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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2025

›Was mich am meisten radikalisiert hat, war der Staat selbst‹
Statement von Lisa Poettinger

Am 22.November hat das Bayrische Kultusministerium in einem Schreiben an Lisa Poettinger ankündigt, ihr die Zulassung zum Referendariat für das Lehramt zu versagen. Daraufhin hat Lisa am 16.Dezember eine lange Antwort geschrieben, in der sie schildert, warum sie dieses Referendariat machen will.
Bisher gibt es keine Rückmeldung des Kultusministeriums dazu, obwohl das Referendariat bereits Mitte Februar beginnen sollte. Der nachfolgende Text ist Lisa Poettingers Statement von ihrer Pressekonferenz am 31.Januar 2025.

Ich habe jahrelang auf Lehramt studiert mit zwei Fächern mehr als notwendig. Ich habe verschiedene Zusatzqualifikationen gemacht. Ich habe sogar eine Ausleihbibliothek für Schüler:innen gesammelt, die steht in meinem Zimmer im Regal.
Jetzt soll ich die Ausbildung zu meinem Beruf nicht einmal abschließen können, bei dem Referendariat geht es ja um den zweiten Ausbildungsabschnitt. Ein abgeschlossenes Staatsexamen bedeutet nicht, dass man schon eine berufliche Qualifikation hat.
Ich habe jetzt mehrere Staatsexamen, aber ich bin quasi immer noch nichts. Das heißt, wenn ich jetzt überhaupt angestellt werden, wäre das höchstens prekär, als unterbezahlte Aushilfelehrkraft. Aber möglicherweise auch gar nicht.
Dann gibt es natürlich noch die Möglichkeit, aus Bayern wegzuziehen. Ich habe hier aber Freundinnen und Freunde, das ist meine Heimat. Ich bin gerade erst Tante geworden. Es wäre schon ein ziemlich starker Eingriff in mein Leben. Oder ich orientiere mich beruflich um, mal eben so, nach mehreren Jahren des Studiums. Ich stehe also derzeit vor einer ganz großen Ungewissheit.

Ich wurde jetzt in den letzten Tagen häufiger gefragt, wie es denn dazu kam, dass ich politisch aktiv bin. Nun, ich bin in einer Familie mit großen Gegensätzen aufgewachsen. Ein Teil meiner Familie hat einen Fluchthintergrund, der andere Teil kommt aus einem alteingesessenen, konservativen Milieu. Eine Zeit lang bin ich unter Bedingungen aufgewachsen, die stark von Prekarität und Armut geprägt waren, während ein anderer Teil der Familie sehr wohlhabend war. Ich glaube, diese Gegensätze haben mich zu einer Bauchlinken gemacht.
Dann kam die humanitäre Krise 2015. Ich fand es total schrecklich, dass Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden, und habe mich für sie engagiert. Für dieses Engagement für Geflüchtete habe ich auch eine Auszeichnung an meinem Gymnasium bekommen. Ich habe mich nun viel stärker mit Fluchtursachen auseinandergesetzt. Darüber kommt man sehr schnell zur Klimakrise.
Aber was mich am Ende am meisten radikalisiert hat, war der Staat selbst. Da waren Hunderttausende für Klimaschutz auf der Straße und es ist nichts passiert. Da gab es eine große Krise nach der anderen, Menschen mussten sterben wegen der Klimakrise. Und es ist immer noch nichts passiert.
Dann kam das Hochwasser im Ahrtal 2021. Und ich war auf dem Odeonsplatz und hatte Sticker und ein Transparent in meinem Rucksack. Da wurde ich eineinhalb Stunden in Gewahrsam genommen und habe eine Gefährderansprache bekommen. In der steht unter anderem, dass dies meine berufliche Zukunft versauen kann.
Da waren also junge Menschen, die sich um die Zukunft sorgten und dafür mit massiver Polizeigewalt und Unterdrückung konfrontiert wurden. Ich glaube, es gibt nichts, was das Vertrauen in Rechtsstaatlichkeit mehr erschüttert als das. Ja, und jetzt habe ich tatsächlich ein Berufsverbot.

