Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2025

Der Handel mit Wasserstoff verfestigt den ungleichen Tausch zwischen Nord und Süd
von Neelke Wagner

Deutschland will Wasserstoff einführen, selbst aus Lateinamerika. Dies sei zum beiderseitigen Vorteil, argumentiert die deutsche Energiediplomatie. Aber statt einer gleichberechtigten Partnerschaft droht die Fortschreibung des ungleichen Tauschs.
Neelke Wagner ist Referentin für Klima- und Ressourcengerechtigkeit beim Verein PowerShift. Ihr Text erschien zuerst in einer ausführlicheren Fassung in den Lateinamerika-Nachrichten (Nr.12, 2024).

Die deutsche Wasserstoffimportstrategie sieht vor, dass bereits 2030 zwischen 1,35 und 2,7 Millionen Tonnen Wasserstoff importiert werden. 2023 hat die Bundesregierung neue »Energiepartnerschaften« mit Argentinien, Uruguay und Kolumbien geschlossen und die bestehenden Abkommen mit Brasilien, Chile und Mexiko erneuert. In diesen Ländern soll eine Wasserstoffwirtschaft aufgebaut werden.
Im Rahmen dieser Energiepartnerschaften entstehen Sekretariate in den Exportländern, die von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) besetzt und organisiert werden. Diese geben Studien in Auftrag, veranstalten Seminare, Lobbytreffen und Konferenzen und sie informieren über Förderprogramme. Oft arbeiten sie eng mit Ministerien und Unternehmensverbänden zusammen.
Auch das Auswärtige Amt (AA) engagiert sich in der »Wasserstoffdiplomatie«. Sie diene dem »Erreichen der Klimaziele und der Verbesserung der Versorgungssicherheit zugleich«, heißt es auf der Webseite der Initiative H2diplo des AA. Die Wasserstoffproduktion für Deutschland helfe den Exportstaaten, die bisher fossile Brennstoffe ausführen. Kolumbien ist der größte fossile Handelspartner Deutschlands in Lateinamerika. Dort wurde ein H2diplo-Büro eingerichtet.
Auch im Rahmen der Global Gateway-Initiative der EU kümmert Deutschland sich vor allem um Wasserstoff und finanziert die Plattform H2lac, die lateinamerikanischen Staaten den Weg in die Wasserstoffwirtschaft weisen soll.
Die deutschen Versprechen scheinen zu verfangen. Die Sonnen- und Windausbeute in Lateinamerika ist um ein Vielfaches höher als in Deutschland. Daher könnte es sich auszahlen, Solar- und Windparks zu bauen, um mit dem Strom Wasserstoff herzustellen. Die Hoffnung: Wegen der geringeren Produktionskosten sei er günstiger als Wasserstoff, der in Europa erzeugt wird. So hätten die lateinamerikanischen Staaten ein begehrtes Exportgut anzubieten, Deutschland bekäme einen klimafreundlichen Energieträger. Außerdem könnten die Exportstaaten mit dem Wasserstoff Bergbau, Verkehr und Chemieindustrie im Inland »ergrünen« lassen.

