Puzzlen mit Iris
von Gaston Kirsche
Am 3.November 2014 enthüllte eine Recherchegruppe aus dem Umfeld des linken Hamburger Zentrums Rote Flora, dass es sich bei der von 2001 bis 2006 hier engagierten Iris Schneider um eine Beamtin des Landeskriminalamts (LKA, Abteilung Staatsschutz) handelte. Jetzt werden immer mehr Details über den verdeckten Einsatz bekannt, die Polizei und Senat in Erklärungsnot bringen.
Iris P., alias Iris Schneider, forschte von 2001 bis 2006 verdeckt die linke Szene Hamburgs aus. Jetzt räumte sie gegenüber einer internen Ermittlungsgruppe der Polizei das erste Mal ein, was die Recherchegruppe schon im November darlegte: Sie war im besetzten autonomen Zentrum Rote Flora, in queerfeministischen Gruppen, in subkulturellen Zusammenhängen und beim selbstverwalteten Radio Freies Sender-Kombinat (FSK) aktiv.
Iris P. war in Personalunion sowohl als «Beamtin für Lagebeurteilung» (BfL) für das LKA Hamburg als auch parallel als verdeckte Ermittlerin (VE) im Auftrag des damaligen Generalbundesanwalts Kay Nehm für das Bundeskriminalamt (BKA), ab Mai 2004 auch für das LKA Schleswig-Holstein im Einsatz. Die Rechtsgrundlagen und Befugnisse als verdeckte Ermittlerin unterscheiden sich erheblich von denen als BfL: Als BfL war sie nicht befugt, Wohnungen zu betreten und personenbezogene Daten zu sammeln, als verdeckte Ermittlerin war genau dies ihre Aufgabe. Sie und ihre Vorgesetzten, die VE-Führer, hätten dies genau auseinandergehalten, hieß es bisher.
Doch wie wenig die Abgrenzung funktionierte, zeigte sich im Januar im Innenausschuss der Hamburger Bürgerschaft: Während bei der Polizei angeblich alle Akten über den verdeckten Einsatz von Iris P. bereits vernichtet waren, fanden sich beim Hamburger Verfassungsschutz (VS) etwa 70 mit der Codierung 74003 versehene, Iris P. zuzuordnende, Berichte. Vizechefin des Hamburger VS, die Sozialdemokratin Anja Domres, erklärte, die Akten enthielten keine personenbezogenen Daten. Dem widersprachen der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar und engagierte Abgeordnete: «Ihre Berichte lassen, das wurde ja bereits in der Januarsitzung des Innenausschusses deutlich, Rückschlüsse auf Personen zu, obwohl sie das eigentlich nicht dürften», so Christiane Schneider, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE gegenüber dem Autor. «De facto erhebt die Polizei, wenn sie Beamte in der Szene einsetzt, natürlich personenbezogene Daten; was die Beamtin und ihre VE-Führer in Erfahrung bringen, das sind Daten, über die die Polizei verfügt. Was denn sonst?»
Die feministische Redaktionsgruppe re[h]v[v]o[l]te radio des ausgeforschten Sender FSK veröffentlichte am 8.Mai das ausführliche Dossier «Ausgeforscht», in dem anhand von internen Dokumenten wie E-Mails, Gedächtnis- und Sendeprotokollen ebenfalls detailliert nachgewiesen wird, dass Iris P. regelmäßig verdeckt ermittelnd rechtswidrig in private Wohnungen eingedrungen ist – ohne dass bislang eine richterliche Anordnung hierfür vorgewiesen werden konnte – und sich sogar aktiv in die redaktionelle Arbeit des Radiosenders eingemischt hat. Das Presserecht wurde massiv gebrochen. Die Vertraulichkeit journalistischer Arbeit wurde missachtet: «Sie hat mit uns Tee getrunken, Musik gehört, gepuzzelt und geplaudert.» «Die Polizeibeamtin [war] nicht nur als Moderatorin, sondern auch als Produzentin, Interviewerin und Interviewte im FSK tätig.»
Im Visier: der Verfassungsschutz
Am 8.Juni räumte Iris P. in einer ausführlichen Erklärung an die Untersuchungsgruppe des LKA ein, dass die vom FSK und aus der Roten Flora genannten Details über ihren Einsatz weitgehend zutreffen – bis hin zur Produktion von Radiobeiträgen. Iris P. ist aber offensichtlich nicht bereit, alleine die Verantwortung zu übernehmen: «Ihr Handeln sei jeweils mit ihrer VE-Führung abgesprochen gewesen, zudem habe sie auch mit anderen Vorgesetzten über ihre Tätigkeit gesprochen.»
Diese umfassenden Einlassungen «bedingen weitere Nachfragen», merkt der Senat dazu an. Die polizeiinterne Ermittlungsgruppe wird deshalb noch im Juni ihre Arbeit beenden – wegen möglicher Interessenkollision im LKA, falls Kollegen belastet werden. Ob die damaligen VE-Führer von Iris P. ihre «Beratungs- und Unterstützungspflichten verletzt haben» prüft deshalb ab jetzt die Innenrevision. Die will bis zum 28.August einen Bericht vorlegen, mit dem sich dann der Innenausschuss der Bürgerschaft befassen wird. Christiane Schneider erkennt an: «Immerhin, intern klärt jetzt nicht mehr das LKA die eigenen Rechtsbrüche auf, sondern eine von der Polizei nicht abhängige Ebene in der Innenbehörde.»
Doch Schneider gibt zu bedenken: «Auch die Innenbehörde hat bisher aus eigener Initiative nichts zutage gefördert, was die Betroffenen nicht selbst schon öffentlich gemacht hatten.» Für eine umfassende Aufklärung der Bürgerschaft und der Öffentlichkeit fordert sie deshalb «einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA), der die noch vorhandenen Akten sichten und Zeugen unter Eid befragen kann». Damit dieser eingerichtet wird, bedarf es jedoch der Zustimmung durch SPD und Grüne. «Das wird schwer», sagt Christiane Schneider. Auch Werner Pomrehn vom Radiosender FSK meint: «Besser wäre ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, in dem gibt es eher Chancen auf Aufklärung.» Er betont: «Es wird deutlich, dass es innerhalb des Hamburger Polizeiapparats Bereiche gibt, die sich der Kontrolle durch die Landesregierung entziehen.» Das betreffe nicht nur die Gesamteinsatzführung im Polizeipräsidium, sondern auch den Staatsschutz: «Dort wird offensichtlich eigenmächtig entschieden, ohne dass der Polizeipräsident informiert wird.»
Wenn die Bürgerschaft keinen PUA einsetzt, käme dies einem Blankoscheck für den Staatsschutz gleich, weiterhin bei verdeckten Einsätzen rechtliche Einschränkungen zu ignorieren.
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