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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2019

Der Pharmakonzern will über 20000 Beschäftigte loswerden
von Ulrich Franz*

12000 Beschäftigte sollen nach dem Willen des Bayer-Vorstands abgebaut werden, d.h. vernichtet werden. Weitere rund 9000 Beschäftigte sollen durch Verkäufe von Bayer-Firmen(teilen) aus dem Unternehmen ausscheiden. Wieviel Beschäftigte davon in den dann neuen Firmen verbleiben, ist fraglich.
Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass Bayer in 2018 voraussichtlich mehr als 3 Mrd. Euro Gewinn macht. Die bisher nicht konkretisierten Abbaupläne werden von den Beschäftigten heftig abgelehnt. Sie sind sehr verunsichert. In Wuppertal, dem Hauptstandort der Pharmasparte, gab es deswegen am Montag, dem 3.12.2018, eine aufsehenerregende Demonstration vor dem Bayerwerk. Von den etwa 3400 Beschäftigten nahmen über 1600 an dem Umzug teil, der anschließend in eine Betriebsversammlung mündete.

Was war vorausgegangen?
Die Bayer AG hat im Jahre 2018 den Kauf des größten US-amerikanischen Agrarunternehmens, Monsanto, für über 60 Mrd. Euro abgeschlossen. Der Bayer-Vorstandsvorsitzende, Werner Baumann, hat dieses Vorgehen betrieben, obwohl dieser Schritt innerhalb wie außerhalb des Unternehmens heftig kritisiert wurde. Monsanto war ein aggressives Unternehmen im Bereich der Landwirtschaft, das gentechnisch modifizierte Pflanzen als Saatgut verkaufte. Das Unternehmen hat auch Pestizide wie Glyphosat vertrieben, die in dem starken Verdacht stehen, Natur und Menschen massiv zu schädigen. Monsanto selbst war deshalb in vielen Fällen auch rechtlich aggressiv gegen Kritiker und Landwirte vorgegangen.
Nach der Übernahme durch die Bayer AG wurden 2018 über 9600 Klagen von Geschädigten gegen Monsanto in den USA zugelassen. Dies verstärkte einen Kurssturz der Aktie auf über 30 Prozent bei der Bayer AG, bei gleichzeitigem massiven Gewinnrückgang.
Parallelen mit Höchst drängen sich auf: Die Hoechst AG, eines der größten Chemie/Pharma-Unternehmen in Deutschland, ist im Jahre 2004 von der Aktien-Landkarte verschwunden. Der damalige Vorstandsvorsitzende Dormann hatte das Unternehmen mehrfach umstrukturiert und 2004 mit Aventis fusioniert. Danach gab es Höchst als Chemie/Pharma-Unternehmen nicht mehr.

Baumann und Bayer
Auf der Demonstration in Wuppertal wurden der Vorstandsvorsitzende Baumann und der Vorstand insgesamt stark kritisiert. Forscher warnten, mit dem Ausverkauf werde das Unternehmen an Innovationskraft verlieren. Weiter wurde kritisiert, dass eine in Wuppertal neu entstandene Produktionsstätte des Faktor-8 (ein Medikament für Bluter) mit über 350 Beschäftigten und Kosten von 400 Mio. (einige reden von einer Milliarde) Euro nicht in Betrieb genommen wird. Tatsächlich ist deswegen der Standort Wuppertal besonders hart getroffen. Insgesamt sollen hier 750 Beschäftigte (von 3400) verschwinden. Deutschlandweit werden im Bereich F&E rund 1000 Arbeitsplätze abgebaut.
Von den Demonstranten wurde die Dynamik, der Baumann (und im historischen Vergleich Dormann von Höchst) unterliegen, nicht angesprochen. Der Philosoph und Ökonom Karl Marx hat schon vor 150 Jahren herausgearbeitet, dass Unternehmen im Kapitalismus auf Gedeih und Verderb einem Wachstumszwang unterliegen. Das wird von den Beschäftigten, der IG BCE oder der im Werk vorhandenen, ehemals linken Liste, der Belegschaftsliste, nicht wahrgenommen. So gab es innerhalb der Beschäftigten eine große Kritik an der Übernahme von Monsanto, aber insbesondere bei den leitenden Angestellten klang die Hoffnung mit, dass das Unternehmen dadurch massiv wachsen würde. Negative Auswirkungen wie eine mögliche Überschuldung, zunehmende Konkurrenz usw. wurden dabei kleingeredet. Wie üblich kommen die Probleme jetzt vor Weihnachten auf den Tisch.
Die aufkeimende Gegenwehr ist deswegen gut zu verstehen und zu begrüßen. Ohne Gegenwehr werden die Beschäftigten die Probleme im gesamten Umfang ausbaden müssen.

