Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Amerika 1. April 2025

Schocktherapie als Medienspektakel
von Ingo Schmidt

1982: Die mexikanische Regierung erklärt ihre Zahlungsunfähigkeit. Eine Folge der restriktiven Geldpolitik in den USA. Der Auftakt einer internationalen Schuldenkrise. In deren Verlauf vergeben Emissäre von IWF und Weltbank Kredite an viele Länder des Südens, damit diese ihre Schulden bei den Gläubigern des Nordens bzw. Westens bedienen können.

Die Kredite sind an Bedingung geknüpft: Abwertung der Währung, Ausgabenkürzungen, Zollsenkungen. Damit wird eine Umorientierung erzwungen: von Industrialisierung und Wachstum des Binnenmarkts zum Export von billigen Rohstoffen, Agrarprodukten und mit billigen Arbeitskräften hergestellten Industriewaren. Das Management der Schuldenkrise wird unter dem Namen »Schocktherapie« bekannt. Linke Globalisierungskritiker sehen in ihr den Ausgangspunkt für eine verschärfte Ausbeutung des armen Südens durch den reichen Norden.
2025: Die amerikanische Regierung unter Donald Trump verhängt drastische Zölle auf Importe aus Mexiko, Kanada und China. Auch die Exporteure anderer Länder, einschließlich der EU, werden mit Zöllen bedroht. Die Begründung: Alle Länder der Welt hätten sich auf Kosten der USA bereichert. Hinter neu errichteten Zollmauern werde das Land reindustrialisiert und zu altem Wohlstand zurückgeführt. Die westlichen Verbündeten, bis dahin treue Gefährten auf dem Weg der neoliberalen Globalisierung, sind schockiert, dass sie wie die Habenichtse des Südens herumkommandiert werden. Und nicht nur das: Vor laufender Kamera hat Trump den ukrainischen Präsidenten Selenskyj auch noch gedemütigt, setzt sich mit dem Anti-Westler Putin an einen Tisch, setzt die Existenz der NATO, Rückversicherungsvertrag westlicher Länder mit den USA, aufs Spiel und stellt die Gewaltenteilung im eigenen Land infrage.

Globalisierungskritik von rechts
Die Emissäre von IWF und Weltbank betrieben ihre Schocktherapie einst diskret, Trump inszeniert seine als Medienspektakel. Hemmungslos und selbstverliebt geht er seine Gegner im In- und Ausland an, schüchtert sie ein, verunsichert und überrumpelt sie. Anders als die Schocktruppen von IWF und Weltbank, später auch der WTO und unzähliger Regierungen der G7-Staaten von den 1980er Jahren bis heute, hat Trump keinen Plan.
Die neoliberalen Schocktherapeuten wollten eine Welt des Freihandels schaffen. Nach Ende des Kalten Krieges verkündeten Globalisten wie der Kolumnist der New York Times, Thomas Friedman, die Welt sei flach. Auf der Suche nach maximalem Profit bzw. individuellem Nutzen würden Waren, Kapital und Menschen sich gleichmäßig über die Welt verteilen. Dabei würden die mit der Staatenkonkurrenz verbundenen Hierarchien in der Weltwirtschaft abgeschliffen.
Die liberale Idee, der marxistischen Vorstellung vom Absterben des Staates im Kommunismus nicht unähnlich, stieß auf Vorbehalte. Konservative sahen die Sonderstellung der USA bedroht. Sie begriffen nicht, dass diese Sonderstellung, und vor allem die damit verbundenen ökonomischen Privilegien unter dem ideologischen Mantel des Globalismus gut aufgehoben war. Bis sich unten das Gefühl breit machte, die oben hätten den neoliberalen Deal gebrochen. Billige Konsumgüterimporte und ausgedehnte Kreditlinien statt gut bezahlter Jobs helfen bei steigenden Kosten für Unterkunft, medizinische Versorgung und Ausbildung nicht weiter. An diese realen Probleme knüpft die rechte Globalisierungskritik von der Tea Party bis Trump an.
Dieser Kritik gilt der Globalismus als Schreckgespenst, der die USA der Ausbeutung durch fremde Mächte ausgeliefert und damit an den Rand des Zusammenbruchs gebracht habe. Den Trump durch seine Revolution gegen den Globalismus in letzter Minute verhindern kann. Die Projektion des eigenen, realen oder befürchteten, sozialen Niedergangs auf den von Trump beschworenen Niedergang des Heimatlands verschafft diesem Massenunterstützung. Wie lange sie anhält, wenn sich herausstellt, dass seine Schocktherapie die guten alten Zeiten nicht wiederbringen wird, ist ungewiss. Ebenso ungewiss sind die Resultate dieser Therapie. Gegenüber seinen Gegnern verschafft sie ihm erst einmal Handlungsspielraum. Nicht aufgrund der dahinterstehenden Strategie, sondern weil seine Blitzpolitik, massenmedial verstärkt und inkohärent wie sie ist, die Gegner verunsichert, einschüchtert und überwältigt.

