Die Hoffnung organisieren
von Thies Gleiss
Am 9. und 10. Mai 2025 fand in Chemnitz die 3. Tagung des 9. Parteitags der Partei Die Linke statt. Das bewährte Parteitagsorganisationskomitee aus dem Karl-Liebknecht-Haus präsentierte einmal mehr eine Show mit vielen Rummelplatzeffekten. So ein Spektakel verpulvert – werden alle Kosten der Bundes-, Länder- und privaten Kassen der Delegierten zusammengenommen – eine gute Million Euro.
Die Linke hat in diesem Frühjahr einen großen Mitgliederzustrom erlebt, der nach wie vor anhält. Gut 112.000 Mitglieder sind aktuell registriert. Die Delegierten dieses Parteitags wurden aber größtenteils bereits 2024 gewählt, die bedeutende personelle Veränderung in der Partei drückte sich in Chemnitz deshalb nur als Stimmung unter den Delegierten aus.
Hoffnung
»Die Hoffnung organisieren« lautete das Parteitagsmotto. Eine wirklich gute Entscheidung.
Die neofaschistische Alternative für Deutschland feiert Wahlerfolge und ist in diesen Tagen erstmals die Nummer Eins in den Wahlumfragen. Die Grundlage ihres Auftretens ist eine »Politik mit der Angst«: Angst vor dem ökonomischen Absturz, Angst vor den »Fremden«, Angst vor Unsicherheit. Einer solchen Politik mit der Angst muss eine linke Partei die Politik der konkret organisierten und organisierenden Hoffnung gegenüberstellen. Das ist die einfache Übersetzung der Losung: »Gegen Rechts hilft nur Links«.
Im Mittelpunkt der Parteitagsdiskussion stand der Leitantrag des Parteivorstands, »Wir sind die Hoffnung«. Im Zentrum der nächsten Aufgaben und Projekte steht die faktisch neu gegründete Partei selbst. Die Linke soll von einer Partei der Wahlkampagnen zu einer umfassend in der Gesellschaft verankerten Partei werden. Nicht nur eine Kümmererpartei für die Sorgen der Menschen, wie es vielfach gefordert wird – aber das natürlich auch – sondern eine Partei, die in allen gesellschaftlichen Diskursen, Kämpfen und Konflikten eine gewichtige Stimme hat und die große Mehrheit der Menschen aus ihrer privaten Einsamkeit wie auch aus ihrer Atomisierung in Betrieben und gesellschaftlichen Strukturen befreit.
Ein Leitantrag, der tatsächlich leitet
Der Aufbau von aktiven Kreisverbänden und der Partei insgesamt als »sozialistische Mitgliederpartei«, die Entwicklung von Bildungsangeboten für die vielen Neumitglieder, die kollektive Politik im Stadtteil, in den Betrieben, in Schulen und Universitäten – all das ist eine große und drängende Aufgabe.
Erstmals wurde problematisiert, dass parlamentarische Erfolge einer linken Partei auch bestimmte »strukturkonservative« Kräfte freisetzen, die in Widerspruch zu einer dynamischen, auf stete Veränderung orientierenden Partei geraten können. Die Linke will das Übergewicht der parlamentarischen Arbeit regulieren, Mandate sollen auf drei Amtsperioden befristet sein, die materiellen und finanziellen Privilegien sollen transparent gemacht und zugunsten von Sozialfonds für die politische und soziale Basisarbeit begrenzt werden.
In diesem Zusammenhang griff der Leitantrag auch die Welle der Empörung auf, die in der gesamten Partei aufkam, als die Regierungsvertreterinnen in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern eine Zustimmung im Bundesrat für die Grundgesetzänderung zur Schuldenbremse ermöglichten. Dieses Verhalten wurde als großer Fehler eingeschätzt, der sich nicht wiederholen darf, sondern Anlass für eine Neubestimmung des Verhältnisses von Partei und ihren parlamentarischen Vertretungen sein muss.
Es hätte dem Leitantrag durchaus gutgetan, bestimmte inhaltliche Zuspitzungen aufzunehmen, ohne die großen Zielsetzungen im engeren Parteiaufbau dadurch aufzugeben. Es gab dazu zahlreiche Änderungsanträge, die aber in der Beratung weitgehend minimiert wurden.
