Elias Sime: Geschichte, Verbundenheit und Transformation
von Nele Johannsen
Der äthiopische Künstler Elias Sime erzählt von globalen Verbindungen und persönlichen Geschichten mit Hilfe von alltäglichen, uns allen bekannten Gegenständen, die bereits eine eigene Reise hinter sich haben. Die aktuelle Ausstellung »Echo« im Kunstpalast Düsseldorf bietet spannende Einblicke in sein Schaffen, dessen Werke Material und Farbe, Tradition und Transformation, Natur und Technologie in lebendigen und faszinierenden Kompositionen vereinen.
Sime wurde 1968 in Addis Abeba geboren. Schon als Kind sammelte er gerne Dinge, die bereits von Menschen berührt worden waren. Diese Sammelleidenschaft wurde zur Grundlage seiner Kunst: Knöpfe, Schlüssel und Stoffreste, Kabel, Platinen und Kondensatoren – die gesammelten Gegenstände erzählen in Simes Händen Geschichten von Berührung und Verbindung und entwickeln sich zu eindrucksvollen Kunstwerken. Für ihn sind die Objekte nicht bloß Materialien, sondern stumme Erzähler globaler Begegnungen und menschlicher Emotionen.
Elias Sime fühlte sich, wie er heute sagt, von Anfang an zur Kunst berufen. Nach einem Kunststudium an der Universität in Addis Abeba traf er im Jahr 2001 die Anthropologin und Kuratorin Meskerem Assegued. Diese Begegnung wurde zum Ausgangspunkt einer intensiven Zusammenarbeit, aus der zahlreiche Projekte hervorgingen. Simes Werke sind heute in bedeutenden Sammlungen weltweit ausgestellt, unter anderem im Metropolitan Museum of Art in New York.
Material als Botschaft
Die Ausstellung »Echo«, die vom 12. Februar bis zum 1. Juni im Kunstpalast Düsseldorf gezeigt wird, ist die erste Einzelausstellung von Simes Werken im deutschsprachigen Raum. Präsentiert werden Arbeiten aus den frühen 2000er Jahren bis heute. Die Ausstellungstitel »Echo« verweist auf das zentrale Thema Kommunikation, Resonanz und Transformation: Ein Echo nimmt einen Ursprung auf, breitet sich aus, verändert sich im Verlauf und kehrt als neues, oft verzerrtes Signal zurück.
In Simes Werk spiegelt sich diese Idee in der Wiederaufnahme und Umgestaltung bekannter Materialien wider, die neue Bedeutungen entstehen lässt. Dabei thematisieren seine Arbeiten nicht nur die globale Vernetzung, sondern auch die Schattenseite dieser Entwicklung. Zwar sind Menschen heute technisch enger miteinander verbunden denn je, doch oft geht damit eine Entfremdung einher: Der direkte, persönliche Austausch wird zunehmend von anonymen, digitalen Kommunikationsformen ersetzt – ein Echo als verzerrte Antwort auf ein ursprüngliches Signal, ein Abbild ohne unmittelbare Berührung.
Die Ausstellung beginnt mit frühen Arbeiten, in denen Sime Alltagsgegenstände wie Knöpfe und Schlüssel zu dichten Collagen verarbeitet. Knöpfe tragen für ihn eine besondere symbolische Bedeutung: Die alltägliche Geste des Öffnens und Schließens von Knöpfen an Kleidung stellt eine intime Verbindung zum eigenen Körper dar – ein Ausdruck von Liebe.
Ein zentrales Kapitel in Simes Schaffen bildet die Werkreihe Tightrope, mit der er 2009 begann und die bis heute fortgeführt wird. Hier beginnt Sime, sich intensiv mit elektrischen und technischen Materialien auseinanderzusetzen: Geflochtene Drähte, fixiert mit kleinen Nägeln, erzählen von der Balance zwischen technologischem Fortschritt und menschlicher Tradition. Manche dieser Werke entstehen über zwanzig Jahre hinweg, da Sime etwa darauf wartet, genug Kabel einer bestimmten Farbe zu sammeln. Aufgrund des immensen Aufwands arbeitet heute ein Team von 20 bis 50 Menschen an Simes Seite. Auch deshalb signiert er seine Werke nicht mehr – sie sind das Ergebnis eines kollektiven künstlerischen Prozesses.
Neben Wandarbeiten präsentiert die Ausstellung auch Skulpturen wie Concave Triangles, eine Struktur aus vier gebogenen Dreiecken, die gemeinsam eine Halbkugel formen und mit Ziffernblöcken von Armbanduhren, Tastaturelementen und Kabeln verziert sind. Diese Arbeiten entstanden während der Corona-Pandemie und reflektieren, ebenso wie einige von Simes Collagen, Themen von Isolation und Verbundenheit.
