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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2015
Angriff auf die Braunkohle richtiger Ansatz

Gespräch mit Tadzio Müller

In Köln findet vom 10. bis 12.April die eine internationale Aktionskonferenz «Kampf ums Klima» statt.* Sie will den Fokus der Umweltbewegung auf den Kampf für den Ausstieg aus der Kohle, vor allem aus der Braunkohle, lenken. Zugleich versteht sie sich als Auftakt für ein Mobilisierungsjahr gegen die Ignoranz der Regierungen gegenüber dem Klimawandel – eine Ignoranz, mit dem auch auf dem kommenden Klimagipfel in Paris im Dezember dieses Jahres zu rechnen ist. Der Kampf gegen den Klimawandel bleibt Handarbeit, betont Tadzio Müller, einer der Organisatoren der Konferenz. Damit sind örtliche Aktionen zur Verhinderung neuer Kraftwerke (oder Stilllegung bestehender) ebenso gemeint wie Aktionen zum Umstieg auf erneuerbare Energien und Kampagnen, die die kapitalistische Produktions- und Konsumweise in Frage stellen.

Tadzio Müller ist Referent für Klimagerechtigkeit und Energiedemokratie der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Du bist für die Rosa-Luxemburg-Stiftung Mitorganisator der internationalen Klimakonferenz, die vom 10. bis 12.April in Köln stattfindet. Warum findet sie statt und warum in Köln?

Wie viele andere in der Klimabewegung in Deutschland und darüber hinaus sind die Organisatoren der Konferenz der Meinung, dass 2015 für den Kampf ums Klima ein ziemlich wichtiges Jahr wird: Erstens findet Ende des Jahres in Paris der UN-Klimagipfel, der COP 21, statt; hier will die Staatengemeinschaft mal wieder ein rechtlichverbindliches Klimaschutzabkommen erreichen, weshalb die Debatte um die Klimaziele erneut an Fahrt aufnehmen wird. Die Skepsis ist groß, ob da ein guter Deal herauskommen kann, deshalb ist es wichtig, dass soziale Bewegungen auf Konzerne und Regierungen mehr Druck machen.

Der zweite Grund ist die deutschlandspezifische Auseinandersetzung um die Fortführung der Energiewende. Nachdem es 2011 mit dem Atomausstieg einen großen Erfolg gab, versuchen Regierung und Konzerne jetzt, die Energiewende auszubremsen. Atomkraft ist in Deutschland ein Auslaufmodell. Nun müssen wir gesellschaftlichen Druck auf die Kohle machen, da in diesem Jahr einige wichtige bundespolitische Entscheidungen über die Zukunft der Kohlekraftwerke in Deutschland anstehen.

Warum in Köln? In Deutschland gibt es kaum noch Steinkohleförderung, wir sind aber Weltmeister in der Förderung von Braunkohle, dem dreckigsten aller fossilen Brennstoffe. Braunkohle wird bei uns in drei Revieren abgebaut, im mitteldeutschen (Sachsen, Sachsen-Anhalt), im Lausitzer (Brandenburg) und im rheinischen Braunkohlerevier – das traditionsreichste und größte, das auch der CO2-Hotspot Europas ist. Der Kampf für die Abschaltung der Braunkohlekraftwerke im Rheinland ist zentral und wir haben uns für Köln entschieden, um mit unseren Mitteln den Aufbau einer Antikohlebewegung voranzutreiben.

Nach dem Klimagipfel in Kopenhagen 2009 war der Katzenjammer groß, viele Aktivisten meinten, es bringt nichts, zu den Gipfeltreffen zu mobilisieren, da kommt sowieso nichts bei raus, wir müssen eher vor Ort aktiv werden. Nun scheint sich die Stimmung gewandelt zu haben, wie erklärst du das?

