Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
Nur Online 29. März 2025
von Hermann Dierkes
Am 26.3.25 hat die 1. Kammer des Obersten Bundesgerichts (STF) den Strafprozess gegen den Ex-Präsidenten Bolsonaro und sieben weitere hochrangige Angeklagte formell eröffnet.

Das Gericht hat damit die Anzeige der Generalstaatsanwaltschaft von Mitte Februar angenommen. In deren Vorlage, die sich auf umfangreiche Ermittlungen der Bundespolizei, Stand November 24, stützt, werden Bolsonaro und weiteren 33 Individuen Vorbereitung und Teilnahme an einem Putschversuch zur Beseitigung der Demokratie und zur Verhinderung der gerade gewählen dritten Regierung Lula vorgeworfen.

Zu ihrem Szenario gehörte der Angriff am 8.1.23, bei dem mehrere tausend Bolsonaristen, die aus dem ganzen Land angereist waren, das Parlament, den Präsidentensitz und den des STF angriffen und schwer verwüsteten. Sie wollten den Amtsantritt des neu gewählten Präsidenten Lula da Silva verhindern und einen Militärputsch auslösen. Die Vorlage lieferte der Sturm der Trump-Anhänger auf das Kapitol zwei Jahre zuvor. Ein Anschlag eines Bolsonaro-Anhängers mit einem Tanklastzug im Dezember 2022 vor dem Eingang des Flughafens von Brasilia war Teil der Aktivitäten, dieser misslang allerdings.

Der Putsch scheiterte - nicht zuletzt, weil große Teile des Militärs und die Parteien der bürgerlichen Mitte nicht bzw. noch nicht mitmachten. Die dritte Regierung Lula reagierte entschlossen: Es gab Hunderte von Verhaftungen, zahlreiche Offiziere bei Polizei und Militär wurden abgelöst. Randalierer und etliche ihrer Finanziers wurden zu Geld- und Gefängnisstrafen sowie zu Schadenersatz in Millionenhöhe für die angerichteten Zerstörungen verurteilt. Nach Angaben des Bundesrichters Alexandre de Moraes - Berichterstatter im bisherigen Verfahren – sind bereits 474 Anzeigen wegen Teilnahme am Putschversuch anhängig. Es gab bereits 251 Verurteilungen und 4 Freisprüche, 219 Verfahren laufen noch.

Mit Bolsonaro zusammen wurde auch gegen sieben maßgebliche Drahtzieher das Strafverfahren eröffnet, die meisten von ihnen hohe Militärs, der Vizepräsident Braga Netto, ehemalige Minister oder Leiter des Geheimdienstes. Laut Staatsanwaltschaft war ihr Ziel, „soziale Unruhe und den Bruch der verfassungsmäßigen Ordnung herbeizuführen“. Die kriminelle Vereinigung sei arbeitsteilig vorgegangen, mit Verantwortlichen für Desinformation, für Angriffe auf das elektronische Wahlsystem, Anstiftung des Militärs, für „rechtliche Fragen“, „operationelle Unterstützung“, einen parallelen Geheimdienst sowie „Zwangsmaßnahmen“. Auch Mordanschläge auf Lula, den Vizepräsidenten Alckmin und den bei den Rechten besonders verhassten Bundesrichter Moraes seien geplant gewesen.

In ihren Stellungnahmen führten die Bundesrichter u.a. aus: „Die Verteidigung macht geltend, dass es am 8.1. keine Toten gab. Das ist eine aggressive Beleidigung der Familien, die durch den Putsch am 1.4.64 und die anschliessende schwere Zeit in unserer Geschichte Angehörige verloren haben. Auch damals gab es am Tag des Putsches keinen Toten, die kamen erst danach. Staatsstreiche töten.“ (Bundesrichter Flavio Dino). Und Richterin Carmen Lucia: „Der 8.1., von den Putschisten als „Festa da Selma“ tituliert, hat eine lange Vorgeschichte. Wir können beweisen, wie die Maschine mit zahlreichen Massnahmen ans Laufen gebracht wurde, um die Demokratie zu beseitigen. Dazu gehören eine systematische Kampagne gegen unser Wahlsystem, eine Flut von fake news, Angriffe auf die Justiz, Verleumdung von politischen Gegnern usw. Laut Umfragen lehnen 80 Prozent der Bevölkerung den Putschversuch ab.“

Nach brasilianischem Strafrecht können bis zu 26 Jahre Haft verhängt werden. Das Verfahren soll noch in diesem Jahr abgeschlossen werden, weil nächstes Jahr Parlaments- und Präsidentschafts- sowie Wahlen auf Länderebene anstehen. Für die Anwälte der Verteidigung sind die Anschuldigungen „zusammenphantasiert“ und das Geständnis eines wichtigen Vertrauten und Mitarbeiters Bolsonaros unglaubwürdig. Bolsonaro droht eine Verhaftung sollte er versuchen, sich abzusetzen oder wichtige Zeugen zu beeinflussen. Stimmen werden laut, ihn präventiv zu verhaften.

Seine Anhänger wollten im Parlament eine Amnestie für die Putschisten herbeiführen, wieder entsprechend der Vorlage Trump. Für die Partido dos Trabalhadores und die Linke insgesamt ist klar: Es darf keine Amnestie geben. Die PT-Fraktion hat auch Strafanzeige gegen Eduardo Bolsonaro wegen Justizbehinderung und versuchter Strafvereitelung erstattet. Der Sohn Jair Bolsonaros – er ist Abgeordneter im Bundesparlament - ist ein wichtiger Netzwerker in der rechtsradikalen Szene. Mittlerweile hat er sich in die USA abgesetzt und will dort in rechten Kreisen um Unterstützung für seinen Vater werben.

Die Bolsonaristen haben nach wie vor eine beträchtliche Anhängerschaft und versuchen, mit Massenmobilisierungen gegenzuhalten. Die letzte Mobilisierung in Rio de Janeiro brachte allerdings nur noch rd. 18.000 Sympathisanten auf die Beine und nicht die erwartete 1 Million. Die Prozesse haben für Brasilien historische Bedeutung, weil die Justiz gegen hochrangige Militärs vorgeht. Die furchtbaren Jahre der Militärdiktatur zwischen 1964 und 1985 wurden nie richtig aufgearbeitet.
Stand: 26.3.2025

Teile diesen Beitrag:

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Folgende HTML-Tags sind erlaubt:
<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>



Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.


Kommentare als RSS Feed abonnieren