Lea Reisner und Violetta Bock kandidierten bei der Bundestagswahl für Die Linke
Gespräch mit Lea Reisner und Violetta Bock
Lea und Violetta sind aktiv in Bewegungen, vor Ort, im Mittelmeer oder irgendwo in Europa, wo sie gebraucht werden. Warum wollen sie nach Berlin? Mit ihnen sprach Ayse Tekin.
Ihr seid junge Frauen, aktiv in Bewegungen und jetzt habt ihr für den Bundestag kandidiert. Mich würde es nicht reizen, dort zu sein, weil das Mandat einen so in Anspruch nimmt, dass du am Ende ein anderes Leben hast. Warum wollt ihr ins Parlament? Was reizt euch daran?
Lea?Ich hatte das große Glück, dass ich letztes Jahr für Kathrin Vogler arbeiten und mir dadurch den Laden schon mal ein bisschen von innen angucken konnte. Denn auch für mich war es völlig unklar, ob ich mit dem Parlamentarismus überhaupt irgendwas anfangen kann. Ich finde, Kathrin ist ein sehr gutes Beispiel, dass das möglich ist. Ich werde mir ihre Methode abgucken in der Hoffnung, dass es auch mir gelingt, weil ich das aus einer machtkritischen Perspektive tatsächlich sehr, sehr schwierig finde.
Es stimmt schon, dieser Laden macht was mit einem: die Stimmung, die Atmosphäre, wie man miteinander umgeht, diese ganzen Formalien. Dennoch glaube ich, ist es wichtig, dass es diese linke Stimme im Bundestag gibt. Wir dürfen sie nicht verlieren. Das war der Grund, warum ich zugesagt habe, mir hat bislang eine kompetente Stimme zum Thema Flucht und Migration gefehlt. Das ist ein Thema, das wir nicht vernachlässigen dürfen.
Ich hatte auch den Eindruck, dass es nach dem Bruch mit Wagenknecht neue Gesichter braucht. Und ich habe einfach auch große Lust, diese Partei wieder neu vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Violetta?Meine Motivation zu kandidieren war auch, dass wir eine Stimme im Bundestag brauchen, die die Themen anspricht, die uns wichtig sind, also das Soziale, die Klimakatastrophe, diesen ganzen Rechtsruck, dem was entgegensetzen und die Linke stärken, indem wir diese Bühne nutzen.
Ich glaube, wer kandidiert, weil er die Strukturen dort so geil findet, oder wer das aus Karrieregründen macht, ist dort falsch. Ich bin auch Stadtverordnete in Kassel und selbst da fand ich es am Anfang krass, wie schnell so eine Arbeit eine eigene Logik entwickelt, die ab von der Realität ist. Man kann aber auch Methoden entwickeln, dass man da nicht ganz versinkt. Das gilt für den Bundestag natürlich umso mehr.
Ihr habt beide auf verschiedenen Ebenen Erfahrungen damit. Du, Lea, als Mitarbeiterin einer Abgeordneten und du, Violetta, im Stadtparlament. Gibt es Beispiele, wo ihr sagten könnt: Das haben wir verändert?
Lea?Grob gesprochen würde ich sagen, dass es den Mindestlohn heute nicht gäbe, wenn es die Partei Die Linke nicht gegeben hätte. Wahrscheinlich gäbe es auch immer noch eine Praxisgebühr für jeden Arztbesuch. Ich finde das sehr relevant. Oder wir wüssten nicht, wie viele Neonazis in Deutschland bewaffnet rumlaufen. Wir wüssten nicht, wie viele Menschen rechtswidrig an den Grenzen abgewiesen werden. Wir wüssten nicht, was in Afghanistan nach der Übernahme der Taliban passiert ist.
Du meinst die parlamentarischen Anfragen?
Lea?Genau. Was wäre, wenn unsere Abgeordneten nicht immer wieder nachfragen würden und die Medienberichterstattung beeinflussten? Es gibt schon sehr viel, wo ich sagen würde, dass wir die Ressourcen, die uns die Parlamentsarbeit gibt, sehr gut nutzen. Oft ist es so, dass durch das Zusammenspiel mit der Zivilgesellschaft Themen auf die Straße getragen werden. Andere Beispiele sind das Mittagessen für Kinder in Thüringen, der Mietendeckel in Berlin. Es wurden durchaus Anliegen von Bewegungen in Regierungen umgesetzt, an denen die Linke beteiligt war. Dieses Zusammenspiel erzeugt dann am Ende den gesellschaftlichen Druck, den es braucht, damit sich überhaupt etwas bewegt in diesem Land.
Diese Arbeit kommt in der Öffentlichkeit nicht an. Der Mietendeckel schon, aber vieles bleibt vor Ort stecken. Es wird nicht darüber berichtet. Da müsste man die Kommunikation möglicherweise verbessern. Wenn die Massenmedien das nicht machen, dann muss die Partei die Nachrichten verbreiten. Violetta, hast du gute Erfahrungen?