Nur wenige Leute glauben, dass bei so einem Gipfel ein starkes Klimaabkommen beschlossen wird. Gleichzeitig zieht er aber erhöhte Aufmerksamkeit auf sich, bietet Raum für die Vernetzung sozialer Bewegungen und für die Diskussion von Fragen globaler Klimagerechtigkeit (wie z.B. der Finanzierung der Klimafolgeschäden). Die Bewegungen werden also nach Paris mobilisieren, da sind wir auch involviert, aber wir glauben, der größte Beitrag, den wir als Bewegung zum Klimaschutz leisten können, ist, Klimaschutz selber zu machen – also nicht auf die Gipfel zu warten, sondern im Vorfeld aktiv zu werden.

Ob man das vom Klimaschutz oder von der Energiewende her sieht, der Angriff auf die Braunkohle ist genau die richtige Entscheidung. Die Verschiebung der nationalen Kräfteverhältnisse ist derzeit der beste Hebel, die globalen Verhältnisse zu beeinflussen. Eine Regierung kann bei so einem Gipfel erst dann eine «progressive Position» einnehmen, wenn die nationalen Kräfteverhältnisse das erlauben. Die deutsche Bundesregierung etwa nimmt, wenn es um den Stromsektor geht, eine ganz gute Position ein, weil es hier schon einen ganz großen erneuerbaren Sektor gibt. Hinsichtlich Mobilität und Transport ist ihr Standpunkt jedoch zutiefst reaktionär, wegen der Stärke des Autosektors.

Die Skepsis gegenüber den offiziellen Gipfeln ist ein bisschen auch dem Programm der Konferenz anzumerken. Warum habt ihr dennoch Verfechter des UN-Klimaprozesses eingeladen?

Weil diese Klimagipfel in einem gewissen Sinne nun mal alternativlos sind. Klimawandel ist ein globales Problem. Wenn einzelne Länder isoliert ihre Emissionen reduzieren, gibt es ein Trittbrettfahrerproblem, andere können sozusagen den Nutzen daraus ziehen, ohne die Kosten zu tragen. Also braucht es ein globales Abkommen. Es gibt zwar keine Alternative zum globalen Abkommen, aber wenn es das nicht gibt, müssen wir eine Alternative erschaffen. Wir haben versucht, bei unserer Konferenz die existierende Bewegung abzubilden, deshalb haben wir diese Leute eingeladen.

Welche Pfade verfolgt die Konferenz sonst noch, neben der Blockade des Neubaus von Braunkohlekraftwerken, um den Rückwärtsgang der Energiewende zu durchbrechen?

Wir verfolgen drei Hauptstränge auf der Konferenz: Wir wollen über Klimagerechtigkeit reden, also über Fragen wie Emissionshandel und ähnliches, da geht es um den internationalen Klimakonflikt. In bezug auf die Energiewende ist ein weiteres wichtiges Thema die Rekommunalisierung im Energiesektor, die ja trotz des gescheiterten Versuchs in Berlin, das Stromnetz zu rekommunalisieren, weiter vorangeht. Andere Städte versuchen das ebenfalls, auch in Köln gibt es Überlegungen dazu. Energiegenossenschaften erfreuen sich großer Beliebtheit – diese verschiedene Auseinandersetzungen fassen wir unter dem Strang Energiedemokratie zusammen.

Rheinlandspezifisch ist dann wieder die Auseinandersetzung mit dem, was wir System RWE nennen. Also direkte Anti-Konzern-Strategien. Es gibt Beispiele für Divestmentkampagnen, die versuchen, den großen fossilen Unternehmen direkt den Geldhahn zu abzudrehen. Da wollen wir neue gesellschaftliche Bündnisse schmieden. Beispielweise gab es in den letzten Jahren immer mehr Nachrichten über die Gesundheitsgefährdung, die vom Braunkohleabbau ausgehen. In Berlin etwa, wo ich wohne, ist die Feinstaubbelastung durch Kohleverbrennung enorm hoch.

