Erfolgreicher Anfang
von Rouzbeh Taheri
Die Probleme der Berliner S-Bahn haben schon zu einigen Neuentwicklungen im Slang der Berliner Jugend geführt. Wenn jemand zu spät zu einer Verabredung kommt, heißt es: «Biste wohl S-Bahn-mäßig druff.»
Frage: Was braucht es, um das Sprichwort «pünktlich wie die Eisenbahn» in sein Gegenteil zu verkehren?
Antwort: Die Deutsche Bahn auf ihrem Weg an die Börse, ihre Tochter S-Bahn Berlin, die dabei einem (Gewinn-)«Optimierungsprogramm» unterworfen wurde, und eine Landespolitik, die tatenlos zuschaut. Schon ist ein Verkehrssystem, das vom Krieg erstaunlich wenig aufgehalten wurde und die Teilung der Stadt gut überstand, in die Knie gezwungen.
Nach dem Auftreten der ersten Probleme (vermehrte Unfälle, bis zu 50%iger Ausfall von Zügen wegen Wartungsmängeln) im Sommer 2009 glaubten die Berliner an eine Lösung innerhalb von Wochen oder Monaten. Als aber im darauffolgenden Winter 2009/2010 alles schlimmer wurde, als der nächste Sommer keine Besserung brachte und dann erneut ein Chaoswinter vor der Tür stand, war die Geduld der Hauptstädter am Ende. Gefühlte 100 Erklärungen der S-Bahn-Manager, dass bald, ja ganz bald, alles wieder gut werde, und gefühlte weitere 100 Erklärungen der Politik, dass man schon alles im Griff habe, trugen dazu bei, dass kein Fahrgast in Berlin diesen Damen und Herren auch noch ein Wort glaubt.
Zusätzlich war in der Zwischenzeit bekannt geworden, welche haarsträubenden «Sparmaßnahmen» an Infrastruktur und Personal zu den chaotischen Verhältnissen geführt haben. Dies alles erfolgte im Interesse der Gewinnmaximierung in einem Betrieb der öffentlichen Daseinsvorsorge.
In dieser Situation, im März 2011, gründete sich der Berliner S-Bahn-Tisch, ausgehend von einer Veranstaltung, auf der Gewerkschafter, Attachés, Bahn für alle, das Berliner Antikrisenbündnis und andere über die Möglichkeiten eines wirkungsvollen Widerstands diskutierten.
Zu dem Zeitpunkt war bekannt geworden, dass Teile des Berliner Senats über eine Teilprivatisierung der S-Bahn nachdachten. Demnach sollen die Probleme, die dadurch entstanden sind, dass die S-Bahn sich wie ein privates Unternehmen benimmt und alles tut, um die Gewinne zu steigern, dadurch beseitigt werden, dass man einen Teil der Strecken einem anderen Unternehmen übergibt, das genauso renditegierig ist. Solch grandiose Ideen können nur Politiker haben, die sowieso auf jede Gelegenheit warten, um öffentliches Eigentum zu verscherbeln. Strom, Gas, über 100.000 Wohnungen und nicht zuletzt die Berliner Wasserbetriebe wurden in den letzten Jahren privatisiert.
Der Widerstand gegen die Folgen dieser Privatisierung und der im Februar 2011 erfolgreich durchgeführte Volksentscheid, organisiert vom Berliner Wassertisch, stand auch Pate und war Inspiration bei der Namensgebung der neu gegründeten S-Bahn-Initiative: Sie nennt sich S-Bahn-Tisch.
Vorauseilende Wirkung
Vor dem Hintergrund des erfolgreichen Wasser-Volksbegehrens und der Tatsache, dass das Thema S-Bahn in Berlin seit über drei Jahren ein Dauerbrenner ist, hat der S-Bahn-Tisch die Einleitung eines Volksbegehrens beschlossen. Die juristischen Beschränkungen, die das Landes-, Bundes- und Europarecht dem Inhalt eines Volksbegehrens auferlegen, versuchen wir, durch die politische Begleitkampagne zu kompensieren.
