich aber auch die Politik der ultrarechten israelischen Regierung mit ihren teilweise aus der faschistische Kahane-Bewegung entstammenden Ministern klar verurteilt. Auf die deutsche Innenpolitik bezogen, müsste deutlich gemacht werden: Deutsche Staatsraison hat mit dem Kampf gegen Antisemitismus nichts zu tun.

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Folgende HTML-Tags sind erlaubt:
<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>



Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.


Kommentare als RSS Feed abonnieren