Für mich ist es keine Option, klaglos diesen Scherbenhaufen anderen Engagierten zu hinterlassen. Deswegen werde ich mich auf jeden Fall dagegen wehren. Letztendlich geht es ja hier nicht nur um mich, sondern um einen allgemeinen Angriff auf kritische Stimmen. Ich habe einen ehemaligen Schulfreund, der jetzt im Referendariat ist. Der hat mir gestern geschrieben, er würde gerne eine Solidaritätserklärung unterschreiben. Aber er ist gerade im Referendariat. Er traut sich nicht. Er hat Angst, dass er dann seinen Job verliert.
Das ist schon ein krasser Einschnitt in die Meinungsfreiheit. Wir sind in Bayern. Da nimmt man es mit der Meinungsfreiheit manchmal nicht so genau. Das sieht man am Genderverbot*. Jetzt darf man auch nicht mehr das Wort »Profitmaximierung« in den Mund nehmen, das ist der Anlass für die Drohung mit dem Berufsverbot. Angeblich zeigt dies, dass ich eine Antidemokratin sei. Ich bin aber eine Antikapitalistin. Und der Kapitalismus ist nirgendwo in der Verfassung festgeschrieben.
Es ist mir sehr wichtig, das zu betonen. Kapitalismus ist nicht demokratisch. Ganz im Gegenteil, sogar die Bayerische Verfassung sagt in Art.151, die Wirtschaft müsse dem Gemeinwohl dienen und ein menschenwürdiges Dasein garantieren.
Aber derzeit sehen wir genau das Gegenteil. Da werden dann ganze Dörfer enteignet und vertrieben, um dem klimaschädlichen Kohletagebau Platz zu machen. Da werden immer noch mehr Straßen gebaut und vergrößert und verbreitet, obwohl der Mobilitätssektor einer der klimaschädlichsten ist.
Und dann passieren all diese Krisen. Was mich am meisten berührt hat, war 2022, als in Pakistan 33 Millionen Menschen wegen einer Überschwemmung obdachlos wurden und Tausende gestorben sind. Das ist nicht irrelevant.
Die Klimakrise ist ganz real und gefährdet Menschen. Und an keiner Stelle wird die Wirtschaft nach dem Prinzip des Gemeinwohls geführt. Menschenrechte und Klimagerechtigkeit werden andauernd der Profitmaximierung untergeordnet. Damit untergräbt das Wirtschaftssystem auch die Demokratie. Demokratie und Kapitalismus, das passt nicht zusammen.

Ich sehe mein drohendes Berufsverbot, in der Kontinuität von immer autoritärer werdenden Ansätzen, die sich gegen engagierte Menschen richten. Ich bin auch nicht die Erste, die ein Berufsverbot bekommt. Kerem Schamberger [der Moderator der Pressekonferenz] wurde ein solches ebenfalls angedroht. Es gibt Benjamin Goos, der sich für die Demokratisierung von Betrieben einsetzt, für politische Streiks. Das wurde ihm zur Last gelegt und als Begründung angeführt, warum er nicht an der TU München arbeiten darf. Es gibt den Gewerkschafter und Marxisten Luca Schelter, der nicht zum Lehramt in Hessen zugelassen wurde.
Es gibt auch viele erfolgreiche Klagen, zum Beispiel die von Benni Glasel. Das nehme ich als großes Beispiel. Ich möchte mich auch erfolgreich zur Wehr setzen.
Ich bin auch zuversichtlich, dass das klappen kann, denn mir ist in den letzten Tagen eine überwältigende Solidarisierungswelle entgegengeschlagen. Deswegen kann ich hier mit geradem Rücken stehen. Es ist wichtig, was ich getan habe.

*Seit dem 1.April 2024 hat der bayrische Staat verfügt, dass in allen bayerischen staatlichen Behörden, damit auch in Schulen und Hochschulen, »mehrgeschlechtliche Schreibweisen durch Wortbinnenzeichen wie Gender­stern, Doppelpunkt, Gender-Gap oder Mediopunkt unzulässig« sind.

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