Viele Einzelanträge
Dem Parteitag lagen wie immer eine Reihe konkreter Einzelanträge vor. Das Schicksal dieser Anträge ist, dass sie stets am Ende des Parteitages unter großem Zeitdruck und völlig unabhängig von der Bedeutung des jeweiligen Themas äußerst knapp und im Grunde ohne Debatte behandelt werden.
Unproblematisch sind dabei Resolutionen, die nahezu unstrittig sind. So solidarisierte sich der Parteitag mit den Beschäftigten der von Stilllegungsplänen betroffenen Hüttenwerke Krupp-Mannesmann in Duisburg. Er stellte sich auf die Seite der Unterstützer:innenbewegung für den von der Polizei erschossenen Lorenz. Er forderte die Anerkennung der Jenischen als nationale Minderheit. Er unterstützte die Proteste gegen die Atommülltransporte von Jülich nach Ahaus. Auch der Antrag gegen die Wiederinkraftsetzung der Wehrpflicht wurde einmütig angenommen.
Problematischer ist dieses Verfahren bei Anträgen mit bedeutenden politischen Festlegungen für die laufende Politik und eventuellen Änderungen an den bisherigen programmatischen Positionen. Über solche Anträge wird vor dem Parteitag auf diversen Sondertreffen und auf dem Parteitag hinter den Kulissen diskutiert. Aber einen richtigen, angemessenen Platz auf dem Parteitag selbst erhalten sie nicht.
Es gab Anträge zur »Zeitenwende« und der Aufrüstungspolitik, zum Krieg in Palästina, zum Krieg in der Ukraine. Diese Themen bestimmen zurzeit die Tagespolitik, und dass dazu gleich mehrere Anträge an den Parteitag gestellt wurden, zeigt, wie eng die Linke in diese Tagespolitik involviert und wie stark die Mitglieder dafür mobilisiert sind.
Konkreter Antimilitarismus
Die große Mehrheit der Antragsstellenden und auch der Delegierten des Parteitags will eine konkrete linke und eigenständige Politik zum Haupttrend der herrschenden Politik in Richtung Kriegsvorbereitung. Das bedeutet für die Linke vor allem entschlossene parlamentarische und außerparlamentarische Oppositionspolitik.
Das kollidiert allerdings mit politischen Grundhaltungen, die in den ersten Jahren der Parteiexistenz der Linken mit dafür sorgten, dass der strategisch und taktisch sehr heterogene Haufen in einer Partei zusammengehalten wurde: Auf der einen Seite eine Allianz aus »Regierungssozialist:innen« in Parlamentsfraktionen und Parteivorständen, die einem Streit dadurch entgehen wollen, dass sie ihn administrativ verhindern; auf der anderen Seite ideologische Haudegen, insbesondere aus alten SED- und SPD-Beständen, die einen abstrakten Kampf für Frieden und gegen den Imperialismus in stets wiederholte Formeln gießen wollen.
Aufrüstung, NATO-Begeisterung, Kriegsvorbereitung sind heute aber knallharte Tagespolitik. Ihr muss eine Linke mit ebenso knallharter Oppositionsarbeit entgegentreten – mit Blockaden, Streiks, Demonstrationen. Abwarten, Bedenken erheben und »relativieren« sind keine Optionen mehr. »Auf die Barrikaden« hieß der schöne Schlachtruf am Parteitag, dann muss aber klar sein: Auf welche Seite der Barrikaden?
So ist es sehr erfreulich, dass es gelungen ist, aus verschiedenen Anträgen auf dem Parteitag einen schönen, runden Antikriegsantrag zusammenzufassen, der mit großer Mehrheit angenommen wurde.
Auch eine Protestresolution gegen die barbarische Politik Israels in Gaza wurde beschlossen. Außerdem wurde ein Antrag mit knapper Mehrheit angenommen, dass die Linke künftig ihre Politik gegenüber antisemitischen Kräften auf Grundlage der »Jerusalemer Antisemitismus-Erklärung« führen wird, die mittlerweile von Hunderten von Wissenschaftler:innen unterstützt wird.
Die Hoffnung organisieren, das ist die große Aufgabe. Insgesamt hat der Parteitag auf jeden Fall die Hoffnung aufkommen lassen, dass diese Aufgabe von den vielen tausend Mitgliedern der Linken auch angepackt und gelöst wird.
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