Kakophonie rechter Ideen
Die Behauptung Trump habe keinen Plan, kann genauer gefasst werden: Er hat keine Strategie, nur Taktik. Nach jedem Dekret, Medienauftritt oder Treffen schauen was passiert und dann weitermachen. In möglichst unvorhergesehener und den letzten Handlungen oder Erklärungen widersprechender Art und Weise.
Der Mangel an Strategie ist die Folge des Zerbröselns des neoliberalen Globalisierungskonsenses in Reaktion auf das Zusammenspiel von zunehmender Ungleichheit, Wirtschaftskrisen, Dot.com-Crash 2000 und Große Rezession 2008/09 einerseits, Linkspopulismus von Occupy Wall Street bis Bernie Sanders und Globalisierungskritik von rechts andererseits. Trump hat aus der Kakophonie rechter Ideen zur Überwindung des Globalismus eine Tugend gemacht. Nach jedem seiner Schritte fragen sich die von ihm Angegriffenen, was Trump sich wieder dabei gedacht hat. Angesichts dauernder Richtungswechsel finden sie keine Antwort. Daher wissen sie auch nicht, wie sie reagieren sollen.
Eine müßige Frage. Trump handelt, ohne zu denken. Als US-Präsident kann er sich das erlauben. Selbst wenn Trumps Bild des Niedergangs vollständig von der Empirie gedeckt sein sollte, sind die USA immer noch das Land mit den weltweit größten Machtressourcen. Auch wenn er handelt, ohne zu denken – das zumindest weiß er. Und reibt es seinen Gegnern, und selbst vermeintlichen Freunden, schonungslos rein.

Widersprüche und Größenwahn
Kurzfristig erlauben die verschiedenen Strategien, die in seinem Team gehandelt werden, Trump schnelle taktische Richtungswechsel, ohne sich selbst auf eine Strategie festzulegen. Das ist der Kern seiner zerstörerischen Schocktherapie im Unterschied zur jener, die den keynesianischen Staat zerstören wollte, um der neoliberalen Globalisierung den Weg zu bahnen.
Längerfristig wird die Trumpsche Variante der Schocktherapie aber zum Problem für ihn werden. Erstens, weil sie Unsicherheit schafft und damit die Investitionsneigung verdirbt. Zweitens, weil irgendwann außer schrillen Auftritten auch Maßnahmen ergriffen werden, die entweder halbwegs kohärente Rahmenbedingungen für Investitionen schaffen oder auch nicht. Mit Blick auf die Vorstellungen im Team ist letzteres wahrscheinlicher.
Für einige sind Zölle nur ein Druckmittel, um noch mehr Freihandel durchzusetzen. Doch selbst wenn der noch mehr zum Vorteil der USA funktionieren würde als in der Vergangenheit, würden die Ursachen der Unzufriedenheit im Volke nicht beseitigt. Denn in einem herrscht im Team Einigkeit: Es ist ein Team der Reichen. Darunter auch solchen, die sich dauerhaft vom Freihandel verabschieden, die Steuern radikal senken und beim besten Willen nicht zu vermeidende Staatsausgaben aus Zolleinnahmen begleichen wollen. Das ist mit dem Modell »Zölle als Druckmittel zur Durchsetzung von mehr Freihandel« nicht vereinbar.
Quer zur Frage »Freihandel oder Protektionismus« gibt es Vorstellungen von einer Erweiterung der USA um Kanada und Grönland, Panama und Gaza. Die Tech-Fraktion träumt von der Kolonisierung von Mond und Mars. Eine Strategie des Größenwahns. Über den Profit-über-alles-Konsens hinaus besteht an einem weiteren Punkt Einigkeit im Team: America first – zur Not allein gegen den Rest der Welt. Damit werden auch die bisherigen Freunde zu potenziellen Gegnern.