Violetta?Allgemein würde ich mich da anschließen. Es ist viel Aufklärung über Anfragen gelaufen. Es hat real was verändert, wenn Akten öffentlich wurden, an denen die Linke dran ist. Auch Strukturen werden gestärkt, zumal durch die Arbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Das ist nichts, was man aufs Wahlplakat schreibt. Wer außerparlamentarisch in einer progressiven Richtung aktiv ist, hat meistens auch mit der Linken zu tun.
Auf kommunaler Ebene sind es auch einfach so Sachen wie Kitaplatzausbau. Am Anfang hat uns niemand geglaubt, dass Kitaplätze fehlen. Und dadurch, dass wir das in den Ausschüssen zum Thema machen und immer wieder nerven konnten, ist es dann angegangen worden. Genauso der Beschluss, Kassel bis 2030 klimaneutral zu machen. Das war ein sehr enges Zusammenspiel. Es wurde von außen an die Fraktionen herangetragen. Dort ignorierte man es erstmal, dann aber haben wir einen Antrag gestellt, eigentlich mit unserer Maximalforderung, darauf mussten die anderen Fraktionen reagieren. Jetzt haben wir einen Beschluss.
Wie ist der Wahlkampf für euch? Gibt es Empowerment-Momente?
Violetta?Ja, auf jeden Fall. Es geht nicht nur um Stimmen, sondern darum, wie wir den Widerstand auf den verschiedenen Ebenen stärken und uns zusammenschließen können. Es gibt das Gefühl, dass da vielleicht eine politische Bewegung entsteht, wo sich Leute aus Bewegungen zusammenschließen, die nicht nur bei einem Thema aktiv sind, aber auch viele, die noch nie aktiv waren und sagen: Wir können uns nicht darauf verlassen, was andere machen, wir müssen selber aktiv werden.
Wir hatten z.B. Ende Januar relativ kurzfristig eine Veranstaltung mit Jan van Aken organisiert. Dann ist dieser Raum aus allen Nähten geplatzt. Da waren so viele, auch wirklich junge Leute, die so motiviert sind mitzumachen – wir sind kaum hinterhergekommen. Es gibt tatsächlich jede Woche so ein Highlight.
Lea?Ich habe das sehr ähnlich erlebt. Wir hatten am 2.Januar eine Veranstaltung in Köln mit Heidi Reichinnek. Das war der einzige Termin, an dem sie noch konnte. Machte das überhaupt Sinn, am 2.Januar was zu machen? Da haben doch alle einen Kater, da kommt doch keiner. Wir mussten nachher Leute an der Tür abweisen, weil wir keinen Platz mehr in dem wirklich ziemlich großen Raum hatten. Von da an ging es nur noch aufwärts.
Schön fand ich in diesem Wahlkampf, dass ich niemanden ansprechen musste, weil die Leute zu mir kamen und mit mir reden wollten. Das ist der Unterschied zu den anderen Wahlkämpfen, die ich davor gemacht habe. Es gab ganz viel Power und Energie und ich glaube, unsere Aufgabe wird jetzt sein, diese Energie in etwas Positives umzusetzen, darauf zu achten, dass wir diese Leute nicht so schnell wieder verlieren.
Ich weiß nicht, ob ich ein begeistertes Mitglied der Linken geworden wäre, wenn es darum gehen würde, mich ein- oder zweimal im Monat in einen Raum zu setzen und Diskussionen zu führen. Ich will Sachen machen. Das, was wir jetzt an den Haustüren machen, müssen wir ausbauen – durch Sozialsprechstunden, Notaufgabenbetreuung und ähnliches.
Wenn man einmal im Parlament ist, kann man bis zur Rente bleiben, manche tun das auch. Wie steht ihr dazu, wie lange wollt ihr Parlamentsarbeit machen?
Violetta?Ich unterstütze die Mandatszeitbegrenzung, nur dadurch kommen neue Leute oder kann man solche aufbauen. Ich finde inzwischen auch wichtig, dass das für alle in der Partei gelten muss, sonst bleiben bestimmte Personen, während andere wechseln. Ich finde es gut, dass es inzwischen eine allgemeine Diskussion in der Partei dazu gibt.
Lea?Ich teile das vollkommen. Ich glaube, es ist nie gut, zu lange auf Machtpositionen sitzen zu bleiben. Ich glaube aber auch, dass es Modelle gibt. Ich habe z.B. zwei Jahre lang die Projektkoordination von einem ziemlich coolen Seenotrettungsprojekt im Mittelmeer gemacht, dann nach zwei Jahren aber gemerkt, dass ich müde bin, nicht mehr die Energie habe, mich mit neuen Fragen auseinanderzusetzen. Ich war sehr froh, dass es einige wirklich tolle Frauen gab, die meine Aufgabe übernehmen konnten. Ich mache seitdem die Buchhaltung für den Laden und stehe für Rückfragen zur Verfügung. Ich bin immer noch involviert, aber nicht mehr in einer so herausgehobenen Position.
Das Gespräch wurde vor den Wahlen geführt. Die beiden Kandidatinnen sind jetzt im Bundestag. Die Redaktion wünscht ihnen viel Erfolg.
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