Betriebsrat und Gewerkschaft
Dabei hat die Belegschaft zur Zeit leider wenig Verbündete. Die IG BCE, eine sehr unternehmerfreundliche Gewerkschaft, die gerade auch beim Braunkohleausstieg eine Interessengemeinschaft mit dem Stromunternehmen RWE bildet, äußerte sich bei Bayer nicht kämpferisch: Der Vorsitzende der Gewerkschaft, Michael Vassiliadis, mochte keine Kritik an Bayers Vorgehen äußern. Vielmehr äußerte er, er könne das Vorgehen des Bayer-Vorstands nachvollziehen, mit der Begründung, Entlassungen seien per Vereinbarung bis 2025 damit ausgeschlossen. Natürlich sind das nur Scheinargumente. Denn 12000 Arbeitsplätze werden vernichtet, und bei den potenziell ausgegliederten Beschäftigten sind Entlassungen nicht ausgeschlossen. Gleichwohl hat die IG BCE die Demonstration am 3.12. organisiert.
Der Betriebsratsvorsitzende Michael Schmidt-Kießling, Mitglied der ehemals linken Belegschaftsliste, bezeugte ebenfalls großes Verständnis für die Argumentation der Unternehmensleitung.
Deswegen schrieb das Handelsblatt am 4.Dezember: Michael Schmidt-Kießling klingt nicht, wie ein Arbeitnehmervertreter normalerweise klingt, wenn sein Arbeitgeber 12000 Stellen streichen will. «Wir müssen geschlossen daran arbeiten, schnellstmöglich Lösung zu finden, um den betroffenen Mitarbeitern eine neue Heimat zu geben», sagte Schmidt-Kießling. Kein aggressives Wort ist von dem 59jährigen zu hören, so schreibt das rechtskonservative Handelsblatt. Schmidt-Kießling hat dem Stellenabbau bei Bayer im Aufsichtsrat zugestimmt – wie alle anderen Arbeitnehmervertreter auch.
Aber das Handelsblatt liegt falsch: Nicht nur dass Schmidt-Kießling kein aggressives Wort gegen den Vorstand der Bayer AG loslässt, er verteidigt sogar das Vorgehen des Bayer-Vorstands in einem Interview mit dem WDR-Fernsehen bezüglich des beabsichtigten Abbaus von 350 Beschäftigten in Wuppertal. Ob er sich noch daran erinnert, dass er diese Art von IG-BCE-Betriebsratspolitik vor einigen Jahren als Minderheiten-Betriebsrat noch mit scharfer Kritik quittierte?
Fazit: Wenn Gewerkschaften und Betriebsratsvorsitzende so tief fallen, müssen Überlegungen gestattet sein, neue Wege aus dem Dilemma dieses Wirtschaftssystems des «Fressen oder gefressen werden» zu suchen. Sonst werden die Beschäftigten immer die Zeche zahlen, trotz «sozialverträglicher» Betriebsvereinbarungen.

* Der Artikel erschien zuerst auf www.baso.info.

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