Innere Gegner
International schürt Trump Verunsicherung, an der Heimatfront schafft er Tatsachen. Passend zum Bild eines vom Ausland verschuldeten Niedergangs der USA gelten Immigranten als ausländische Unterwanderer im Inneren. Vor allem die ohne Aufenthaltsgenehmigung. Seit Amtsantritt lässt Trump im großen Stil abschieben. Es sind zu viele, um sie alle abzuschieben, und die US-Wirtschaft ist von ihrer billigen Arbeitskraft mindestens so abhängig wie von zollbedrohten Importen. Auch hier dient die Schocktherapie der Einschüchterung. Die Arbeitskraft illegaler Immigranten wird damit noch billiger.
Ermöglicht wurde die »Immigranten- und Importflut«, weil von Globalisten durchsetzte Staatsapparate die Grenzen aufgemacht haben. Fehlgeleitet von kosmopolitischen, woken und kulturmarxistischen Ideen. Um die Grenzen wieder dicht zu machen, muss der Staat von unamerikanischen Globalisten gesäubert werden. Auch da werden bereits Tatsachen geschaffen. Trump ist nicht Hitler. Aber die von dem antifaschistischen Juristen Ernst Fraenkel zur Analyse des Nazi-Regimes vorgenommene Unterscheidung zwischen Normenstaat, der eine mehr oder minder verlässliche Grundlage für die Abwicklung täglicher Geschäfte liefert, und Maßnahmenstaat, der die Geschäftsbedingungen von einem Tag auf den anderen umschreiben kann, eröffnet auch einen Zugang zum Verständnis des von Trump betriebenen Staatsumbaus.
Das von Elon Musk geführte Amt für Regierungseffizienz ist von der Verfassung nicht vorgesehen, greift aber, zum Teil mit Hilfe der Polizei, tief in die Operationen der Verfassungsorgane ein. Täglich bricht Musk das Recht. Die Gerichte sind damit überfordert, haben sie doch schon unzählige Klagen gegen Trumps Flut an Dekreten zu behandeln, weil die Verfassungsmäßigkeit vieler dieser Dekrete fraglich ist.
Was passiert, wenn einzelne Dekrete zurückgewiesen werden, ist unklar. Mehrfach erklärten Mitglieder des Team Trump, sie seien nicht an Gerichtsentscheide gebunden. Eine Horrorvorstellung für Recht und Ordnung liebende Amerikaner. Aber nicht für Trump & Co. Sie sind Revolutionäre, die die von Reagan begonnene, dann aber auf globalistische Bahnen abgeglittene Marktrevolutionen beenden wollen. Sie schaffen politisches Chaos, damit der Markt sich frei entfalten kann.

Ingo Schmidt ist marxistischer ­Ökonom und lebt in Kanada und Deutschland.

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