Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2014
Der Mann mit dem kleinen «c»

von Alexander Billet

Pete Seeger, der große Sänger der amerikanischen Folkmusik, starb am 27.Januar in New York im Alter von 94 Jahren.

Pete Seegers Leben und Werk haben eine eigenartige Symmetrie. Obwohl er fast ein Jahrhundert lang lebte, blieb für ihn bis zuletzt die Zeit stehen. Er war aber kein Relikt, sondern erinnerte daran, dass in der amerikanischen Kultur trotz aller Mainstreamelemente stets ein organischer sozialistischer Strang lebendig geblieben ist.Es spricht Bände, dass sogar die konservativen Fox News Pete Seegers Musik und Persönlichkeit mit einem unbeholfenen Lobgesang bedachten. Die meisten Medien tun sich zwar schwer mit seiner Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei, doch kann man den Künstler Seeger unmöglich vom Kommunisten Seeger trennen – communist mit, wie er selbst gern sagte, dem kleinen «c».

Der Aktivist

Sein Leben war außergewöhnlich, es spiegelt die Höhen und Tiefen der Geschichte: Auf dem Höhepunkt der Revolten der Arbeiterklasse in den 1930er Jahren trat er der KP bei. Nach dem Zweiten Weltkrieg, angesichts der drückenden Herrschaft des Stalinismus, trat er wieder aus. Zusammen mit Woody Guthrie und Paul Robeson musste er nach eine Benefizkonzert für die Bürgerrechtsbewegung in Peekskill, Staat New York, 1949 vor einem Mob des Ku-Klux-Klan fliehen. Die Hetze waren nicht nur Auftakt für den McCarthyismus. Sie verdrängte auch die Folkmusiker von der Straße in die Coffee Houses am Rande der Gesellschaft. Seeger selbst wurde zu Gefängnis verurteilt und kam auf die Schwarze Liste, weil er dem McCarthy-Komitee widerstand.

Im Zuge der Bürgerrechts- und Antikriegsbewegung und dem damit einhergehenden Revival der Folkmusik war Seegers Funktion die eines Elder Statesmen. Nach seiner Aussage war er es, der die Zeile «We will overcome» in «We shall overcome» umänderte (statt «Wir wollen siegen», «Wir werden siegen»).

Er sang für die Antiatom- und die Umweltbewegung der 80er Jahre und unterstützte Solidarnosc in Polen als potenziell echte sozialistische Kraft gegen die stalinoiden Heuchler.

Wie viele Linke begrüßte auch er enthusiastisch die Wahl von Barack Obama 2008. Am Tag vor dessen Amtsantritt sang er mit Bruce Springsteen «This land is your land» auf den Treppen des Lincoln Memorial. Obwohl die Hoffnung rasch schwand, war dieser Auftritt atemberaubend.

Ein besserer Indikator für sein Vermächtnis war sein Auftritt bei Occupy Wall Street mit Woody Guthries Sohn Arlo. Er marschierte mit den Aktivisten bis hin zum Zuccotti-Park – im Alter von 91 Jahren mit Hilfe von zwei Gehstöcken.

Viele der Lieder, mit denen er berühmt wurde, hat Seeger nicht selbst geschrieben. Es waren alte Folklieder, die er oder seine Mitmusiker neu interpretierten. Das Folkmusikmilieu der 30er Jahre war sehr gemeinschaftsbetont, die Musiker borgten häufig voneinander.

Und doch, auch wenn er von anderen borgte, waren Seegers Arrangements, seine Sensibilität und seine tiefgründige Musikalität unwiderstehlich und sein Gesang war von unauffälliger Theatralik.

Seine Version von «Jarama Valley» mit den Alamanac Singers, gewidmet den von Francos Faschisten ermordeten spanischen Republikanern, klingt so, als ob Geister sie singen würden, bis hin zum leichten Pfeifen im Hintergrund.

Seeger hatte auch echten Sinn für Humor. Sein Tenor war vielseitig, und er beherrschte den Wechsel im Tonfall, der nötig ist, um Sarkasmus und Witz zu vermitteln. Und natürlich versprühte jedes Arbeiterlied, das er sang, das kollektive, mitreißende Herzklopfen einer Hymne.

Der Liedermacher

Als Liedermacher war Seeger kein Leichtgewicht. Seinen meisterhaften Gebrauch der Worte erkennt man an der ursprünglichen Version von «Union Maid,» die um einiges dramatischer und grotesker ist als die weithin bekannte, spätere Version. Er schrieb es gemeinsam mit Woody Guthrie auf einer Reise nach Oklahoma. Das Lied beschreibt die wahre Geschichte der Folter von Annie Mae Merriweather, eine schwarze Organisatorin für die Bauerngewerkschaft in Alabama, eine unheimliche Geschichte, voll gerechtem Zorn, fast alttestamentarisch.

Es gibt hunderte von Liedern von Seeger: «If I had a hammer», «Where have all the flowers gone?», «Turn, turn, turn» gehören zu den bekanntesten Liedern der populären Musik. Während Künstler wie die Byrds, Joan Baez, Peter, Paul and Mary seine Lieder bekannt machten, trug er wiederum zur Popularität von anderen bei.

Was ist proletarische Musik?

Um Seegers Bedeutung zu erkennen, muss man sich die populäre Musik der 30er Jahre und ihren Austausch/Dialog mit den Klassenkämpfen dieses Jahrzehnts genauer ansehen.

