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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2012

Wie Deutschland seine Kriegsschulden los wurde
von Eric Toussaint/Angela Klein

Während der sog. Schuldenschnitt für Griechenland das griechische Volk zur permanenten Austerität verurteilt, wurde mit Deutschland, dem höchstverschuldeten Land der Welt im 20.Jahrhundert, weil es zwei Weltkriege angezettelt hatte, mehrfach anders verfahren. Das Londoner Schuldenabkommen von 1953 nahm große Rücksicht auf Deutschlands Zahlungsfähigkeit.
Der radikale Schuldenschnitt für die Bundesrepublik Deutschland und deren rascher Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg wurden möglich, weil ihre Gläubiger (hauptsächlich die USA, Großbritannien und Frankreich) den politischen Willen dazu hatten.
Am 6.März 1951 unterzeichnete die Bundesregierung eine weitgehend von den Westalliierten formulierte Schuldenerklärung, in der sie Deutschlands Schulden aus der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg anerkannte. Die Alliierten schlossen dem eine eigene Erklärung über «eine angemessene Regelung der Forderungen gegenüber Deutschland» an, «die am Ende die finanzielle Situation der deutschen Wirtschaft nicht durch unerwünschte Auswirkungen aus dem Gleichgewicht bringen und die potenziellen Devisenreserven nicht über Gebühr angreifen darf … und die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands in Rechnung stellt».
Die von Deutschland eingeforderte Schuld aus der Vorkriegszeit betrug 22,6 Milliarden DM einschließlich Zinsen (das waren hauptsächlich Schulden aus der Dawes- und der Young-Anleihe sowie aus der Zündholzanleihe). Die Schulden aus der Nachkriegszeit wurden auf 16,2 Mrd. geschätzt (das waren Schulden aus dem Marshall-Plan und aus alliierten Krediten für Wirtschaftshilfe).
Das Londoner Abkommen setzte diese Schuld von 38,8 Mrd. DM auf insgesamt 14,5 Mrd. DM fest – 7,5 Mrd. DM für die Vorkriegs- und auf 7 Mrd. DM für die Nachkriegszeit – das war eine Reduzierung um 62,6%. Die Senkung war möglich geworden, weil die Bewertung nach dem Goldstandard aufgegeben und niedrigere Zinssätze sowie gar kein Zinseszins veranschlagt wurden. Mit Rücksicht auf die Wirtschaftskraft der BRD hatten einige Schulden eine Laufzeit von 20 Jahren, andere sogar von 35 Jahren.
Durch das Schuldenabkommen wurden Deutschland also 24,3 Mrd. DM erlassen – ein Vielfaches der 4,68 Mrd DM, die Deutschland aus dem Marshallplan erhalten hat – zuzüglich 800 Mio. DM, die die Internationale Entwicklungsagentur (USAID) zwischen 1954 und 1961 an Deutschland zahlte.
Um sicher zu gehen, dass die westdeutsche Wirtschaft wieder auf die Beine kam und dass sie ein stabiles und zentrales Element im atlantischen Block gegenüber dem Ostblock bilden würde, machten die alliierten Gläubiger den verschuldeten deutschen Behörden und Unternehmen bedeutende Zugeständnisse, die weit über eine Schuldensenkung hinausgingen:

  • * Sie gingen vom Grundsatz aus, dass Deutschland in der Lage sein musste, seine Schulden zurückzuzahlen bei Sicherung eines hohen Lebensstandards und der Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung. Zurückerstatten, ohne sich dabei arm zu machen
  • * Dafür akzeptierten die Gläubiger erstens, dass Deutschland den Hauptteil seiner Schulden in DM zurückzahlte.
  • * Zweitens akzeptierten sie, dass Deutschland, das Anfang der 50er Jahre noch eine negative Handelsbilanz hatte, seine Importe reduzierte und selbst die Güter herstellte, die es zuvor importiert hatte. Indem sie Deutschland erlaubten, seine Importe durch Eigenproduktion zu substituieren, nahmen die Gläubiger es hin, dass ihre eigenen Exporte in dieses Land reduziert würden. 41% der deutschen Importe kamen in den Jahren 1950-51 aus Großbritannien, Frankreich und den USA. nochmal 25% aus Belgien, Niederlande, Schweden, Schweiz (zusammen 66% der Gesamtimporte).
  • * Drittens haben die Gläubiger Deutschland erlaubt, seine Güter im Ausland zu verkaufen, sie haben seine Exporte sogar stimuliert, damit es eine positive Handelsbilanz erreiche.

Die Zinssätze wurden drastisch gesenkt (zwischen 0 und 5%).
Das Verhältnis zwischen Schuldendienst und Exporterlösen sollte 5% nicht übersteigen, Deutschland sollte also nicht mehr als ein Zwanzigstel seiner Exporterlöse für den Schuldendienst ausgeben. In der Praxis hat Deutschland nie mehr als 4,2% seiner Exporterlöse in den Schuldendienst gesteckt (dieser Wert wurde 1959 erreicht). In jedem Fall konnte die Bundesbank, da ein großer Teil der deutschen Schulden in D-Mark zurückzuzahlen war, immer Geld drucken, also die Schuld monetarisieren.
Das Abkommen sah die Möglichkeit vor, Zahlungen auszusetzen und die Zahlungsbedingungen neu zu verhandeln, sobald substantielle Änderungen eintreten würden, die die verfügbaren Ressourcen einschränkten. Streit mit den Gläubigern sollten vor den zuständigen deutschen Gerichten ausgetragen werden. Ausdrücklich wurde eingeräumt, in gewissen Fällen können es «die deutschen Gerichte … ablehnen, die Entscheidung eines ausländischen Gerichts oder einer Schiedsinstanz … anzuerkennen und zu vollstrecken». Dieser Fall träte u.a. dann ein, «wenn die Anerkennung der Entscheidung gegen den ordre public in der Bundesrepublik Deutschland verstoßen würde».
Außerdem taten die Westmächte Deutschland einen weiteren enormen wirtschaftlichen Gefallen: Die Regelung der Reparationen und Kriegsschulden (aus dem Ersten wie aus dem Zweiten Weltkrieg), die die besetzten, annektierten oder überfallenen Länder (und ihre Staatsangehörigen) Deutschland gegenüber geltend machen konnten, wurde auf einen späteren Zeitpunkt vertagt.

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