Kreisläufe der Berührung
Im Zentrum seiner Arbeit steht nicht Konsumkritik, sondern vielmehr der Kreislauf der Dinge und die tiefe Verbundenheit, die daraus auf der ganzen Welt entsteht. Sime interessiert sich für die Geschichten, die in den Materialien eingeschrieben sind – unabhängig davon, ob sie alt oder neu sind. Auch neu gekaufte Materialien sind im Laufe des Herstellungsprozesses durch viele Hände gegangen und tragen somit Spuren menschlicher Arbeit und Berührung in sich. »Ein Gegenstand kann so viel erzählen wie ein ganzes Buch«, sagt Sime während seines Besuchs in Düsseldorf. »Ein Ding nimmt mich mit in die Vergangenheit. Wann ist es wie gemacht und genutzt worden, wo und von wem?«
Seine Ideen skizziert Sime stets auf kleinen Stücken Papier. Aus diesen spontanen Skizzen entwickelt er dann die Größe, Farbigkeit und Struktur seiner Werke. Der eigentliche Entstehungsprozess geschieht am Boden. Simes komplexe, detaillierte Kompositionen entstehen liegend, erst in ihrer fertigen Form betrachtet er sie vertikal aufgerichtet. Die Materialien werden dafür sorgfältig vorbereitet, indem sie auseinandergenommen, gereinigt und nach Kriterien wie Farbe, Form oder Beschaffenheit sortiert werden.
Vom Detail zur Weite
Simes Werke beeindrucken durch die farbenprächtige, großformatige Zusammensetzung der zahllosen kleinen Gegenstände. Besonders bemerkenswert ist dabei sein geschickter Einsatz von Perspektive: Aus der Nähe erkennt man die verflochtenen Kabel, Kondensatoren, Platinen in all ihrer Materialität. Einige Schritte zurückgetreten verwandeln sich diese scheinbar zufälligen Strukturen in beeindruckende Landschaften oder Stadtbilder, wie topografische Karten. Die Linien und Netze, die sich über die Werke ziehen, erinnern teils an Flüsse oder Straßen. Ein besonders eindrückliches Beispiel ist ein Werk, das Venedig aus der Vogelperspektive zeigt – eine Hommage an die Stadt, in der Sime zwei seiner Arbeiten bei der Biennale ausstellte.
Viele Arbeiten Simes sind modular aufgebaut und bestehen aus mehreren kleinen Paneelen, die je nach Ausstellungsraum unterschiedlich zusammengesetzt werden können und sich somit in ihrer Größe verändern. In den Reliefs tauchen neben technischen Elementen auch Pflanzen sowie menschliche oder tierische Gestalten auf, was den Werken weitere Ebenen hinzufügt und eine Verbindung der technologischen Welt mit organischem Leben herstellt.
Zoma: Ein Gesamtkunstwerk aus Erde, Kunst und Leben
Ein weiterer wichtiger Teil von Elias Simes Wirken ist das gemeinsam mit Assegued 2002 gegründete Projekt »Zoma«, das inzwischen an vier Standorten in Addis Abeba besteht und auch in der Düsseldorfer Ausstellung in drei kurzen Filmen vorgestellt wird.
»Little Zoma« etwa entstand 2008 und ist ein Ort des Schaffens für Künstler:innen aller Welt. Der Schweizer Kurator Hans Ulrich Obrist beschreibt das in traditioneller äthiopischer Lehmbauweise errichtete Bauwerk als ein organisches Gesamtkunstwerk – mit Reliefs auf allen Flächen, kleinen aus Stein gehauenen Figuren und einem Garten, in dem sowohl einheimische als auch fremde Pflanzen und Heilkräuter wachsen. Das Projekt wurde zwischen 2013 und 2019 um das »Zoma Museum« erweitert, das Galerie, Bibliothek, Grundschule, Kindergarten und Botanischen Garten in sich vereint – alles selbstfinanziert und -organisiert. Bestandteil des Projekts sind außerdem eine Gartenanlage auf dem historischen Palastgelände von Addis Abeba sowie das »Zoma Entoto Village«, das sich derzeit im Bau befindet.
Eine Einladung, die Welt neu zu sehen
Elias Simes Kunst bietet einen ebenso sinnlichen wie nachdenklichen Blick auf die Welt: Seine Werke erzählen von globalen Verbindungen, menschlicher Kreativität und dem Kreislauf der Dinge – feinfühlig, kraftvoll und immer offen für neue Perspektiven.
Die Ausstellung »Echo« im Kunstpalast Düsseldorf bietet eine großartige Gelegenheit, seinen vielschichtigen Werken zu begegnen und ist absolut lohnend. Ein umfangreiches Begleitprogramm mit Workshops und Führungen lädt dazu ein, tiefer in Simes Arbeitsweise und Themenwelt einzutauchen und sich selbst dabei auszuprobieren. Denn sein Verständnis von Kunst ist von einer inspirierenden Offenheit geprägt: Alle können Kunst machen – allein die Entscheidung, welche Kleidung man trägt, ist eine künstlerische Entscheidung. Der Körper ist die Leinwand. Wer Elias Simes Werke betrachtet, entdeckt eine Welt, in der alles miteinander verbunden ist – und vielleicht auch die eigene Kreativität.
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