Seeger wuchs in einer Familie von klassisch ausgebildeten Musikern und Musikwissenschaftlern auf und fühlte sich seit seinem 16.Lebensjahr zu Folkmusik hingezogen. Damals war der Begriff «Populärmusik» noch ganz neu.

Die industrielle Revolution brachte die Produktion von Notenblättern und später Musikaufnahmen mit sich. Somit war die rasche Verbreitung von Liedern möglich geworden. Zur Zeit des Börsencrashs 1929 ermöglichte dies nicht nur der Phonograph, sondern auch das Radio. Folk-Genres wie Blues, Jazz, Hillbilly und Cowboymusik waren bis dahin marginal, provinziell und isoliert und wurden nur selten ernst genommen. Nun konnte sich die Musik verbreiten und Hörer erreichen, die hunderte von Meilen entfernt waren.

Die KP jedoch, der Seeger in den 30er Jahren beitrat, schien relativ festgefahren und tat das Potenzial der Folkkultur eher snobistisch ab. Seeger war, wie Joe Klein schreibt, eine Art abtrünniges Mitglied des Pierre-Degeyter-Clubs, eine Gesellschaft amerikanischer kommunistischer Musiker. So wie kommunistische Arbeiteraktivisten in den frühen 30er Jahren versuchten, ihre eigenen Gewerkschaften zu bilden, wollten kommunistische Musiker eine neue, eigene «proletarische» Musik entwickeln, eine Musik, die die siegreichen Arbeiter nach der Revolution genießen würden.

Für den Degeyter-Club war dies die schwerfällige, anspornende chorale Tradition des deutschen Kommunisten Hanns Eisler. Ihre Vorstellung von proletarischer Musik war die eines «Arbeiterchors», der schallende, eigenartig formale Kompositionen wie «The Scottsboro Boys must not die» oder «The Comintern» sang. Als Seeger Aunt Molly Jackson von den Kohlekriegen im Harlan County mitbrachte und sie «I am a Union woman» vor dem Degeyter-Club singen ließ, war deren Reaktion: «Das ist ja ganz nett, aber was hat das mit proletarischer Musik zu tun?»

Joe Kleins Einschätzung ist ziemlich treffend, dass er Seeger in Gegensatz zu Eisler bringt, ist jedoch falsch. Tatsächlich sah Seeger seine Arbeit an der Folkmusik als Ergänzung zu radikalen Kulturtheoretikern wie Eisler, Theodor Adorno und Max Horkheimer. Während diese jedoch bestenfalls eine komplizierte Beziehung zur neuen Populärmusik unterhielten, warf sich Seeger kopfüber in sie hinein, sie barg für ihn etwas, womit die Arbeiter sich identifizierten konnten und das potenziell an ihre ihre kreative Ader rührte. Seeger war Einfachheit sehr wichtig.

Der Werdegang

Sein Vater Charles hatte eine klassische musikalische Ausbildung. Unter anderem katalogisierte er mit seinem Freund Alan Lomax Folksongs für das Federal Music Project und bewahrt damit Lieder auf, die sonst vom Rasenmäher des industriellen Kapitalismus verschluckt worden wären. Seegers Stiefmutter war eine der wichtigsten modernen Komponistinnen ihrer Zeit. Aber sie war auch von der Folkmusik fasziniert und schuf Arrangements für Carl Sandburgs American Songbag. Der New Yorker Stadtteil Greenwich Village, in dem er aufwuchs, war voller Avantgardekünstler, die versuchten, «Amerikana», also amerikanische Kulturgüter neu zu definieren.

Als die Ideen des Sozialismus bei normalen Leuten fast hegemonial wurden, verbreitete sich die Vorstellung, die Künste, ebenso wie die gesamte Welt, neu gestalten zu können. Der Begriff «Populärkultur» war damals noch so neu, dass er förmlich darum bettelte, vom Publikum in Besitz genommen zu werden. Hier war Seegers Können beim Neuinterpretieren und Dramatisieren von Liedern entscheidend. Seine Auftritte zusammen mit den Alamanacs, den Weavers oder allein, verliehen nicht einer abstrakten Welt die Stimme, die später einmal erobert werden sollte – so aufregend das auch sein mag. Seine Liedtexte brachten im Gegenteil bewusst dieses mikrokosmische Gefühl des Triumphs zum Ausdruck, wenn es Arbeitern gelingt, Zeit zurückzugewinnen und wieder die Kontrolle über ihr Leben zu übernehmen – am Streikposten, in der Gewerkschaftshalle oder sogar beim Genießen eines freien Tages.

Die KP bediente sich schließlich der Folkmusik als taktisches Mittel in der Volksfront – die Musik überdauerte den Niedergang der amerikanischen KP.

Als die Folkmusik als entscheidendes kulturelles Element in der Kämpfen der 60er Jahre wieder auftauchte, gaben ganz unterschiedliche progressive und militante Organisationen den Ton an. Seeger war es ein Anliegen, dabei zu sein. Nunmehr war seine Ansicht, wenn etwas schal geworden sei, müsse man es abschaffen oder neu schaffen, Teil der Populärkultur geworden.

Gekürzt nach: www.jacobinmag.com/2014/01/the-sound-of-the-small-c.

Alexander Billet ist Redakteur des Magazins Red Wedge (http://redwedgemagazine.com).

 

Teile diesen Beitrag:

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.