Gemeinsamkeit stärkt: eine Tagung zu intersektionaler Demokratie
von Nele Johannsen
Angesichts erstarkender rechter Kräfte und der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft setzte die Tagung »Intersektionale Demokratie« am 17.Mai in Köln ein Zeichen für eine solidarische, gerechte und vielfältige Gesellschaft. Der Begriff »Intersektionalität« beschreibt, wie verschiedene Formen der Diskriminierung (etwa Rassismus, Sexismus oder Klassismus) nicht isoliert auftreten, sondern oft gemeinsam wirken.
Demokratie wird gemeinhin als die gerechteste aller Herrschaftsformen betrachtet. Ein Blick hinter die Kulissen offenbart jedoch schnell: Gerecht sind auch demokratische Gesellschaften nicht. Wer wird überhaupt mitgedacht, wenn wir von »Demokratie« sprechen? Wer darf teilhaben, mitentscheiden, gestalten – und wer wird systematisch ausgeschlossen? Und vor allem: »Wie können alle Menschen – unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht, Behinderung oder sozialem Status – gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen?«
Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Tagung, die von der AG Netzwerk MigraFem sowie dem Autonomen Feministischen Referat der Universität zu Köln veranstaltet und von der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW sowie der Informations- und Beratungsstelle agisra e. V. unterstützt wurde.
Der Veranstaltungsort agisra e.V. in Köln-Ehrenfeld wurde für 46 Personen, davon 43 Frauen (viele aus marginalisierten oder aktivistischen Kontexten), zum Ort intensiver Diskussionen über die strukturellen Verflechtungen von Macht, Diskriminierung und Teilhabe. Was sie verband, war der Wunsch, Demokratie nicht länger als abstrakte theoretische Norm zu behandeln, sondern sie im Lichte realer Diskriminierungserfahrungen neu zu denken. Schließlich war Demokratie nie ein Ort für alle. Bereits im antiken Griechenland war politische Teilhabe exklusiv – für Frauen, Sklaven und Nichtbürger undenkbar. Auch heute bleiben viele Menschen faktisch ausgeschlossen – bspw. Kinder, Menschen ohne Pass oder Geflüchtete.
Eröffnet wurde die Tagung mit einem Vortrag von Denise Bergold-Caldwell, in dem sie sich der Frage widmete, weshalb es einer intersektionalen Demokratie bedarf. Sie erläuterte, dass Demokratie historisch nie inklusiv gedacht war – und es auch heute nicht ist. Weder sind alle gleichermaßen an Entscheidungsprozessen beteiligt, noch ist die Verteilung von Ressourcen, Sorgearbeit oder Machtverhältnissen gerecht organisiert.
Eine intersektionale Perspektive auf eine demokratische Gesellschaft bedeutet deshalb nicht weniger als eine Umwälzung der Verhältnisse: Politische Repräsentation darf nicht nur nach formaler »Gleichheit« beurteilt werden – stattdessen muss das Zusammenleben der Menschen neu gedacht und der Blick auf die realen Machtasymmetrien gerichtet werden.
Ungleichheiten zusammendenken
Im Anschluss an den Einstiegsvortrag fanden parallel mehrere Workshops statt, in denen sich die Teilnehmenden mit verschiedenen Aspekten intersektionaler Demokratie auseinandersetzen konnten. Fatima Remli erklärte, was Differenzen und Gemeinsamkeiten mit uns machen, während Ay?e Tekin, Lotte Meyer und Merle Bode die Rolle von Intersektionalität in Institutionen wie Gewerkschaften und Hochschulen unter die Lupe nahmen. Hier sind diversitäre Strukturen zwar vorhanden, in der Praxis jedoch scheitern sie nicht selten an tief verankerten Machtverhältnissen.
Im weiteren Verlauf hatten die Teilnehmenden die Wahl zwischen drei spannenden Angeboten: Encarnación Gutiérrez Rodríguez befasste sich mit dem Diskurs über Rassismus; Ying Guo brachte, mit zwei Gebärdensprachedolmetscherinnen an ihrer Seite, die ebenfalls häufig ausgeblendete Perspektive von Gehörlosen ein. Muriel Alejandra González Athenas und Behshid Najafi widmeten sich in ihrem praxisorientierten Workshop dem Kontext »Intersektionalität und Klassenfrage«.
Im abschließenden Plenum wurden die Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen zusammengetragen und gemeinsam reflektiert. Die Teilnehmenden teilten ihre persönlichen Eindrücke und Erfahrungen, wodurch ein Gemeinschaftsgefühl entstand – ein wichtiges Gegengewicht zur oft empfundenen Ohnmacht angesichts der aktuellen politischen und sozialen Zustände.
Intersektionalität, das wurde an diesem Tag spürbar, ist kein akademischer Jargon, sondern eine machtvolle Perspektive auf unsere Gesellschaft, denn Diskriminierungen passen nicht in Schubladen – sie sind vielfältig und überschneiden sich
Wer Teilhabe ermöglichen will, darf soziale Ungleichheiten nicht gegeneinander ausspielen, sondern muss sie zusammendenken. Eine intersektionale Perspektive macht diese Mehrfachdiskriminierungen sichtbar und stärkt letztlich den Kampf marginalisierter Menschen. Die Vision einer intersektionalen Demokratie bedeutet demnach: Power Sharing und kollektive Transformation.
Als Ausblick wurden abschließend zahlreiche Vorschläge formuliert: ein Manifest migrantischer Feministinnen, ein gemeinsamer Dokumentarfilm, weitere Vernetzungstreffen. Vor allem wurde jedoch klar: Gerechte Demokratie entsteht nicht durch Repräsentation allein – sondern vielmehr durch die Bereitschaft, gesellschaftliche Machtverhältnisse grundsätzlich zu hinterfragen. Das bedeutet: zuhören, aushalten, umverteilen!
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