Vom Neokolonialismus in der Energiewende
von Nele Johannsen
Grüne Energie aus Tunesien: Mit riesigen Solarparks und grünem Wasserstoff soll das Land den europäischen Energiemarkt füttern. Die sozialen und ökologischen Kosten spielen dabei keine Rolle. Während Europa von den Großprojekten profitiert, sieht sich die tunesische Bevölkerung mit Landverlust, Wasserstress und unzureichender Beteiligung konfrontiert.
Bis 2050 strebt die EU Klimaneutralität an. Dieses Vorhaben ist zwar angesichts des voranschreitenden Klimawandels notwendig, doch die Umsetzung dieser Vision hängt zunehmend von externen Ressourcen ab.
Als zentraler Energiepartner wird in diesem Kontext u.a. das nordafrikanische Tunesien betrachtet. 3000 Sonnenstunden jährlich und weitreichende scheinbar ungenutzte Flächen bieten die perfekten Voraussetzungen für die Produktion grünen Stroms, der als Absicherung gegen »Dunkelflauten« und die Abhängigkeit von russischem Gas dienen soll. Doch was bedeutet das konkret für Tunesien? Ein Blick hinter die Kulissen zeigt ein koloniales Muster der Ausbeutung: Die Ressourcen werden ins europäische Ausland exportiert, während die lokale Bevölkerung mit den sozialen und ökologischen Folgen das Nachsehen hat.
Ein Kabel für Europa
Um den »grünen« Strom von Tunesien nach Europa zu transportieren, soll im Rahmen des sog. »ELMED-Projekts« ein Unterseekabel zwischen Tunesien und Italien verlegt werden.
Mit einer Kapazität von 600 Megawatt und einer Länge von 220 Kilometern verspricht dieser geplante Infrastrukturriese »Europa und Nordafrika miteinander zu verbinden, um eine zunehmend sichere, nachhaltige und erneuerbare Energiezukunft zu erreichen«, so steht es auf der Projektwebseite.
Finanziert wird das Projekt von der Weltbank (268 Millionen Dollar) sowie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, der KfW Entwicklungsbank und der Europäischen Investitionsbank (EIB) (insgesamt 125 Millionen Euro). Die EU bezuschusst das Projekt außerdem mit 334,6 Millionen Euro. Das internationale Interesse ist offensichtlich groß. »Der Beitrag, den die EIB zusammen mit ihren Team-Europa-Partnern zu ELMED leistet, untermauert unser Engagement für nachhaltige Energie und wirtschaftliche Zusammenarbeit im Mittelmeerraum«, versichert EIB-Vizepräsident Ioannis Tsakiris.
Dass in Tunesien selbst nur etwa 2 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien stammen und das Land extrem abhängig von algerischem Erdgas ist, scheint die Investoren des Projekts jedoch wenig zu interessieren.
Solare Großmachtpläne
Für die Produktion des Stroms, der schließlich durch das gigantische Unterseekabel fließen soll, sprießen aktuell zahlreiche Solarparkprojekte aus dem Boden – meist unter Federführung ausländischer Unternehmen.
So plant das tunesisch-britische Unternehmen TuNur – der Geschäftsführer ist ein britischer Investmentbanker – im Süden Tunesiens eine der weltweit größten Solarthermieanlagen, die sich über 25.000 Hektar erstrecken soll. Die Dimensionen sind gigantisch, ebenso wie die sozialen und ökologischen Risiken. TuNur hat die Landrechte direkt von der indigenen Gemeinschaft El Ghrib erworben, ohne das übliche Prozedere einzuhalten und ohne eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, so Le Monde diplomatique.
Um seine Interessen sowohl in der EU als auch in Tunesien durchzusetzen, betreibt das im EU-Transparenzregister geführte Unternehmen fleißig Lobbyarbeit und interessiert sich dabei u.a. für den Green Deal der EU, heißt es weiter. TuNur will Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen, die zugunsten von Großprojekten und internationalen Investoren ausfallen.
Traum vom grünen Wasserstoff
Neben Solarenergie wird auch der Export von grünem Wasserstoff aus Tunesien nachdrücklich vorangetrieben.
