...und geht weiter
von Thies Gleiss
Nach einem für deutsche Verhältnisse lautstarken Wahlkampf haben die Wählerinnen und Wähler ein Ergebnis hinterlassen, das mit einer massiven Rechtsverschiebung politisch eindeutig ist und eine Regierungsbildung nicht einfach macht. Bemerkenswert ist auch, dass die politische Polarisierung zu einer signifikanten Erhöhung der Wahlbeteiligung auf 82,5 Prozent gesorgt hat.
Das Wahlergebnis reiht Deutschland in die große Gruppe der Länder Europas und auch in anderen Teilen der Welt ein, in denen rechtsnationalistische und nach rechts geschwenkte konservative Parteien die Wahlen gewinnen. Gut 14 Millionen Stimmen und 28,6 Prozent für die CDU/CSU sowie 10,3 Millionen Stimmen und 20,8 Prozent für die AfD stehen für einen Rechtsruck und versammeln knapp die Hälfte der Wähler:innen hinter sich.
Diese Stimmen, vor allem für die AfD, sind nicht mehr als Denkzettel oder Proteststimmen zu erklären, sondern drücken ein klares nach rechts und »Deutschland zuerst« gerücktes Massenbewusstsein aus.
Im Zentrum der Wahlkampagne stand eine scharfe Ausgrenzungspolitik und rassistische Kampagne gegen Migrant:innen und Geflüchtete. Die dabei vorgeschlagenen Maßnahmen zur faktischen Abschaffung des Asylrechts, für verschärfte Abschiebepraxis mit Inhaftierungen von ganzen Familien, für die Abschaffung von Sozialleistungen für Geflüchtete und was sonst alles noch an Schikanen ausgetüftelt wurde, stellen eine reale Bedrohung für Leib und Leben von Zehntausenden in Deutschland lebenden Menschen dar.
Selbst dann, wenn die schlimmsten dieser Vorhaben an praktischen oder juristischen Hürden scheitern sollten, bedeutet diese politische Zuspitzung eine tiefgreifende Entsolidarisierung und eine neue Stufe der Ausgrenzungspolitik in der Gesellschaft.
Das zweite große Wahlkampfthema war die geplante massive Aufrüstung und Militarisierung der Politik im Schatten des Krieges in der Ukraine. Auch wenn die AfD sich im Rahmen ihrer nationalistischen Politik gegen den Kriegskurs der Regierung stellte, weil kein Geld für einen nichtdeutschen Krieg verpulvert werden soll, so hat sie keine Differenz zu den Regierungsparteien in Fragen der NATO, der Bundeswehr und einer angeblich nötigen Aufrüstung. Sie unterstützt die US-Regierung in der Forderung nach 5 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für die Rüstung.
In der Schlussphase des Wahlkampfs erhielt die AfD noch einen Schub durch die veränderte Kriegspolitik der US-Regierung unter Trump gegenüber der Ukraine.
Kein Lagerwahlkampf
Die SPD und die Grünen, die maßgeblichen Parteien in der gescheiterten »Ampel-Regierung«, waren in diesem Wahlkampf ganz sicher nicht das »alternative Lager«. In Sachen Migrationspolitik liefen sie der AfD bereitwillig hinterher. Ihre konkrete Politik im Rahmen der EU (GEAS-Vereinbarungen) und in Sachen Abschiebepraxis und Schikanen gegen Geflüchtete nahmen sie die AfD-Forderungen nur vorweg.
Bei der Militarisierung der Politik und der massiven Aufrüstung der Armee war es die Sozialdemokratie und ihr Kanzler Scholz, die den Vorreiter machten. Angefeuert wurden sie dabei von den Grünen, die nicht nur das Außenministerium hielten, sondern in einer Art vorauseilendem Gehorsam fast mit Gewalttätigkeit gegen sich selbst die letzten Reste von Pazifismus und Antimilitarismus aus der grünen Geschichte entsorgten.
In ihren Wahlkampagnen versuchten beide Parteien vergeblich ein wenig ihre »soziale Seite« zu zeigen und bespielten Themen wie Mindestlohn, Renten, Mieten und Preissteigerungen. Aber das war beim konkreten Gehampel der Ampel schlicht unglaubwürdig.
Es war nämlich nicht nur die böse FDP, die angeblich eine Erhöhung des Mindestlohns, das versprochene Klimageld, die Erhöhung des Rentenniveaus, die Verbesserung im Wohnungsbau und vieles mehr verhinderte, sondern bewusste Politik der beiden politisch führenden Parteien in der Koalition. Niemand hat diese neue Rolle als Verteidiger der Interessen der normalen Leute geglaubt.