Das ist ohnehin ein sehr interessanter Aspekt der Energiewende, dass es diese Aktionseinheit gab zwischen einem teilweise militanten und ungehorsamen Anti-Atom-Widerstand einerseits und andererseits einem kleinkapitalistisch organisierten Erneuerbare-Energien-Sektor. Der Atomausstieg wäre in Deutschland nicht möglich gewesen, wenn es nicht schon reale Alternativen zum Atomstrom gegeben hätte, nämlich die Erneuerbaren. Und die Erneuerbaren wären nie so schnell gewachsen, wenn es nicht den massiven Druck durch die Anti-Atom-Bewegung gegeben hätte.

Die Erneuerbaren wären auch nicht so schnell gewachsen, wenn es das EEG nicht gegeben hätte, das wird aktuell aber massiv unterhöhlt und geradezu pervertiert.

Da stimme ich dir völlig zu. Das EEG hätte es so auch nicht gegeben, wenn nicht die Grünen als Resultat der Anti-Atom-Bewegung ins Parlament gekommen wären. Für mich ist aber immer die Frage relevant: Worauf haben wir strategischen Zugriff? Auf das EEG haben wir keinen Zugriff. Die EEG-Deform 2014 konnten wir nicht verhindern. Wir können die Gesetzgebung derzeit kaum beeinflussen. Deswegen muss sich unser Angriff jetzt auf andere Punkte richten. Am Abbau von Braunkohle können wir arbeiten. In den letzten Jahren haben es soziale Bewegungen, Bürgerinitiativen unterstützt durch NGOs, immer wieder geschafft, den Neubau von Kraftwerken zu verhindern. Über Strategien und Aktionen der sozialen Bewegungen wollen wir in einem gesonderten Strang reden. Nur recht haben, bringt uns ja auch nicht weiter, wie müssen ein Stück Gegenmacht entfalten. Wir glauben, dass wir derzeit am ehesten an den Abbauorten und an Gesundheitsfragen ansetzen können.

Ihr habt auch Redner aus dem globalen Süden eingeladen, etwa aus Bangladesh. Erhofft ihr euch da Ansätze für eine Zusammenarbeit? Gibt es ein Zusammenwirken mit den Klimabewegungen des Südens?

Viele Bewegungen im Süden verstehen sich gar nicht primär als Klimabewegungen, oft geht es ihnen um das Recht auf Land, um Fragen der Migration, um Handelspolitik usw. Zusammenarbeit gibt es im Bereich der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, denken wir an Via Campesina, da werden best practices ausgetauscht. Auch in der Migrationsfrage gibt es eine Zusammenarbeit zwischen Menschen in Europa und aus Afrika – etwa durch so richtungsweisende Gruppen wie Afrique-Europe-Interact.

Doch man darf sich da keine Illusionen machen: Die Nord-Süd-Zusammenarbeit ist auf einem Gebiet, wo es sehr stark um die Frage ungleicher Verantwortung geht, sehr schwierig. Der Norden trägt ja die Hauptschuld an den klimatisch bedingten Katastrophen im globalen Süden. Wir leben hier ökologisch über unsere Verhältnisse. Jetzt fordern viele Bewegungen aus dem Süden, dass der Norden diese Schuld anerkennt und Reparationen leistet. Wenn so eine Schuld anerkannt würde, dürfte dieses Geld aber nicht aus dem Sozialetat kommen. Wie kriegen wir hierzulande also einen sozialökonomischen Diskurs um globale Klimagerechtigkeit hin? Auch diese Frage wird die Konferenz beschäftigen.

In diesem Sommer wird es eine ganze Reihe von Aktivitäten gegen den Abbau der Kohle geben, da finden alle einen Punkt, wo sie einsteigen können – das beginnt mit der Menschenkette um den Tagebau Garzweiler am 25.April und endet nicht mit dem Klimacamp Rheinland vom 7. bis 15.August.

* Das Programm der Konferenz «Kampf ums Klima» findet sich auf der Seite www.kampfumsklima.org.

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