Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2013

Denunziatorische Linke
von Jochen Gester

Etwas Ungeheuerliches ist Berlin passiert: Unter dem Motto «Fragend blicken wir zurück, fragend schreiten wir voran» hat ein Bündnis linker Jugendverbände, mit starker Beteiligung des Nachwuchses aus SPD und der Linkspartei, die Unverschämtheit besessen, eine Demonstration zum Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht nur beim Ordnungsamt und nicht auch bei den Organisatoren der traditionellen LL-Demo anzumelden. Das Bündnis wollte eigene, andere Schwerpunkte im Gedenken setzen.
Das ist ebenso legitim, wie das Recht dazu eine demokratische Errungenschaft ist. Und ungewöhnlich ist es auch nicht. So hat die sog. Revolutionäre 1.Mai-Demo in Berlin immer wieder Ableger erzeugt, die gute Gründe hatten, sich auf eigene Beine zu stellen. Doch im aktuellen Fall wurden die jungen Leute, die zu einer Rosa&Karl-Demo aufriefen, regelrecht an den Pranger gestellt. Auch der SoZ-Kommentar zum Thema verortete die Organisatoren als von Anti-Deutschen Infizierte und warnte vor «linksjugendlichem & sozialdemokratischem Quark».
Doch es geht noch besser. Ein Beitrag in der jungen Welt machte die Aktivisten des Jugendbündnisses gleich zu»zukünftigen Sozialabbaukadern» und «Kindern der Mörder von Rosa und Karl». Den Spitzenplatz dieses Wettbewerbs in politischer Denunziation errangen jedoch die Herausgeber des Onlineportals Arbeiterfotografie, die in einem Flugblatt von der «Noske-Jugend» sprechen und wissen: «In der Tradition von Gustav Noske und Friedrich Ebert geht es um Konteraufklärung im Sinne des Imperialismus». Deshalb könnten die auf der «Spalter-Demonstration» mitgetragenen roten Fahnen auch nur der Vermummung dienen. Als «Beweisfoto» bekommt man dann ein Bild, in dem eine etwa Zwanzigjährige, die in der Kälte ihren Rollkragenpullover bis zur Nase gezogen hat, unter einem Transparent hervorlugt.
Bekanntlich hatte Rosa Luxemburg als eine der ersten begriffen, dass das Herrschaftsverständnis der Bolschewiki das Zeug hatte, den Sozialismus gründlich zu diskreditieren. Da auch ich der Meinung bin, dass der Leninismus nicht der Marxismus des 20. Jahrhunderts war, sondern eher die Ideologie einer jakobinischen Modernisierungsdiktatur, verspürte ich kein Bedürfnis, hinter einem Leittransparent «Lenin-Liebknecht-Luxemburg» herzulaufen und war froh über das «Spalter»-Angebot.
Ich nahm also an der Demo teil, verfolgte alle Kundgebungsbeiträge und las später auch die Beiträge der Webseite. Das Resümee kann klarer nicht ausfallen. Die Anwürfe gegen die Rosa&Karl-Demo entbehren jeglicher Grundlage. Auf der gesamten Aktion fiel kein einziges freundliches Wort über die Sozialdemokratie; schon eher gab es Bekenntnisse zu einem anderen Kommunismus oder wirklich jugendlich anmutende Aufrufe zu einem Kampf ohne Kompromisse. Die Redebeiträge zeichneten ein authentisches Bild der beiden geehrten Revolutionär/innen und machten auf eine wohltuende Weise mit dem Credo Rosa Luxemburgs ernst, dass die «Selbstkritik (die) rücksichtslose, grausame, bis auf den Grund der Dinge gehende Selbstkritik», das «Lebenslicht der proletarischen Bewegung» ist.
Es ist traurig genug, wenn Linke es mit Gleichmut oder gar Zustimmung hinnehmen, dass Mitglieder einer antifaschistischen Jugendgruppe wegen eines stalinismuskritischen Transparents mit Gewalt aus der LL-Demo entfernt werden und es zulassen, dass ein Teil der jungen antikapitalistischen Linken denunziert wird, ohne deren Positionen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Doch sie sollten wenigstens aufhören, dies im Namen von Rosa Luxemburg zu tun.

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