Die 2024 veröffentlichte tunesische Wasserstoffstrategie sieht bis 2025 die Produktion von 8 Millionen Tonnen Wasserstoff vor, von denen wiederum 6 Millionen Tonnen über ein bestehendes Pipelinesystem nach Europa fließen sollen. Es liegen bereits acht Angebote von internationalen Projektentwicklern vor, darunter auch eines von TuNur und dem deutschen Unternehmen ABO Energy.
Auch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) spielt eine Schlüsselrolle bei der Förderung der Wasserstoffwirtschaft in Tunesien. Das Ziel: Regulatorische und technische Voraussetzungen für die Produktion und den Export von grünem Wasserstoff schaffen und Tunesien als Exporteur für den europäischen Markt vorbereiten.
Grüne Energie auf Kosten von Wasser und Land
Ein im Oktober 2022 veröffentlichter Report der Heinrich-Böll-Stiftung und der Arab Reform Initiative stellt fest:
Mega-Energieparks, auch zur Produktion von Windenergie, verdrängen landwirtschaftliche Flächen. Von Hirten genutztes Land wird enteignet – oft ohne angemessene Entschädigung – und die lokale Bevölkerung wird entgegen den Versprechen nicht an den Projektplanungen beteiligt. Dies bestätigen Erfahrungen mit bestehenden Projekten. Im nordtunesischen Borj Essalhi kämpfen Anwohnende seit über einem Jahrzehnt vergeblich um Kompensation, nachdem ein Windpark in den 2000er Jahren auf ihrem landwirtschaftlich genutzten Land errichtet wurde.
Ein weiteres Problem ist der Wasserverbrauch der »grünen« Energieprojekte. Ein Blick nach Marokko zeigt, was Tunesien blühen könnte: Das anfangs hochgelobte 3000 Hektar große Solarthermiekraftwerk Noor in Ouarzazate hat sich inzwischen als ökologisches Desaster entpuppt: Das Kraftwerk verbraucht viel mehr Wasser als zunächst angenommen, was seit 2017 zu Protesten führt.
»Wir stehen hier kurz vor dem Kollaps«, beschreibt Youssef N., ein Bauer aus der Region, gegenüber Le Monde diplomatique. Mit ähnlichen Entwicklungen ist in Tunesien zu rechnen, wo Wasserstress schon jetzt alarmierende Ausmaße erreicht hat.
Insbesondere die Herstellung von grünem Wasserstoff erfordert riesige Mengen an Wasser. Um diesen Bedarf zu decken, muss Meerwasser entsalzt werden – ein energieintensiver Prozess mit erheblichen Folgen für die Umwelt: Die hochkonzentrierte Salzlauge, ein Nebenprodukt der Entsalzung, gefährdet marine Ökosysteme und verschärft die Umweltzerstörung in Küstenregionen.
Sonne für Europa, Schatten für Tunesien
Die von der EU angestrebte Klimaneutralität mag ein nobles Vorhaben sein, doch sie wird auf dem Rücken des globalen Südens ausgetragen.
Projekte wie ELMED und TuNur stehen exemplarisch für eine heuchlerische Energiewende, die den Süden ausbeutet, um den Norden zu erleuchten. Tunesien wird zu einem reinen Lieferanten degradiert, während die Gewinne und Vorteile nach Europa fließen.
Für eine grüne Zukunft bedarf es nicht nur sauberer Energiequellen, sondern auch gerechter Strukturen – Europa muss Verantwortung übernehmen, statt Solarextraktivismus zu betreiben. Nidhal Attia, Programmkoordinator für nachhaltige Entwicklung und Umweltpolitik in der Heinrich-Böll-Stiftung in Tunis, fordert daher zurecht eine klare Priorisierung nationaler Interessen an erneuerbarer Energieversorgung und Umweltschutzmaßnahmen.
»Es ist wichtig da anzufangen, und erst danach darüber nachzudenken, an andere Länder zu exportieren«, fordert Attia. Solange dies nicht gewährleistet ist, bleibt das Vorhaben nichts weiter als ein Spiegelbild alter kolonialer Muster, diesmal eben nicht mit Kautschuk und Sisal, sondern mit Solarpanels und Wasserstofftanks, nach dem Motto: »Wir wollen niemanden in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.«
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