Nicht unbedingt von Vorteil
Doch so einfach ist es nicht. Erstens ist eine Wasserstoffproduktion nur vorteilhaft für das Klima, wenn die Energieversorgung bereits weitgehend auf erneuerbarer Energie beruht. Sonst laufen beispielsweise Kohlekraftwerke weiter, damit neue Windparks für den Wasserstoffexport genutzt werden können, statt für die heimische Stromversorgung. Zweitens muss die gesamte Bevölkerung bereits Zugang zu bezahlbarer Energie haben. Sonst geht die Wasserstoffproduktion zulasten der Anwohnenden, die unter Umständen neben riesigen Anlagen für die Energiegewinnung leben, ohne dass ihre eigene Stromversorgung gesichert wäre.
Lateinamerikaner:innen haben viele negative Erfahrungen mit fossilen und Wasserkraftwerken gemacht. Diese lieferten vorrangig Strom für den Bergbau und andere Exportbranchen. Die Anrainer:innen litten unter Zwangsumsiedlungen und Umweltzerstörung, ihre Stromversorgung wurde weder billiger, noch zuverlässiger. Weil die Wasserstoffproduktion große Mengen an Wasser und Land benötigt, steht zu befürchten, dass solche Ungerechtigkeiten fortgeschrieben werden.
Der Wasserstoffexport ist technisch schwierig. Um Deutschland zu beliefern, müsste er auf Schiffen um die halbe Welt reisen. Bisher kann nur ein einziges Schiff weltweit reinen Wasserstoff transportieren. Er wird tiefgekühlt und verflüssigt, dabei verdampft ein Teil. Nur 50–60 Prozent des geladenen Wasserstoffs kämen in Deutschland an. Aus diesem Grund sind lateinamerikanische Produzenten im Nachteil gegenüber der Konkurrenz, die Wasserstoff per Pipeline liefern kann.
Wahrscheinlich muss der Wasserstoff für den Transport deshalb in andere Stoffe umgewandelt werden, in Ammoniak oder Methanol etwa, die in der Chemieindustrie gebraucht werden, oder in Flüssigkraftstoffe (»e-fuels«). Die ökologischen Vorteile sind fraglich: Mit Ammoniak werden vor allem Kunstdünger und Pestizide erzeugt, die für Artensterben, Bodendegradation und Grundwasservergiftung mitverantwortlich sind. Fliegen wiederum schadet dem Klima auch, wenn e-fuels eingesetzt werden, wegen des Ausstoßes von Stickoxiden und Wasserdampf.
Am sinnvollsten ist grüner Wasserstoff in der Stahlindustrie, der Bau entsprechender Öfen hat bereits begonnen. Aber für die Stahlerzeugung wird die Reinform benötigt, nicht die Zwischenprodukte. Es stellt sich die Frage, wie effizient es ist, Eisenerz und Wasserstoff mit hohem Aufwand nach Deutschland zu transportieren, während beides zum Beispiel im südlichen Afrika oder in Indien günstig verfügbar wäre und vor Ort verarbeitet werden kann. Diese Variante widerspricht aber natürlich den Interessen des deutschen Wirtschaftsstandorts.
Wegen der eingeschränkten Transportmöglichkeiten zielt die deutsche Wasserstoff-Importstrategie vor allem auf Länder, die per Pipeline erreichbar wären. Das Ziel heißt »Diversifizierung«. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine fielen innerhalb weniger Wochen mehr als die Hälfte der deutschen Erdgasimporte weg. Deshalb sollen in Zukunft möglichst viele Energielieferanten zur Verfügung stehen (gerne auch mehr, als am Ende gebraucht werden), um die Preise niedrig zu halten.

Ungleicher Tausch 2.0?
Zu diesem Zweck bezieht die Bundesregierung sogar Wasserstoff aus fossilen Quellen in ihre Pläne ein. Damit erhöht sie den Rentabilitätsdruck auf Projekte, die ihn aus erneuerbaren Energiequellen erzeugen – und damit die Gefahr, dass diese Projekte ohne Rücksicht auf die lokale Bevölkerung und ihre Wirtschaftsweisen oder Umweltgefahren durchgedrückt werden.
Der Bundesregierung geht es außerdem um den Verkauf von Anlagentechnik. Hierin liegt die Gefahr, dass der ungleiche Tausch über den Weltmarkt fortgeschrieben wird: Industriestaaten liefern Maschinen und hochverarbeitete Produkte, während die Empfängerländer dafür ihre Rohstoffe verkaufen. Dieses Muster könnte sich beim Wasserstoff wiederholen: Deutschland liefert Elektrolyseure und Anlagen für die Ammoniaksynthese, China Windräder und Solarmodule – und lateinamerikanische Staaten geben ihr Land und ihre Wasser-, Solar- und Windressourcen her.
Um dieser Falle zu entgehen, streben Brasilien und Kolumbien eine »Re-Industrialisierung« an: mehr und unterschiedlichere industrielle Produktion im eigenen Land. Kolumbien hat Vorschläge für eine gerechte und inklusive Wasserstoffpartnerschaft vorgelegt: nicht marktförmig und von internationalen Konzernen organisiert, sondern als »Partnerschaft zwischen dem kolumbianischen Staat und dem deutschen Staat«. Die kolumbianische Regierung schlägt vor, dass der Staatskonzern Ecopetrol »gemeinsam mit dem deutschen Staat Wasserstoff produziert«, und zwar in Projekten, die gemeinsam »mit den indigenen, afrokolumbianischen und anderen Gemeinschaften vor Ort« umgesetzt werden.

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Folgende HTML-Tags sind erlaubt:
<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>



Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.


Kommentare als RSS Feed abonnieren