Dass beide Parteien schlechter abschnitten als zuvor ist die verdiente Quittung. Die SPD erhielt mit 8,1 Millionen Stimmen und 16,4 Prozent das historisch schlechteste Ergebnis seit 1890. Die Grünen erreichten noch 11,9 Prozent mit 5,8 Millionen Stimmen.
Es ist – das sei allen Freunden der toten »Rot-Rot-Grün-Regierungs-Idee« ins Stammbuch geschrieben – auch absolut unwahrscheinlich, dass sich an dieser prokapitalistischen und militaristischen Grundhaltung von SPD und Grünen in naher Zukunft irgendetwas ändert.
Auferstanden aus Ruinen
Die größte Überraschung bei diesen Wahlen und ein bei den unmittelbar Beteiligten selbst unverhoffter Glücksbringer war das Ergebnis der Partei Die Linke. Sie holte gut 4,3 Millionen Stimmen und 8,8 Prozent. Besonders erfreulich in der Altersgruppe 18–24 Jahre hat sie mit 25 Prozent die Nase vorn. Das Ergebnis sichert den Einzug in den Bundestag in Fraktionsstärke und mit fast doppelt so vielen Abgeordneten wie in der letzten Periode in den neuen Bundestag bedeutet.
Der ursprüngliche Plan, diesen Einzug vor allem mit dem Gewinn von drei Direktmandaten zu erreichen, wurde ebenfalls übererfüllt. Jetzt sind es sechs direkt gewonnene Wahlkreise.
Von den bekannten, die Wahlkämpfe prägenden Sekundärfaktoren – gute Kandidat:innen, Entschlossenheit in den Themen, nachvollziehbare Forderungen und klare Abgrenzung von den anderen Parteien – stimmte bei der Linken diesmal alles.
Aber ausschlaggebend für den Erfolg waren nicht Plakate, Flyer und Führungsfiguren, sondern die wirklichen Menschen, die sich zu Tausenden der Partei anschlossen und eine echte, physisch erlebbare Wahlkampagne organisierten. Es war – erstmals in der Geschichte der Linken und erfreulicherweise auch so gut wie gar nicht von der zentralen Wahlkampfleitung gebremst – die Erfahrung von Politik in der ersten Person, des »Jetzt-wählen-wir-uns-selber«, die im Wahlkampf dominierten.
Die Mitgliederzahlen der Linken haben sich nahezu verdoppelt, mehrere Landesverbände erreichen ein Allzeithoch an Mitgliedern und selbst in den Ostbundesländern, die jahrelang nur Mitglieder verloren, gehen die Eintrittszahlen rasant nach oben.
Dieser Aufschwung als reale gesellschaftliche Kraft muss jetzt stabilisiert und ausgebaut werden. Dauerhafte Strukturen vor Ort sind aufzubauen, interventionsfähige Gruppen, die in den Gewerkschaften und anderen sozialen Bewegungen organisiert kollektiv arbeiten, sind jetzt wichtig.
Dazu kommt eine große Anstrengung an innerparteilicher Bildung, um das jetzt ausgelöste neue linke Selbstbewusstsein politisch zu festigen und als nachhaltige Power einer wirklich sozialistischen und antikapitalistischen Partei zu erhalten.
Gleichzeitig darf die neue Fraktion im Bundestag nicht sofort in den alten Trott der Bartsch, Ramelow und Gysi verfallen und sich wieder als Bündnispartnerin oder auch nur als Korrekturfaktor für SPD und Grüne anpreisen.
Die großen politischen Fragen – Kampf gegen Krieg und Militarisierung, für soziale Gerechtigkeit und höhere Löhne und Renten, gegen die Zerstörung des Klimas – benötigen eine schlagkräftige und lautstarke Opposition gegen die Parteien des Kapitals. Die gesellschaftliche Mobilisierung gegen rechts wird auch nur mit einer konsequenten antifaschistischen Opposition im Parlament vorwärts gehen. Gegen rechts hilft nur links.
Die nationalistische, »linkskonservative« Abspaltung von der Linken, das »Bündnis Sahra Wagenknecht«, musste bei diesen Wahlen lernen, dass sämtliche ihrer politischen Prämissen und Projekte, die zur Gründung dieses Ladens führten, ebenso komplett falsch waren wie die konkrete Durchführung bürokratisch, undemokratisch und abschreckend. Das BSW hat die Fünfprozentklausel mit 2,5 Millionen Stimmen und 4,97 Prozent sehr knapp nicht überwinden können und wird zurecht vergessen werden.
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