Ein Beispiel: Wir konnten aus juristischen Gründen ein Privatisierungsverbot, unser wichtigstes Anliegen, nicht im Gesetzesentwurf festschreiben. Wir haben aber Bedingungen in den Entwurf geschrieben, die es einem renditeorientierten Unternehmen fast verunmöglichen, den S-Bahn-Betrieb gewinnbringend zu betreiben. Es dürfte nämlich Löhne nicht kürzen, bei der Personalausstattung nicht sparen und Zugreserven nicht reduzieren. Zusätzlich bringen wir unsere politische Hauptbotschaft «Gegen Privatisierung und Ausplünderung» über den Weg des Volksbegehrens an die Öffentlichkeit. Das ist uns bisher durch zahlreiche Infotische und gute Präsenz in den Medien gut gelungen.
Die zweigleisige Strategie führte in der ersten Stufe zu einem großen Erfolg. Mit 31870 Unterschriften haben wir nicht nur mehr als genug gesammelt (nötig waren 20.000). Wir sind mit unseren Inhalten auch in der Stadtöffentlichkeit angekommen, zu einem wichtigen politischen Akteur in dieser Frage geworden und zum Hauptkontrahenten der Privatisierungsbefürworter. Nicht zuletzt haben wir vielen Berlinerinnen und Berlinern die Möglichkeit gegeben, ihrer Opposition gegen die herrschende Politik Ausdruck zu verleihen. Zuerst niederschwellig mit einer Unterschrift, für einige war sie aber der zündende Funke, um sich aktiver einzubringen.
Senat operiert hinterhältig
Nachdem wir zuerst vom Senat abwechselnd ignoriert und belächelt wurden, reagierte er nach der erfolgreichen ersten Stufe relativ schnell. Zunächst erfüllte er eine unserer zentralen Forderungen, nämlich die Offenlegung der S-Bahn-Verträge, gleichzeitig verbot er aber die Fortführung des Volksbegehrens in der zweiten Stufe mit der Begründung, unser Vorhaben würde gegen alle möglichen Gesetze verstoßen.
Ob das Verbot rechtmäßig ist, wird der Berliner Verfassungsgerichtshof voraussichtlich Anfang 2013 entscheiden.
Die Strategie des Senats ist also «Zuckerbrot und Peitsche». Im Hintergrund forciert der Senat die Ausschreibung eines Teilnetzes der S-Bahn. Während wir vor Gericht beschäftigt sind, sollen vollendete Tatsachen geschaffen werden.
Aber schon im Text der ersten Stufe der Ausschreibung zeigt sich, dass die Kampagne des S-Bahn-Tisches in der Stadt etwas verändert hat. Zu den Ausschreibungsbedingungen gehören jetzt die tarifliche Bezahlung der Beschäftigten, die Übernahme aller Beschäftigten und aller Vereinbarungen beim Betriebsübergang und einige andere Regelungen, von den vor einem Jahr beim Senat nicht die Rede war. Den Beschluss zur Einleitung der Ausschreibung musste der Senat am Abgeordnetenhaus vorbei in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in der letzten Sitzung vor den Sommerferien fällen, weil die SPD-Fraktion schon deutlich gegen diesen Beschluss opponierte. Zuvor hatte der Landesvorsitzende der SPD, Verkehrssenator Michael Müller, bei einem Landesparteitag der Sozialdemokraten sein Vorsitzendenamt in einer Kampfabstimmung gegen Jan Stöß verloren. Stöß profilierte sich u.a. als Gegner der S-Bahn-Privatisierung.
Das Volksbegehren und die damit verbundene Kampagne hat die politische Stimmung in der Stadt in dieser Frage merklich verändert. Die Ausschreibung konnte vorerst nicht verhindert werden, ihre Bedingungen aber sehr wohl. Das gänzliche Scheitern der Privatisierung ist immer noch möglich.
Und es geht weiter. Der Berliner Energie-Tisch hat ein Volksbegehren für die Rekommunalisierung der Stromnetze in Berlin und für die Gründung eines Stadtwerkes in der ersten Stufe erfolgreich abgeschlossen. Die Berlinerinnen und Berliner holen sich ihre Stadt zurück.
Rouzbeh Taheri ist Sprecher des S-Bahn-Tisches.
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